Zeit für Angst und Wut

Rassismus Zwischen der Berichterstattung über „Clan-Kriminalität“ und Hanau besteht ein Zusammenhang. Auch bürgerliche Medien sind verantwortlich für Rechtsterrorismus

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Es ist kein Zufall, dass ausgerechnet eine Shisha-Bar Ziel rechten Terrors wurde
Es ist kein Zufall, dass ausgerechnet eine Shisha-Bar Ziel rechten Terrors wurde

Foto: Lukas Schulze/Getty Images

Bereits seit 2011 will Horst Seehofer (CSU, derzeit Bundesinnenminister) sich „bis zur letzten Patrone“ vor „Zuwanderung in deutsche Sozialsysteme“ wehren, wie er vor neun Jahren zum Politischen Aschermittwoch verkündete. Horst Seehofer ist einer der mächtigsten Menschen in diesem Land, und er ist gefährlich. Ja, er und viele andere wollen es nicht hören und meinen, man könne solche Aussagen im Nachhinein schon immer wieder relativieren und dann von der Verteidigung der offenen Gesellschaft sprechen. Aber nein, Horst Seehofer ist – wie viele andere PolitikerInnen und viele Zeitungen – auch Schuld an den Erfolgen der AfD, deren medienwirksamsten Köpfe offen von Säuberungsaktionen nach der Machtergreifung phantasieren, auch Schuld am Anschlag in Hanau und auch Schuld an den täglichen Angriffen auf angeblich nicht-deutsch aussehende Menschen und AntifaschistInnen. Horst Seehofer, der vorgibt Extremismus zu bekämpfen und darin seine Lebensaufgabe zu sehen, der aber gleichzeitig so dreist sein kann, zwischen sogenanntem linken und rechten Extremismus keinen Unterschied zu machen, bereitet ebenfalls den Boden für Rechtsterrorismus. Und nein, ich übertreibe nicht.

Das Bürgertum, dem sich das gesamte parteipolitische Spektrum zugehörig fühlt, hat häufig wenig Probleme damit, Hand in Hand mit (Proto-)FaschistInnen zu gehen – so wie es immer schon war. Und wenn etwas passiert, was den Mythos der bürgerlichen Mitte, der nach dem 2. Weltkrieg etabliert wurde, stört, distanziert man sich eben vom Rechtsextremismus, und neuerdings wird man auch nicht müde, sich als CSU-Mitglied über die Hetze und Stimmungsmache der AfD zu empören – und bekommt dafür tatsächlich Beifall in der linksliberalen Öffentlichkeit. Leichter kann man es dem teils symbiotischen Bündnis aus Bürgertum und nationalistischen FaschistInnen nicht machen. Es läuft wie schon häufig in der Geschichte, die einen rufen zu etwas auf (natürlich nur indirekt), die anderen vollstrecken. Und so schaukelt es sich hoch.

Wir müssen verstehen und benennen, was in diesem Land passiert und nicht der Illusion breiter bürgerlicher Bündnisse gegen rechts hinterherlaufen. Horst Seehofer versteht gar nicht, wie rechts er ist. Er denkt wirklich, sich gegen rechts zu engagieren – um im nächsten Satz wieder einem bewaffneten Menschen die Legitimation zu geben, andere Menschen anzugreifen. Dafür ist er verantwortlich zu machen. Dafür ist die BILD-Zeitung verantwortlich zu machen, die mit ihrer Berichterstattung immer wieder Akte der Selbstjustiz wie in Hanau – implizit – legitimiert. „Clans machen Deutschland zum Beuteland“ schreibt die BILD (sowie auch die BZ, alle unter Berufung auf den Titel einer ARD-Doku); Jan Fleischhauer, der wohl einfach nur aus seiner Wohlstandslangeweile heraus gerne agitiert, fragt „Wie lange wollen wir noch zusehen?“, weil angeblich „Clans“ den Rechtsstaat gefährden würden. Natürlich weiß er, dass das Quatsch ist – aber es klingt so schön reißerisch. Arabische Familienclans, die den Staat ausnutzen und kriminell sind – warum nicht einfach mal so tun, als gebe es Grund zur Sorge, dass dadurch Recht und Ordnung bedroht seien? Und um noch ein bisschen die Erzählung von importierter Kriminalität zu nähren, heißt es in der BZ: „Bei jedem dritten Clan-Verfahren [sind] auch Zuwanderer als Verdächtige“.

Nun verknüpft man seine sensationsgeile Abneigung gegen PoC noch mit einem weiteren Phänomen: Die Morgenpost erklärt, „Shisha-Bars werden zum Brennpunkt“, „Experten sehen in Shisha-Bars ‚Treffpunkte organisierter Kriminalität‘“, das Abendblatt weiß: „Shisha-Bars sind keine harmlosen Jugendtreffs“ und sieht im „Boom“ der Shisha-Bars ein Indiz für mehr Kriminalität und einen Zusammenhang zu Migration. Der Spiegel berichtet über „Bochums Feldzug gegen die Schishabars“. Und die ekligsten Titel lasse ich hier schon weg. Man ist sich jedenfalls einig: Für eine geile Headline konstruieren wir vereint einen Skandal, eine Bedrohung und erzeugen so Angst und Wut in der Bevölkerung. Und wenn dann jemand daraus Konsequenzen zieht und tötet, dann vermuten wir erst eine „Milieu-Tat“, nennen es „Shishamorde“ und sind später entsetzt, dass tatsächlich deutsche Nazis töten, dass sie an den von BILD und Spiegel konstruierten Hotspot der „Clan-Kriminalität“ gehen und Menschen töten, die einfach nur Shisha rauchen. Sie fragen sich, wie das passieren konnte und sind sich wohl einig, dass die AfD schuld sei. Aber nein, verantwortlich sind auch sie. Bewaffnete Nazis vollstrecken auch, was die ignoranten, vermeintlich „liberalen“ Medien anzetteln.

Bei Bundeswehr und Polizei verschwindet Ausrüstung, es verschwinden Waffen und Munition – aber sie sind nicht weg, sondern bei Rechtsradikalen, bei FaschistInnen, die diese Waffen auch einsetzen wollen. Sie wollen „Bürgerkrieg“. „Bis zur letzten Patrone“ ist eine Ansage, die Taten folgen lässt. Wenn AfD-PolitikerInnen ankündigen, dass „aufgeräumt“ wird, dann wird das auch gemacht. Da hilft keine Menschenkette für gesellschaftlichen Zusammenhalt und für Toleranz.

Wir müssen verstehen, dass rechtsterroristische Taten zum kommenden Alltag gehören werden, und dass wir Angst haben müssen. Es gibt viele Gruppen von Menschen in diesem Land, die akut bedroht sind. Aber selbst Menschen, die einfach nur AntifaschistInnen sind, werden zunehmend bedroht. Also müssen wir tatsächlich Angst haben und wütend sein, auch auf den Staat, auch auf die bürgerliche Gesellschaft, weil sie nun einmal der historische Verbündete des Faschismus ist.

Wie diese Einsicht produktiv zu wenden ist, folgt vielleicht später, in einem anderen Beitrag. Für den Moment gibt es nur das.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Julius Wolf

Über Politik, Gesellschaft, Emanzipation und Antiemanzipatorisches.

Julius Wolf

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden