Linkspartei sucht neue Führungsspitze: Forschungsgruppe Qualen
Linke Wer wird die Bundestagsfraktion zukünftig anführen? Diese Frage könnte erst im November geklärt werden. Lagebericht über eine Oppositionspartei, die keine Kraft hat, die katastrophale Regierungspolitik der Ampel zu kritisieren
Wird noch etwas dort stehen bleiben: Co-Vorsitzender der Linksfraktion Dietmar Bartsch (65)
Foto: Picture Alliance
Eine erschreckende Liste war es, die Anke Domscheit-Berg, Abgeordnete der Linkspartei im Bundestag, jüngst auf Twitter teilte. Es war eine Liste von möglichen Kürzungen, die der Haushaltsentwurf für 2024 der Ampel-Regierung vorsieht. „Ihr habt keine Vorstellung davon, was für einen unglaublichen Kahlschlag SPD, Grüne und FDP da gemeinsam planen!“, schrieb Domscheit-Berg. Der Entwurf wird gerade im Bundestag diskutiert. Die Linksfraktion hat sich auf ihrer gerade erst abgehaltenen Fraktionsklausur unter anderem mit ihm beschäftigt. Gut so!
Wäre da nicht noch die Sache mit der „stabilen Seitenlage“. So nämlich bezeichnete erst Jan Korte, (noch) Parlamentarischer Geschäftsführer, die Lage der Fraktion, und kurz dara
icht noch die Sache mit der „stabilen Seitenlage“. So nämlich bezeichnete erst Jan Korte, (noch) Parlamentarischer Geschäftsführer, die Lage der Fraktion, und kurz darauf auch Dietmar Bartsch, (noch) ihr Co-Vorsitzender. Wenn es zur Beschreibung schon Begriffe aus der Notfallmedizin braucht, dann darf man annehmen, dass es düster aussieht. Korte hatte bereits vor vielen Monaten angekündigt, sein Amt abgeben zu wollen, Anfang August folgten die Co-Vorsitzende Amira Mohamed Ali und bald darauf Bartsch. Das von vielen „Hufeisen“ genannte Machtbündnis des alten Reformers mit dem Lager um Sahra Wagenknecht, zu dem Mohamed Ali gezählt wird, sollte bald Geschichte sein. Es hat, je nach Lesart, die Linksfraktion jahrelang zusammen- oder aber in Geiselhaft gehalten.Allein: Bislang haben sich keine Kandidatinnen für die Nachfolge gefunden. Die Wahlen wurden verschoben, die bisherige Fraktionsführung macht erst mal weiter. Wie kann das sein?Dietmar Bartschs RealitätDie Lage ist verzwickt. Hintergrund ist – natürlich – die bevorstehende Spaltung der Linken, die Gründung eines konkurrierenden Wahlprojektes durch Wagenknecht und ihre Verbündeten und das damit drohende Ende der Fraktion. Wenn Wagenknecht und nur zwei weitere Parlamentarier die Linksfraktion verlassen, war’s das. Was danach geschieht, weiß niemand so recht: Es wäre ein Novum in der Geschichte des Bundestages. Zwar betonte Klaus Ernst, ein Verbündeter Wagenknechts, nach der Klausur im Interview mit dem NDR, alle Seiten wollten die Fraktion erhalten, „solange es geht“. Und Bartsch führte noch einmal eindrucksvoll seine an Realitätsverweigerung grenzende Außenkommunikation vor, als er sagte, es werde „keine Spaltung geben, das wird garantiert nicht der Fall sein“.Die offizielle Abkehr von der Linkspartei durch die Befürworter einer Liste Wagenknecht aber ist keine Frage mehr des Ob, sondern des Wann. Sie wird für Anfang kommenden Jahres erwartet.Mangels Freiwilliger beschloss die Fraktion zu Beginn ihrer zweitägigen Klausur – lagerübergreifend –, den Termin für die Wahlen zum Fraktionsvorstand zu verschieben. Auf „Ende Oktober“, wie es heißt, dann erst wäre der Zeitraum, für den die jetzige Führung gewählt wurde, tatsächlich abgelaufen. Ein genauer Termin wurde nicht festgelegt, die Wahl könnte durchaus noch weiter verschoben werden. Sicher wird sie nun nach für die Linke voraussichtlich desaströsen Landtagswahlen in Hessen und Bayern stattfinden, möglicherweise sogar erst nach dem Parteitag Mitte November. Auf diesem soll die wie alles in der Partei stark umkämpfte Liste für die Europawahlen aufgestellt werden.Da Korte, Mohamed Ali und Bartsch allesamt im Vorfeld öffentlich