Sag', wie hast du's mit der Nation?

Referendum In Rumänien wird am Wochenende über eine Verfassungsänderung abgestimmt. Offiziell geht es um den Schutz der Familie. Das Land ist gespalten

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Wie viel Europa soll's denn sein?
Wie viel Europa soll's denn sein?

Foto: Odd Andersen/AFP/Getty Images

Es ist ein alter Konflikt, der in den letzten Wochen und Monaten in Rumänien aufbrach. Es ist der innere Konflikt einer Nation zwischen Ost und West, zwischen Orient und Okzident. Seit dem 19. Jahrhundert geht das schon so. Freilich mit wechselnden AkteurInnen, unter verschiedenen politischen Vorzeichen, ja in verschiedenen historischen Epochen. Die Kernfrage aber bleibt: Wie viel Europa soll's denn sein?

In den letzten Wochen landeten hunderttausende Flyer in Rumäniens Briefkästen. „Verteidige die Kinder Rumäniens!“, steht da. „Verteidige die Ehe zwischen Mann und Frau!“ Und: „Verteidige das Rumänien von morgen!“ Zuletzt hatte eine westrumänische Bäckerei kurzerhand ihre Weißbrote mitsamt der Flyer verpackt und unters Volk gebracht. „Komm zum Referendum! Wähle JA für die verfassungsmäßige Definition der Ehe zwischen Mann und Frau!“ Den Flyer ziert ein Foto, ein Mädchen und ein Junge, mit Buch, in der Natur. Und die Tricolore Blau-Gelb-Rot. „Nur so verteidigen wir unsere Kinder“, heißt es am Ende des Flyers.

Am kommenden Wochenende findet es nun statt, das Referendum zur „Redefinition der Familie“, wie es seine BefürworterInnen nennen. Der Inhalt ist genauso banal wie die ganze Angelegenheit obsolet ist. Die InitiatorInnen fordern, dass die Ehe per Verfassung als Bund zwischen Mann und Frau festgeschrieben wird.

Bisher heißt es in der rumänischen Verfassung: „Die Familie gründet sich auf die nach freiem Willen geschlossene Ehe zwischen Eheleuten, auf deren Gleichheit und auf das Recht und die Pflicht der Eltern, das Aufwachsen, die Erziehung und Bildung der Kinder zu sichern“ (Art. 48, Abs. 1).

Näheres regelt das Bürgerliche Gesetzbuch, der sog. Cod Civil. Dort heißt es, als Ehegatten würden ein Mann und eine Frau verstanden, die miteinander verheiratet seien (Art. 258, Abs. 4). Weiterhin heißt es klar: „Die Ehe ist die nach freiem Willen geschlossene Einheit zwischen einem Mann und einer Frau […] Der Mann und die Frau haben das Recht zu heiraten, um eine Familie zu gründen“ (Art. 259, Abs. 1f).

Das von der Regierung initiierte und von vielen kirchlichen und zivilgesellschaftlichen AkteurInnen unterstützte Referendum bindet Aufmerksamkeit und Ressourcen. Um es wie beabsichtigt durchführen zu können, wurde eigens das Gesetz zur Organisation und Durchführung eines Referendums geändert – mittels Notverordnung.

Beachtlich sind auch die Kosten der Durchführung des Referendums: 163,7 Mio. RON (ca. 35 Mio. Euro) wurden veranschlagt. Innenministerium, Ständige Wahlbehörde, Telekommunikationsservice, Außenministerium und Staatssekretariat sind an den Kosten beteiligt. Damit möglichst viele teilnehmen, wird die Volksbefragung an zwei, statt wie üblich an einem Tag durchgeführt, jeweils von 7 bis 21 Uhr. 6 Millionen Stimmen werden gebraucht, damit es gültig ist.

Deshalb sollen auch die Stimmen der weltweiten rumänischen Diaspora möglichst umfassend abgeschöpft werden. Die etwa 4 Millionen rumänischen Staatsangehörigen außerhalb Rumäniens können in 377 Wahllokalen, 14 davon in Deutschland, ihre Stimme abgeben – das sind 83 Wahllokale mehr als noch zur Präsidentschaftswahl vor vier Jahren.

In den letzten Wochen ist in Rumänien ein regelrechter Kulturkampf ausgebrochen. Die InitiatorInnen des Referendums werben massiv in den sozialen Netzwerken, auf ihren Online-Portalen und in den Fußgängerzonen.

Die „Koalition für die Familie“ ist eine der Organisatorinnen. Sie bezeichnet sich selbst als zivilgesellschaftliche Organisation, deren Ziel die Förderung der Familien in Rumänien sei. „Wir haben das verfassungsmäßige Recht und die moralische Verpflichtung, sie [die Familie] vor jenen Tendenzen der modernen Gesellschaft zu verteidigen, die ihre Bedeutung schmälern und ihren Niedergang beschleunigen“, heiß es auf der Homepage der Organisation. Die moralischen und kulturellen Werte des rumänischen Volkes stünden dabei Pate.

