Die Normalisierung der AfD

Bundestagswahl Das Wahlergebnis der AfD sollte uns besorgen: Eine rechtsnationale Partei etabliert sich und darf sich auf Fördergeld für antidemokratische Bildung freuen

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Mit Hashtags allein ist es leider nicht getan
Mit Hashtags allein ist es leider nicht getan

Foto: Omer Messinger/Getty Images

Im Ergebnis bestätigt die Bundestagswahl für die Alternative für Deutschland (AfD) vieles, was erwartbar war: Die Rechtsaußenpartei kann von der Corona-Pandemie und den damit verbundenen Eindämmungsmaßnahmen kaum profitieren; stattdessen gilt sie weitgehend als ein chaotisches Sammelbecken unfähiger und streitender Protofaschist*innen, das durch innere Selbstzerfleischung davon abgehalten wird, Themen zu den eigenen Gunsten zu setzen. Und daher verlor die AfD am 26.09.2021 auch einige Stimmen im Vergleich zur Bundestagswahl 2017: Erreichte sie 2017 noch 12,6 Prozent der Zweitstimmen und war damit drittstärkste Partei, so sind es diesmal nur 10,3 Prozent als fünftstärkste Partei. 2017 zogen sie mit 94 Abgeordneten ein (von denen einige dann Fraktion und Partei verließen), diesmal nur mit 82 Abgeordneten.

Aber das ist kein Grund zur Freude. Denn die Wahl zeigt auch, dass die AfD sich stabilisiert und gefestigt hat, besonders im Osten eine feste Größe, teilweise stärkste Kraft ist (in Sachsen und Thüringen) und viele Direktmandate gewinnen konnte (16 Stück; 2017 waren es nur drei). In allen ostdeutschen Bundesländern erreichte sie zwischen 18 und 24 Prozent der Zweitstimmen. Durch den erneuten Bundestagseinzug werden ihr zudem hohe staatliche Zuwendungen für die parteinahe „Stiftung“ zustehen. Erleichtert zu sein, weil die Partei den ein oder anderen Prozentpunkt verloren hat, ist Ausdruck einer Normalisierung der Rechtsextremist*innen und Faschist*innen im Bundestag und äußerst beunruhigend. Die alarmierende, vorhersehbare Erkenntnis der Wahl mit Blick auf die AfD sollte die schockierte Feststellung sein, dass sie tatsächlich wieder in den Bundestag eingezogen ist.

Der rechtsradikale Kern im Osten

Im Wahlkampf keiner Partei ging es dezidiert um Demokratieförderung, um Rechtsextremismus, Antisemitismus und Rassismus oder um die Gestaltung einer Einwanderungsgesellschaft. Das ist fatal und führt auch nach der Wahl zur Verharmlosung der AfD. Im Ergebnis schaden der Partei die inneren Konflikte, Spenden-Affären, die Einstufung als rechtsextremer Verdachtsfall und ihre Radikalisierung nicht. Stattdessen zeigt sich der Kern ihres rechtsradikalen Wähler*innenpotenzials – besonders in den ostdeutschen Bundesländern.

In den „alten“ Ländern gab es für die AfD nur im Saarland keine Einbußen im Zweitstimmenergebnis; auch in den „neuen“ Ländern konnte sie nur in Sachsen-Anhalt ihr Ergebnis halten (19,6 Prozent) und nur in Thüringen verbessern (24 Prozent). Ihre Erststimmenergebnisse hingegen verbesserte sie in Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen und Mecklenburg-Vorpommern. In Sachsen erlangte sie sogar ein besseres Erst- als Zweitstimmenergebnis und gewann dort 10 Direktmandate. Tino Chrupalla gewann seinen Wahlkreis Görlitz mit 35,8 Prozent. Außerdem gab es vier Direktmandate in Thüringen und zwei in Sachsen-Anhalt.

