Wo der Spaß aufhört

Serie In „The Good Fight“ ist der Unterschied zwischen realer Politik und realer Satire praktisch aufgehoben
Ausgabe 33/2020

Es gibt fiktionale Serien, in die man flüchten kann. Mit denen man sich in fremde Welten und Zeiten katapultiert, zu Feen, Elfen und Drachen; zu Held*innen mit Superkräften; in die 50er Jahre des letzten oder die 70er Jahre des 18. Jahrhunderts – nur möglichst weit weg von der Gegenwart und ihren unüberwindbaren Herausforderungen. Und es gibt Serien, die nah an der Realität operieren. Aus denen man Erkenntnisse gewinnen kann, die sonst nur einem eingeweihten Teil der Menschheit eröffnet werden. Die Welt des Rechts ist ein beliebtes Seriengenre. Komplexe juristische Herausforderungen bildet es jedoch oft nur vereinfacht ab. In Suits etwa werden zwar real wirkende Fälle verhandelt und Paragrafen zitiert. Eigentlich ist die Geschichte über einen Top-Anwalt, einen hochbegabten Lawschool-Abbrecher und diverse weibliche Sidekicks jedoch als Familiendrama konzipiert: Harvey (Gabriel Macht) und Jessica (Gina Torres), die Kanzleichefin und ihr bestes Pferd im Stall, sind die strengen, aber gutherzigen Eltern, die zwischen Verantwortung und Laufenlassen ihrer begabten Kinder Mike (Patrick J. Adams) und Rachel (Meghan Markle) schwanken, flankiert von klassischen verwandtschaftlichen Figuren wie dem schrulligen Nenn-Onkel Louis (Rick Hoffman) und der Allesbesserwisser-Tante Donna (Sarah Rafferty).

Unrecht liebevoll umarmen

Andere Anwaltsserien, vor allem jene mit einem wortwörtlichen Fall pro Folge, nutzen rechtliche Fragen zuweilen als Hintergrund für eine emotionale Entwicklung ihrer Figuren: In The Good Wife beginnt die betrogene Gattin eines Staatsanwalts (Julianna Margulies als Alicia Florrick) nach Jahren des Hausfrauendaseins wieder als Anwältin zu arbeiten. Die Serie von Robert und Michelle King hat sich von wahren Begebenheiten wie dem Skandal um den demokratischen Politiker Eliot Spitzer inspirieren lassen, der – genau wie Alicias Ehemann – aufgrund seines Umgangs mit Prostituierten zurücktreten musste.

Doch es ist ein ebenfalls vom Ehepaar King konzipiertes Spin-off von The Good Wife, die seit 2017 auf CBS laufende Serie The Good Fight, das sich bislang am meisten vom familiären Aufbau entfernt hat: In The Good Fight geht es vor allem um Haltung im politischen Sinne. Das Storytelling kreist um tatsächliche Probleme der US-amerikanischen Bevölkerung, die den vorgegebenen Beispielsfällen zugrunde liegen, um den Einfluss der Politik auf die Judikative, um jahrhundertalte Strukturen – und um den Versuch, diese Angelegenheiten (zunächst) legal zu lösen. Neben der ernst zu nehmenden und erstaunlich unterhaltsamen Didaktik, die in der speziellen Machart der Serie steckt, wird zudem der Standpunkt der Macher*innen deutlich: Eine Gesellschaft unter Donald Trump wird an den eigenen, in langen, verbissenen Streiten und Diskussionen erkämpften Regeln scheitern. Weil Trumps Führungsstil und damit sein Vorbild Dinge wie Rassismus, Korruption, Misogynie und soziale Ungerechtigkeiten nicht nur ermöglichen, sondern liebevoll umarmen.

„Es ist merkwürdig, wie schnell heutzutage Realität wird, was als Satire begonnen hat“, sagt die als Nebenfigur in The Good Wife etablierte Good-Fight-Protagonistin Diane (Christine Baranski) einmal zu ihrer Kanzleikollegin Liz (Audra McDonald). Diane ist über 60, Demokratin, weiß, verheiratet mit dem die Republikaner wählenden Waffenexperten Kurt (Gary Cole) – und eine Kämpferin für „das Gute“. Die Afroamerikanerin Liz, die erst in Staffel 2 zu „Reddick, Boseman & Kolstad“ zurückkehrt, hat zunächst Probleme mit der Idee ihres Ex-Mannes und Kanzlei-Managers, des stets in ausgewählten Zwirn gekleideten Adrian Boseman (Delroy Lindo), die weiße Anwältin in die afroamerikanische Prestige-Kanzlei aufzunehmen. Doch Adrian rechnet erfolgreich mit einer Erweiterung des Klient*innen-Spektrums.