Genau diese Mischung aus Modernitätsskeptizismus und Volkstümelei ist ein altbekanntes Muster in Rumänien - nahezu genauso alt wie die rumänische Nation selbst. Und ganz selbstverständlich war die Zugehörigkeit zu Europa nie, zumal die Geographie und die Religion Rumänien lange Zeit eher dem östlichen Raum zuwiesen. Immer aber gab es sie: diejenigen, die Rumänien als selbstverständlichen Teil Europas betrachteten. Mit dem Systemwandel von 1989 trat Rumänien dann offiziell den „Weg zurück nach Europa“ (Iliescu) an und dürfte seit dem Beitritt zur EU 2007 wieder als in Europa angekommen gelten. Was das Referendum nun zeigt, ist, dass längst nicht alle den Weg nach Europa mitgegangen sind, bzw. bereit sind, ihn in Zukunft mitzugehen.

Die BefürworterInnen des Referendums argumentieren, man müsse die Kinder davor schützen, in homosexuellen Partnerschaften aufzuwachsen. Offiziell ist es kein Referendum gegen die Rechte von LGBT-Personen, sondern eins für die Rechte von Kindern. Jedoch kanalisieren die Dutzenden Kampagnen und Videos sehr wohl die kollektive Homophobie in Rumänien. Der Hass gegen Regenbogen-Personen kommt als Liebe zu Kindern daher. Dabei haben LGBT-Personen in Rumänien auch ohne Referendum nichts zu lachen. Erst 2001 wurde die Strafbarkeit von Homosexualität abgeschafft – eine Vorbedingung zur Aufnahme des Landes in die EU. Abgeordnete und Senatoren der extremistischen Partei der nationalen Einheit der Rumänen (PUNR) und der Großrumänienpartei (PRM) wetterten damals, dies zerstöre den Nationalstolz.

Seit an Seit mit den Nationalisten kämpfte damals die Rumänisch-orthodoxe Kirche. Heute unterstützt sie tatkräftig das Referendum - als zuverlässige Partnerin der Regierung. Seit dem Zusammenbruch des Kommunismus ist die orthodoxe Kirche bemüht, wieder eine Rolle im Lande zu spielen. Ihren Status als dominanter Kirche hatte sie schon 1948 verloren; in der aktuell gültigen Verfassung ist Religionspluralismus verankert. Obwohl sie also keine Staatskirche oder Staatsreligion mehr ist, gebärdet sie sich als eben solche. Dass mag auch daran liegen, dass sich in Rumänien, wo Ethnie und Religion traditionell stark korrespondieren, zuletzt 86 Prozent der Bevölkerung als dem orthodoxen Christentum zugehörig erklärten. Ihrem Selbstverständnis nach ist die orthodoxe Kirche Hüterin der rumänischen nationalen Identität und der Moral im Lande.

Und darum geht es beim Referendum wirklich: um die nationale Identität. Der entfesselte Kulturkampf ist im Kern ein Nation-Building-Projekt. Ging es vor ein paar Wochen noch um die Aufklärung der Polizeigewalt vom 10. August – so geht es heute um die Zukunft der rumänischen Nation. Ein Coup gegen alle, die verurteilte StraftäterInnen nicht in öffentlichen Ämtern wollen, die die grassierende Korruption im Lande kritisieren, die sich auflehnen gegen eine Regierung, die nur mit sich selbst beschäftigt ist, die sich von der postkommunistischen Sozialdemokratischen Partei (PSD) nicht repräsentiert fühlen, die auf gepackten Koffern sitzen oder die täglich die katastrophalen Zustände in den rumänischen Spitälern, Schulen oder Gefängnissen mit ansehen müssen. Mit einem Schlag sind sie alle entwaffnet.

Dies sieht auch die Evangelische Kirche Rumäniens so. Das Referendum führe keine wesentliche Änderung herbei, vielmehr lenkten Parlamentsmehrheit und Regierung das Augenmerk auf ein „Scheinthema“. In einem Schreiben, was sie auf der Kirchen-Hompage veröffentlichten, schreiben die Kirchenvertreter weiter: „Ziel ist von ihrer Korruption, Rechtsbeugung, Vetternwirtschaft, Demokratie- und EU-Feindlichkeit abzulenken. Sie missbraucht die Gläubigkeit der rumänischen Bevölkerung, um sich als Heil- und Wohlstandsretter des Landes anzupreisen. Sie polarisiert und politisiert eine christliche Initiative, um ihre politischen Gegner zu diskreditieren. Sie nimmt eine Spaltung der religiösen christlichen Bevölkerung in Kauf. Populistische, nationalistische, diktatorische Parolen werden propagiert, die einer Kirche nicht würdig sind. Dafür ist [sich] unsere Kirche jedenfalls zu schade“.

Damit dürften die Vertreter der Evangelischen Kirche A.B., wie sie in Rumänien heißt, den Kern der Sache getroffen haben. Welch Geistes Kind manche Befürworter des Referendums – oder die Gegner seiner Gegner – sind, zeigen denn auch die Reaktionen auf diese mutige Positionierung. Schon wenige Stunden nach Veröffentlichung des Textes erhielten VertreterInnen der Evangelischen Kirche A.B. Schmähbriefe und Hassmails. Ein Absender mit dem Pseudonym „Big Baloo“ wendete sich an die Kirchenvertreter mit der Frage „Welchem Gott dienen Sie, Ihre Niederträchtigkeiten?“ Nachdem er die ablehnende Haltung Luthers zur Homosexualität aus einem englischen Text eingefügt hat, geht er dazu über, die Kirchenoberen übel zu beschimpfen. „Sie können sich reinwaschen vor der LGBT-Community, werden aber für schuldig befunden werden des Fluches, welcher über dieses Land kommen wird, allein wegen des Schlafes, in den Sie in einem solch kritischen Moment gefallen sind“.

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