Gewählt wird die AfD vorrangig aus Überzeugung, nicht mehr aus Protest; sie wird aus inhaltlichen Gründen gewählt. Kernanliegen ihrer Wähler*innen ist weiterhin Migrationspolitik. Diese basiert vor allem auf dem Konzept einer „Abschiebeoffensive“ und findet sich in so gut wie jedem Programmpunkt wieder. Auch wer Angst um seine Zukunft hat bzw. davor, seinen Lebensstandard zu verlieren, wählt vorrangig AfD. Als ostdeutsche Interessenvertretung wird die AfD quasi gleichermaßen gesehen wie Die Linke. Im Osten ist die AfD die Partei des Freiheitskampfes und hat Erfolg damit, ein Bild der BRD als Diktatur analog zur DDR zu zeichnen. Und sie punktet gerade mit ihrem im Osten noch rechtsradikaleren Auftreten.

Die faschisierte Jugend?

Bei der U18-Wahl, bei der im Vorfeld der Bundestagswahl Kinder und Jugendliche, die noch nicht wahlberechtigt sind, zur Probe abstimmen können, lag die AfD in Sachsen ebenso wie in Thüringen vorne. Dabei zeigt sich ein klares Stadt-Land-Gefälle, da in den Städten mal die Grünen, mal die SPD und mal die FDP am stärksten sind, auf dem Land dagegen konsequent die AfD. Im ländlichen Raum Ostdeutschlands ist die AfD anschlussfähig und kann problemlos Nationalismus, Rassismus und Demokratiefeindlichkeit bedienen: Auch die letzten Leipziger Autoritarismusstudien (ab Seite 34) zeigten für den Osten Zustimmungswerte zu etwaigen Aussagen, die stellenweise doppelt so hoch waren wie im Westen. Das ist immer noch das Ergebnis politischen Versagen seit der „Wende“. Im Osten sind rechtsextreme Strukturen am besten ausgebaut, besser als demokratische Bildungsangebote. Insofern muss besorgt auf eine faschisierte Jugend geblickt werden, deren erste Bezugspunkte zu Politik vielleicht nicht mehr die alten NPD-Schulhof-CDs sind, dafür aber rechtsextreme Normalpräsenz auf jegliche Weise. Rechtsextreme Raumnahme, wie es sie bereits seit der „Wende“ gibt, hilft heute der AfD. Neonazis aus dem Westen ziehen systematisch in den Osten, kaufen im ländlichen Raum Immobilien, starten Projekte, schaffen Strukturen, sind präsent, helfen der Dorfgemeinschaft und schüchtern Linke und als „Ausländer“ gelesene Menschen ein. Mit der Kampagne „Zusammenrücken Mitteldeutschland“ nimmt diese Entwicklung wieder neuen Schwung auf. Dafür wird auf Telegram mit schönen Bildern ostdeutscher Landschaften geworben. Die Erzählung ist simpel: Westdeutschland ist verloren, in Mitteldeutschland können wir noch ungestört Herrenrasse sein und daran arbeiten, alles wieder „rein“ zu halten. Ein „national befreiter“ Osten als Ziel bedeutet ein nationalsozialistisch organisierter Osten.

Fördergelder gegen politische Bildung

Der erneute Einzug der AfD in den Bundestag bringt noch weiteres, tiefgehendes und nachhaltiges Unheil mit sich: Nach geltender Praxis stehen der AfD-nahen politischen „Stiftung“ – der Desiderius-Erasmus-Stiftung – nun staatliche Fördermittel in Millionenhöhe zu. Es geht wohl um acht Millionen Euro im ersten Jahr und sogar zweistellige Millionenbeträge danach. Damit können umfangreiche „Bildungsangebote“ aufgebaut, mehr Präsenz auch an Universitäten und Schulen geschaffen und selbst ein Stipendienprogramm aufgesetzt sowie Auslandskontakte gepflegt werden. Rechtsextreme Kaderbildung kann so mit staatlichen Mitteln (und ohne Hilfe des Verfassungsschutzes) gefördert werden. Man kann sich die Desiderius-Erasmus-Stiftung als einen zutiefst antidemokratischen Verein vorstellen, die Vorsitzende ist Erika Steinbach, Hetze gegen Geflüchtete, Antisemitismus, Sexismus, Homophobie oder Geschichtsrevisionismus sind an der Tagesordnung. Auch Marc Jongen, der rechtsnationale Partei-Philosoph, ist in hoher Position involviert, und es gibt beste Verbindungen zum neurechten „Institut für Staatspolitik“. Ein Verein, bei dem Antidemokraten das Sagen haben, wird Geld zum Zwecke der Demokratieförderung in diesem Land bekommen.

