Gute Führung, schlechte Führer

Politikbetrieb Führung und Leistung sind weiblich, und doch, wie die gesamte Politik, voll mit Testosteron. Alle fordern sie, vor allem vom Bundeskanzler. Aber der hat nichts Besseres zu tun als hinzufallen. Wo führt das hin? Eine Handreichung
Menschen fallen hin, auch ein Kanzler ist ein Mensch, selbst wenn wir das vergessen wollen
Menschen fallen hin, auch ein Kanzler ist ein Mensch, selbst wenn wir das vergessen wollen

Foto: Imago / photothek

Bundeskanzler zu sein ist an sich schon eine Überforderung, stelle ich mir vor. Man kann da gar nicht anders, als alles Mögliche falsch zu machen. Auch das Unmögliche. Und alle fallen lustvoll über jeden Fehler her. Der diesen Job macht, ist kürzlich hingefallen, hat sich das Gesicht aufgeschrammt, und plötzlich merkt die Meute, die bei jeder Gelegenheit an seinen Hosenbeinen reißt und in seine Waden beißt, dass er nicht nur Bundeskanzler, sondern auch Mensch ist. Ecce homo sozusagen. Ups! Auch Politiker, ja sogar Piraten sind Menschen. Aber keine Sorge: Wir werden es bald wieder vergessen. Einer, der führt, hat kein Mensch zu sein, sondern ein harter Hund.

Menschsein ist ohnehin ein bisschen aus der Mode gekommen, heute ist erfolgreicher, wer wie eine Maschine funktioniert und alles richtig macht, sogar das, was mit Maschinen überhaupt nichts zu tun hat, Lachen zum Beispiel, oder Sich-Berühren. Menschsein heißt, dass man danebenhaut, sich weh tut, anderen wehtut, um Entschuldigung bitten muss, stolpert, verwundbar ist. Ein Mensch verfügt über die Kernkompetenz des Hinfallens, was in Politik und Öffentlichkeit peinlich zu vermeiden ist, da mit Schwäche gleichgesetzt. Diese wiederum ist nicht nur grammatisch weiblich, sie gehört voll zum angeblich schwachen Geschlecht. Männer dürfen sie nicht haben noch weniger zeigen. Dann haben sie schon verloren, bevor der Kampf beginnt. Und Kampf ist ständig, da oben, in der dünnen Luft der Führenden.

Kantige Kinne, verspannte Muskeln, Männer, die immer können

Ich stelle mir das grässlich vor. Die ständige Anspannung, die widersprüchlichsten Erwartungen, die man gar nicht anders kann als zu enttäuschen. Etwa die nach der Führung. So ein großes Wort für so eine unklare Angelegenheit. Sie hat mit Krawatten zu tun, mit kantigen Kinnen, mit Muskeln, die sich unterm Jackett spannen, mit Kraft und Zupacken und Zuversicht und Autorität. Auch mit sexueller Anziehung, mit Lange- und Immerkönnen.

Hierzulande ist sie allerdings politisch korrekt mit Unbehagen behaftet, weshalb der englische „Leader“ geschmeidiger über die Lippen geht. Damit man nicht an den Führer denken muss, der das Land kaputtgeführt hat, obwohl es ja auch den verantwortungsvollen Lokführer gibt – noch so ein Job, den ich bewundere und keinesfalls haben möchte. Oder den Spielführer mit seiner coolen Armbinde. Diesem ist es zwar auch ernst, aber eben spielerisch, gemeinsam mit einem Team, und immer fair.

Das Merkwürdige an der Führung ist, dass sie gleichzeitig unbeliebt und notwendig ist. Als könne man sie nur mit schmerzverzerrtem Gesicht gegen zig Widerstände ausüben. Oder übt man Führung gar nicht aus? Und ab wann kommt sie abhanden? Sind Wladimir Putin und Wolodymyr Selenskyj in ausreichender Weise mit Führungshaftigkeit ausgestattet, weil sie – Vorwärts Marsch! – Krieg führen? Und dem friedliebenden deutschen Bundeskanzler fehlt sie, weil er manchmal lange überlegt und nicht immer sofort weiß, was er sagen soll? Langsamkeit scheint nicht kompatibel mit guter Führung: Sie muss schnell gehen – zack-zack!

Wir haben Führung bestellt und nicht abgeholt

Führung ist ein Männerwort, obwohl es ein weibliches Geschlecht hat. Wir haben sie angeblich „bestellt“, aber dann doch nicht abgeholt. Als wäre der Bundeskanzler ein Ein-Mann-Betrieb, der statt Pizza Führung liefern soll und mit der Bestellung durcheinander gekommen ist. So kommt er einfach nicht an, jedenfalls nicht gut. Mir kommt der Dauervorwurf der fehlenden Führung nicht ganz stimmig vor – einerseits soll alles kollaborativ sein, gemeinsamgemeinsamgemeinsam. Anderseits soll in einem Land mit mehr als 80 Millionen Menschen der Bundeskanzler irgendwie so tun, als hätte er allein deren Schicksal in der Hand mit seiner komischen Richtlinienkompetenz, ein weibliches Wort für eine testosteronsatte Sache.

Alle Welt ruft also nach mehr Führung, und niemand weiß, wo sie lang geht. Die Linke findet nicht mal einen Fraktionsführer – will keine machen. Auch das verstehe ich aus vollem Herzen. Es will ja auch keiner mehr gewinnen, heißt es, weil die Bundesjugendspielregeln geändert werden. Und schwupps, will niemand mehr Erster sein. Da bricht Panik aus.

Schämen sich Sieger?

Bei meinen Söhnen (Handball und Fußball) ist jene Gewinn-Scham noch nicht angekommen, aber sie haben die Bundesjugendspiele auch noch nach alten Regeln machen dürfen (Ehrenurkunde und Siegerurkunde). Der nachwachsenden Generation dagegen wird der Leistungsbooster der öffentlichen Beschämung vorenthalten. Heutige Leistungsträger müssen sich rechtfertigen, wie es standortdeutschlandsbesorgt raunt. Offenbar wird Leistung ähnlich unbeliebt wie Führung.

Andererseits darf man den Leistungsschwachen bloß nicht zu sehr helfen, damit der Abstand groß genug bleibt zu denen, die zwar nicht mehr gewinnen wollen sollen, es aber trotzdem tun, nur um dem Staat nicht auf der Tasche liegen. Keinesfalls darf es den sogenannten Leistungsempfängern – ein männliches Wort für eine zutiefst weibische Angelegenheit – genauso gut gehen wie der im Schweiße ihres Angesichts ihr Brot erarbeitenden Bevölkerung – nicht mal, wenn die weniger survivigen Fitten mindestens so hart arbeiten, nur halt leider ohne Erfolg. Der muss schon sein, Erfolg ist der ultimative Leistungsnachweis, wo kämen wir sonst hin?

Vielleicht ins Paradies, doch das gibt es hienieden nicht. Hier unten im Jammertal gibt es nur leistungsschwache Führer und an der Nase Herumgeführte. Bleibt zu hoffen, dass der Bundeskanzler allen Widerständen zum Trotz Zeichen von Schwäche zeigt und sich – Deutschlandpakt an – helfen lässt beim Führen. Das wäre doch stark?

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Geschrieben von

Katharina Körting

Freie Autorin und Journalistin

2024 Arbeitsstipendiatin für deutschsprachige Literatur der Berliner Senatsverwaltung für Kultur und Gesellschaftlichen Zusammenhalt

Katharina Körting

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