Die rechteste Regierung seit 1946 – Giorgia Meloni lässt ihrem Führungswillen freien Lauf

Autoritäre Versuchung Italiens antifaschistische Verfassung muss jetzt erst recht verteidigt werden, auch durch eine außerparlamantarische Opposition
Ausgabe 43/2022
Sehr weit rechts: Giorgia Meloni stellt mit ihrer Regierung sogar Silvio Berlusconi in den Schatten
Sehr weit rechts: Giorgia Meloni stellt mit ihrer Regierung sogar Silvio Berlusconi in den Schatten

Foto: IMAGO/Zuma Wire

Gegen Ende einer von Turbulenzen geprägten Woche ging alles sehr schnell. Nach diversen Störmanövern mussten Matteo Salvini (Lega) und Silvio Berlusconi (Forza Italia) sich eingestehen, dass sie nur Juniorpartner im siegreichen Rechtsblock sind, für den Giorgia Meloni von den Fratelli d’Italia den Ton angibt. So wurde nichts aus Salvinis Herzenswunsch, noch einmal, wie schon 2018/19, als Innenminister den starken Mann spielen zu können. Stattdessen musste er sich mit dem Ministerium für Infrastruktur abfinden, ist aber einer von zwei Vizepremiers, gleichberechtigt mit Antonio Tajani, dem neuen Außenminister von Berlusconis Forza Italia.

Für Letzteren ist das allerdings nur ein Trostpreis: Er wollte für seine Partei die Ressorts für Justiz und wirtschaftliche Entwicklung. Darüber hinaus verlangte er penetrant einen Ministerposten für seine Vertraute Licia Ronzulli. All das scheiterte an Melonis Veto. Dem 86-jährigen Ex-Premier blieb nur eine billige Retourkutsche. Auf einem handgeschriebenen Zettel, dessen Inhalt umgehend – und sicher nicht aus Versehen – an die Öffentlichkeit gelangte, bezeichnete der Gedemütigte Meloni als „1. eingebildet; 2. überheblich; 3. arrogant; 4. beleidigend“. Sie zeige „keine Bereitschaft, einzulenken. Eine, mit der man sich nicht vertragen kann.“ Den fünften Punkt – sie sei „lächerlich“ – hatte er gestrichen. Wenn sich gerade jemand lächerlich gemacht hat, dann Berlusconi selbst.

Dessen Bosheiten auf Schulhofniveau konnten die Regierungsbildung nicht aufhalten. Schon am 22. Oktober erschien Meloni mit ihren Ministerinnen und Ministern zur Vereidigung bei Staatspräsident Sergio Mattarella. Damit konnte die rechteste Regierung seit Gründung der demokratischen Republik im Juni 1946 die Arbeit aufnehmen. Melonis Partei bekam neun Ressorts, dazu das Sekretariat der Premierministerin, eine Art Kanzleramt; je fünf Ministerien erhielten die Lega und Forza Italia. Weitere fünf gingen an parteilose Technokraten, darunter das Innenressort. Melonis erster Akt war ein Dekret zur symbolträchtigen Umbenennung wichtiger Ministerien. Ihr Vertrauter Adolfo Urso, ein Veteran aus den Zeiten des neofaschistischen MSI, soll künftig nicht die Wirtschaft schlechthin, sondern Unternehmen und „Made in Italy“ fördern. Das Agrarressort dient fortan der „Ernährungssouveränität“, zur Aufgabe der Familienpolitik gehört ab sofort die Steigerung der „Geburtenrate“ (natalità). Die neuen Schilder an den alten Gemäuern erinnern an Zeiten, als Autarkie und nationale Größe offen proklamierte Staatsziele waren. Nicola Fratoianni, Generalsekretär der Italienischen Linken (Sinistra Italiana), spottete, in der Liste fehlten nur noch ein Kolonialministerium und eines für „Korporationen“, wie die Staatsorgane zur Wirtschaftslenkung während des historischen Faschismus hießen.

So sendet die neue Regierung ihre Signale auch an die außerparlamentarische extreme Rechte, die sich gerade auf ein besonderes Jubiläum vorbereitet: Vor 100 Jahren, am 29. Oktober 1922, wurde Benito Mussolini von König Vittorio Emanuele III. zum Regierungschef ernannt. Vorausgegangen war ein faschistischer „Marsch auf Rom“, der zum Mythos wurde. Bis heute gilt er den Ultrarechten als leuchtendes Beispiel für eine „nationale Revolution“, die angeblich Italiens Aufstieg zu imperialer Größe angestoßen hat. Es wäre falsch, Meloni ähnlich abenteuerliche Ambitionen zu unterstellen, auch wenn sie eine klare Verurteilung des Faschismus bisher vermieden hat. Im Wahlkampf nannte sie genau drei „Irrtümer“, die Mussolini begangen habe: die Abschaffung der Demokratie, die antisemitischen „Rassengesetze“ und das Bündnis mit Hitler.

Autoritäre Versuchung

Dem Forum der antifaschistischen Organisationen reicht diese Relativierung nicht. In einem Appell an die Regierung und die beiden Parlamentskammern fordert es eine klare Verurteilung des Faschismus von Anfang an. Zugleich warnt das Forum, zu dem auch die Partisanenvereinigung ANPI gehört, vor Anschlägen auf die Verfassung von 1947. Deren Autoren hatten unter dem Eindruck des Faschismus und inspiriert vom Befreiungskampf der Resistenza eindeutige antifaschistische Garantien formuliert. Dazu gehören das Zweikammersystem und das (nie konsequent umgesetzte) Verbot faschistischer Neugründungen in der Tradition von Mussolinis Partito Nazionale Fascista. Die jetzt regierende Rechte will ein autoritäres Präsidialsystem, das der Exekutive mehr Macht gibt und den Einfluss des Parlaments verringert. Das haben schon andere durchzusetzen versucht, bislang ohne Erfolg, weil besonders der außerparlamentarische Widerstand stärker war.

Darauf richten sich auch diesmal berechtigte Hoffnungen. Weniger wahrscheinlich ist, dass die rechte Koalition an ihren zahlreichen Konflikten vorhersehbar zerbricht. Ausgeschlossen ist es nicht: Silvio Berlusconis erste Regierung aus Forza Italia, Lega Nord und der neofaschistischen Alleanza Nazionale war 1994 schon nach 251 Tagen am Ende.

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