Demokratie fördern, wo sie fehlt

Eine traurige Erkenntnis der parlamentarischen Demokratie der vergangenen Jahrzehnte ist, dass auch ehemalige Arbeiter*innenparteien eine Politik für das ominöse obere eine Prozent der Gesellschaft gemacht haben: Sie haben Gewerkschaften geschwächt, Sozialhilfe gestrichen, öffentliche Grundversorgung privatisiert, dafür dann Unternehmens- und Kapitalsteuern gesenkt, Vermögenssteuern abgeschafft und natürlich Kriege geführt. Das hat Rot-Grün in Deutschland gemacht, die Labour Party in Großbritannien, und so weiter. Diese vermeintlich linken Akteure haben Maßnahmen durchgesetzt, die die Konservativen sich nicht getraut hätten. Und so ist auch klar, dass in gewissen Milieus kaum gewählt wird: In Stimmbezirken mit prekären sozialen Verhältnissen wählen oft weniger als 50% der Wahlberechtigten. In Reichenvierteln liegt die Wahlbeteiligung erheblich höher. Tendenziell ist diese Differenz steigend, und das ergibt Sinn: Für ärmere Menschen hat es tatsächlich keine Bedeutung, wen sie wählen oder ob sie überhaupt wählen – das ist Realität. Auch bei diesen Bundestagswahlen ist in den Wahlkreisen mit der niedrigsten Wahlbeteiligung die Arbeitslosigkeit höher als im Durchschnitt und das durchschnittliche Einkommen niedriger. Und rechte Parteien können von diesen Zuständen profitieren, weil sie ein realistisch erscheinendes Angebot haben. Sie stellen sich den Eigentumsverhältnissen nicht in den Weg, sondern wollen eigentlich nur die autoritären und rassistischen Anteile, die im Staatsapparat angelegt sind, verschärfen, also die Macht des Staates vertiefen. Und das Problem an der Misere nicht im System, sondern bei bestimmten Menschengruppen zu identifizieren und mit Schließung nach außen Wohlstand vermeintlich sichern zu wollen, ist naheliegend (auch wenn es falsch ist).

Ja, die Wahlergebnisse (speziell die Wahlkreisergebnisse im Vergleich) zeigen auch, dass die AfD tendenziell dort stark ist, wo diese Demokratie, von der geredet wird, nicht zu spüren ist bzw. keine positiven, schon gar nicht partizipativen Effekte vorweisen kann. Sowohl Die Linke als auch die Grünen hatten in ihren Wahlprogrammen sinnvolle Forderungen zu den Themen Demokratieförderung und Kampf gegen Rechtsextremismus, zu Löhnen, Steuern und Bildung, zu Arbeit und Verkehr. Aber damit waren sie einerseits zu leise (vor allem Die Grünen) und wurden andererseits kaum gehört (vor allem Die Linke). Die politischen Entwicklungen sind problematisch und eine gefestigte AfD muss Angst machen. Eine (zivilgesellschaftliche) Demokratisierung der Demokratie muss gelebt werden. Und dabei geht es nicht um Parteiarbeit, sondern um die Straße und um konkrete Projekte, da, wo Menschen leben. Raumnahme darf keine Paradedisziplin der Faschist*innen sein.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Julius Wolf

Über Politik, Gesellschaft, Emanzipation und Antiemanzipatorisches.

Julius Wolf

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden