Öffentlich speisen

Der Koch Andrea Nahles (SPD) nippt zurückgelehnt an einem Glas Rotwein, Alexander Dobrindt (CSU) lächelt ihr zu. Wie politisch ist ein Glas Chianti?
Ausgabe 45/2013
Öffentlich speisen

Illustration: Otto

Kann es ein harmonischeres Bild der neuen Großen Koalition geben? Die SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles und ihr Gegenüber von der CSU, Alexander Dobrindt, sitzen gemeinsam beim Italiener. Nahles nippt zurückgelehnt an einem Glas Rotwein, Dobrindt lächelt ihr zu.

Die Aufnahme, die vergangene Woche von der Bild-Zeitung veröffentlicht wurde, könnte zum emblematischen Foto der neuen Regierung werden. Ganz ähnlich wie eines der Urbilder von Rot-Grün 1998: Joschka Fischer und Gerhard Schröder feiern da ausgelassen mit Sektflöten in der Hand. Oskar Lafontaine daneben steht schon ein wenig im Hintergrund. Es lässt sich viel in das aktuelle Motiv hineinlesen: Wenn schon die beiden zum Essen gehen, zu deren Job eigentlich gehört, Aufeinandertreffen möglichst unverdaulich zu gestalten, wie ist es dann erst um den Rest von Schwarz-Rot bestellt? Und das zu einem Zeitpunkt, da die Sondierungsgespräche gerade erst am Anfang sind. Haben Hannelore Kraft und Angela Merkel am Ende schon gemeinsam Streusel gemacht? Und wenn ja, wie ist das einzuordnen?

Die Frage ist nicht zu beantworten. Wie der Politikwissenschaftler Lars Geiges vor Kurzem in der Zeitschrift Indes dargestellt hat, ist das kulinarische und gastronomische Feld in der Politologie ein bisher sträflich unbeachtetes Forschungsgebiet. Dabei gäbe es darüber viel zu sagen. Von Pressefrühstücken über Empfänge bis zu Dinners: Das öffentliche Essen gehört noch heute so zum Geschäft der Mächtigen wie seit Jahrhunderten – auch wenn in Zeiten der Demokratie nicht mehr ein ganzer Hofstaat darauf wartet, zum Löffel greifen zu dürfen, nachdem der Regent den ersten Bissen getan hat.

Die Mahlzeit im politischen Raum, daran erinnert Geiges dankenswerterweise, ist praktizierte Herrschaft. Niemand hat diese übrigens besser beherrscht als einer der größten Könner im Umgang mit Macht, nämlich Helmut Kohl. Er scharte oft mehrere Male in der Woche ein Küchenkabinett um sich, das aus Mitarbeitern wie Ministern bestand. Bei ausgiebigen Völlereien waren die üblichen Hierarchien schnell obsolet, sodass sich richtige Arbeitssitzungen entwickelten. Aber nirgendwo sonst erlaubte sich der Kanzler gleichzeitig, andere so abzukanzeln, als in den Momenten, wenn die Teller abgeräumt waren.

Auch ein erstes Essen, eine einfache Verabredung – das weiß jeder aus eigener Erfahrung – bietet unzählige Möglichkeiten der Machtausübung. Wer lädt ein? In welches Lokal? Trifft man sich am Ende auf neutralem Boden? Oder in Wahrheit doch im zweiten Wohnzimmer des anderen? All dies wären interessante Informationen, um das Treffen von Nahles und Dobrindt besser beurteilen zu können.

Gesetzt, dass es im politischen Raum nur selten um Harmonie geht, stellen sich noch viel weitergehendere Fragen. Beanspruchen hier zwei Esser als Erste die Definitionsmacht, dass es zu Schwarz-Rot keine Alternativen gibt – trotz aller Hürden, die vielleicht noch auftauchen? Sollen wir die, die gestern noch als Scharfmacher galten, morgen als Architekten der Koalition bezeichnen? Weil Dobrindt und Nahles jeder für sich schon an die Post-Merkel-Ära denken. Natürlich sind all diese Fragen pure Spekulation. Die Rituale und Routinen der politischen Mahlzeit sind weiße Löcher für den professionellen Beobachter. Wenn zwei sich zum Essen treffen, dann soll es menscheln. Und eines ist sicher, im Fall Nahles-Dobrindt wird es nicht das letzte Mal gewesen sein. Denn die Bild weiß auch, wer die Rechnung übernommen hat. Nicht etwa die Kanzlerin, sondern Dobrindt.

In heutigen Zeiten kaum zu glauben, dass sich Frau Nahles da nicht revanchieren wollte.

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Geschrieben von

Jörn Kabisch

Stellvertretender Chefredakteur des Freitag von 2008 - 2012 und Kolumnist bis 2022, seitdem Wirt im Gasthaus zum Schwan in Castell

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