erklärt hatten, den Job eigentlich nicht mehr machen zu wollen, ergibt sich eine besonders fatale Situation: die der „lame ducks“, also in dem Fall mehrerer Politiker*innen, die noch im Amt sind, aber keinerlei Ambitionen mehr haben, weiterzumachen – was sie handlungsunfähig macht. Aber die Linke wäre nicht die Linke, wenn nicht auch darüber, wer die Schuld für diese Situation trägt, ein Deutungskampf entbrannt wäre.Die Erzählung der einen: Jene in der Fraktion, die hinter der Parteiführung stehen, wollen nun, da sich die Gelegenheit ergibt, keine Verantwortung übernehmen. Die Gegenerzählung aus dem Umfeld der Parteiführung um Janine Wissler und Martin Schirdewan, die für den Fraktionsvorsitz vorschlagsberechtigt sind, aber keinen Vorschlag hatten: Die Zeit war zu knapp.Für die zerstrittenen Lager ist es angesichts der bevorstehenden Spaltung von hoher Bedeutung, gegenüber der Mitgliedschaft und Öffentlichkeit selbst nicht als derjenige Teil der Partei zu gelten, der für diese Spaltung verantwortlich ist. Das ist einer der Gründe, warum Wagenknecht und ihre Parteifreunde und -freundinnen im Moment bei jeder Gelegenheit betonen, man werde von der Parteiführung ins Abseits, ja geradezu aus der Linken herausgedrängt. Die Botschaft lautet: Uns bleibt nichts anderes übrig, als etwas Neues aufzuziehen! Der Parteivorstand ist ja nicht in der Lage, die Partei zu einen!Wissler und Schirdewan wiederum stehen unter Druck, den Gegenbeweis zu erbringen: Dass sie für alle jene da sind, die loyal zur Partei stehen – auch für solche, die zwar mit Wagenknecht sympathisieren, aber kein Konkurrenzprojekt wollen. Und das dürften gerade im Osten der Republik so einige sein. Diese Situation ist – neben der Frage, wer angesichts der komplizierten Mehrheitsverhältnisse überhaupt in der Fraktion ausreichend Stimmen bekäme – sicherlich ein wesentlicher Grund dafür, dass die Parteiführung nicht einfach Personen, die ihr selbst nahestehen, für den Vorsitz der Fraktion und den mächtigen Posten des Parlamentarischen Geschäftsführers vorschlagen und durchdrücken kann oder will. Zugleich wollen viele in der Fraktion niemanden wählen, von dem sie nicht sicher wissen, ob er oder sie in vier Monaten überhaupt noch Parteimitglied ist. Bislang aber haben sich viele nicht bekannt, wie sie zu den Neugründungsplänen um Wagenknecht stehen – die selbst bei der Fraktionsklausur fehlte.Das wahrscheinliche Szenario für die LinksparteiDie Parteivorsitzenden hatten sich von Anfang an für einen späteren Termin der Fraktionsvorstandswahlen eingesetzt. Insofern ist ihnen schwerlich ein Vorwurf daraus zu machen, dass sie (noch) keinen Vorschlag parat hatten. An einem solchen werde weitergearbeitet, hieß es aus Parteikreisen.Auf der anderen Seite spricht es auch nicht gerade für die integrative Kraft oder Autorität der beiden, dass sie bisher nicht in der Lage waren, eine Alternative zum Machtbündnis zwischen Wagenknecht-Lager und Bartsch für die Fraktion anzubieten. Öffentlich ist die Botschaft, die Linksfraktion habe keine Wahl, eine ziemliche Katastrophe für die Parteiführung. Sie wollte auf einer kurz nach der Fraktionsklausur begonnenen „Zukunftskonferenz“ der im Parteivorstand stark vertretenen „Bewegungslinken“ eigentlich eher eine Botschaft von Kraft und inhaltlicher Fokussierung übermitteln.Die wiederum wäre dringend geboten, etwa mit Blick auf den laut Anke Domscheit-Berg drohenden „unglaublichen Kahlschlag“ der Bundesregierung beim Haushalt. Doch um diesen als parlamentarische Opposition wirksam bekämpfen zu können, braucht es schon mehr als eine Fraktion in „stabiler Seitenlage“.Dass die einzige linke Opposition im Bundestag aus dieser nicht genesen, sondern vielmehr ihr Tod eintreten wird, ist im Moment ein betrüblich stimmendes, aber nichtsdestoweniger wahrscheinliches Szenario.