Wo ist hier die Zukunft?

Gender „The future is female“? Nicht überall: Der Frauenanteil im Bundestag ist so gering wie seit 1998 nicht mehr
Ausgabe 40/2017
Vorbeitungen für die neue Sitzordnung im Bundestag
Vorbeitungen für die neue Sitzordnung im Bundestag

Foto: John MacDougall/AFP/Getty Images

Ich denke an die erste Welle der Frauenbewegung. Frauen kämpften dafür, am politischen Leben teilnehmen zu können. Dabei stießen sie auf viel Widerstand, auch von anderen Frauen. 1918 wurde das Frauenwahlrecht eingeführt. In der Geschichte der Bundesrepublik saßen bis 1987 nie mehr als zehn Prozent Frauen im Bundestag. Ab dann stieg der Prozentsatz. Jetzt, 2017, sinkt der Frauenanteil wieder, von 37 auf 31 Prozent (der Freitag 39/2017). So gering war der Frauenanteil zuletzt 1998. Ich bin enttäuscht. Ich habe gedacht, es ginge voran? Ich habe mir die Zukunft anders vorgestellt.

Ich denke an die zweite Welle der Frauenbewegung. 1975 machte in New York der erste Frauenbuchladen auf. Die Fotografin Liza Cowan knipste vor dem Gebäude ihre Freundin Alix Dobkin. Die trug ein T-Shirt mit der Aufschrift „The future is female“. Heute ist der Spruch wieder da. Noch nie liefen so viele Menschen mit diesem Slogan auf dem T-Shirt oder Pullover rum. Ich frage mich, wenn die Zukunft schon 1975 weiblich war, was ist bloß mit dem heutigen Jetzt passiert? Ich stelle mir gerne vor, dass alles mit der Zeit immer besser wird. Doch das Jetzt ist immer die Summe von verschiedenen, sich teilweise widersprechenden Kämpfen. Es gibt keine geradlinige Entwicklung. Das zeigt auch der neue Bundestag. Tschüss, du Glaube an Fortschritt und daran, dass alles besser, also feministischer wird!

Menschen setzen sich ein und fällen Entscheidungen. Und wer entscheidet sich wie? Ich stelle fest: Frauen tun das nicht unbedingt feministisch. Ich kann als Frau eine sexistische Politik unterstützen. Ich kann als Lesbe Mitglied einer homophoben Partei sein. Schwierig. Da haben sich andere auch schon gewundert, dass sich die Arbeiter nicht allesamt für den Kommunismus einsetzen. Meine Identität bestimmt nicht, was für Entscheidungen ich treffe. Jedenfalls nicht automatisch. Ich kann nicht davon ausgehen, dass Frauen im Bundestag feministische Politik machen. Aber ich will trotzdem mehr Frauen im Bundestag sitzen sehen.

Übrigens: Nicht nur bei der AfD, auch bei der CDU, CSU und der FDP ist der Frauenanteil erschreckend gering. Bei Grünen und Linken sind mehr als die Hälfte Frauen, bei der SPD etwas weniger als die Hälfte. Es soll ja Leute geben, die wollen, dass sich alle zu Feministen erklären, aber dabei nicht über politische Einstellungen und Unterschiede diskutieren. Und der Spruch „The future is female“ kommt eigentlich aus der lesbischen Separatistinnen-Bewegung. Die haben nicht viel auf Parteipolitik gegeben.

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