Somit trägt The Good Fight sein Ziel, die komplexe und tiefgehende Auseinandersetzung mit Misogynie, Altersdiskriminierung, vor allem aber mit strukturellem Rassismus in den USA, von Anfang an vor: Diane ist privilegiert, alt und weiß – aber eben kein „weißer alter Mann“. In den Tausenden von Spannungsfeldern zwischen Privilegien und Vorurteilen haben die Kings ihr großes, flexibles Personenkarussell installiert. Neben Diane, Liz und Adrian sind da: Dianes Patentochter Maia (Rose Leslie), eine schüchterne weiße Neu-Anwältin, deren Herkunft und deren Verbindung zu Diane ihr den Weg zu ebnen scheinen; die ehrgeizige afroamerikanische Anwältin Lucca Quinn (Cush Jumbo), deren Status als Tochter multiethnischer Eltern sie zuweilen zwischen sich langsam bildende Fronten schiebt; die unerschrockene Rechtsgehilfin Marissa (Sarah Steele) aus reichem jüdischen Elternhaus; der lakonische afroamerikanische Ermittler Jay (Nyambi Nyambi) und Julius (Michael Boatman), der als schwarzer Republikaner eine Außenseiterposition in der Kanzlei besetzt – neben diversen, von Fall zu Fall hinzutretenden anderen Mitarbeitern.

Affront gegen Gewohnheiten

Doch trotz der gut ausgearbeiteten, glaubhaften und spannenden Figurenzeichnungen sind es eher die universalen Zusammenhänge, die in The Good Fight im Vordergrund stehen, als Liebesleben oder persönliche Motive der Protagonisten. Beiläufig zeigt die Story die Wechselwirkungen von Kapitalismus, politischer Einflussnahme, Rassismus und Sexismus auf, etwa in einer Nebenstory über die unterschiedlichen Honorare von weißen und schwarzen Mitarbeiter*innen, in der Kanzleichef Adrian Boseman zugibt, dass die schlechtere Bezahlung genauso eine Folge von Kapitalismus wie von Rassismus ist: Die weißen Mitarbeiter*innen würden in anderen Kanzleien mehr bekommen. Darum muss man sie mit einem höheren Gehalt halten. Darüber hinaus kann man bei The Good Fight (zuweilen mit Hilfe von kleinen, mit Songs unterlegten Cartoons) lernen, was „Microtargeting“ bedeutet; mit welchen Methoden das „Democratic National Committee“ in den Wahlkampf zieht; wie rechtsradikale Netzwerke arbeiten; wo die Probleme beim Aufrechnen von Rassismus und Transdiskriminierung liegen; nach welchen Regeln Polittalkshows im US-Fernsehen konzipiert werden; wie windig sich millionenschwere Kanzleien eigentlich finanzieren; und inwiefern man Google, das in der Serie aus rechtlichen Gründen „Chumhum“ heißt, mit ebendiesen rechtlichen Gründen beikommen kann.

Dass der Fokus stärker auf realen Tatsachen als auf den fiktiven Handelnden liegt, lässt diese Handelnden dennoch nicht langweilig werden. Ganz langsam und bestimmt wird beispielsweise Dianes Entwicklung vom demokratieüberzeugten Hillary-Clinton-Aficiniado über die mit „microdosing“ experimentierende Desillusionierte zur Aikido-Praktizierenden und Axtwerferin erzählt – vorerst wirft die stets ausgesprochen beherrscht agierende Frau die Äxte zwar noch zum Spaß. Aber es kommt der Tag, da will die Säge sägen. Und Dianes politisches Bewusstsein verändert sich angesichts der Zustände unter Trump, mit dessen Inauguration (und Dianes ungläubigem Blick auf den Bildschirm) die Serie begann.

Allein die Figur der Diane Lockhart ist dabei bereits ein Affront gegen die Sehgewohnheiten: Üblicherweise haben weiße, ältere Frauen in Serien vor allem mit dem Alter, ihrem Äußeren und ihren Liebesproblemen zu kämpfen. Dass Diane, Liz, Lucca und den anderen eigenständige, handlungsrelevante Gedanken und Ermittlungen zugestanden werden, ist schön zu sehen.

Und so entwickelt man, obwohl es für die Rezeption gar nicht nötig ist, durchaus Gefühle für die Charaktere, man „shippt“ (Serienslang für den Wunsch, zwei Charaktere mögen zusammenkommen) Lucca und den weißen Staatsanwalt Colin (Justin Bartha), Marissa und einen komischen Polizisten, Adrian und die schwarze, amazonenhafte Richterin Charlotte (Tamberla Perry), eine der wenigen spleenfreien Richter*innen in der von grotesken Robenträger*innen nur so wimmelnden Show. (Welche*r dieser Würdenträger*innen am Ende einem monströsen Korruptionsproblem in der US-amerikanischen Rechtsprechung unterliegt, bleibt aus Spoilergründen ungesagt.)

Klar ist aber: Wenn die nächste Staffel nach der Zwangspause zurückkehrt, kann es eigentlich nur um Corona gehen. Und keiner wird einem besser erklären, was die Pandemie gesellschaftlich anrichtet, wie sie spaltet, polarisiert und ändert, als die Chicagoer Rechtsexpert*innen. Zu schade, dass es sie nicht in Wirklichkeit gibt.

Info

The Good Fight Original auf CBS, Staffel 1 – 3 verfügbar bei Amazon, iTunes, Magenta usw., aktuelle 4. Staffel bei Sky

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