„Ich sprüh’s auf jede Häuserwand, neue Männer braucht das Land“, das sang Ina Deter radikal und hoffnungsfroh vor mehr als 40 Jahren. Aber wo sollen sie herkommen, die neuen? Die Zahl der aktenkundigen Opfer partnerschaftlicher Gewalt in Deutschland steigt. Im Jahr 2022 hat die Polizei nach einer Recherche der Welt am Sonntag bundesweit fast 180.000 Opfer und damit 9,3 Prozent mehr als im Vorjahr registriert.
Männliche Gewalt gegen Frauen ist ein uraltes Problem. Sie schädigt, wo sie nicht tötet, fürs Leben. Während Empörung über fragwürdiges Sozialverhalten von Prominenten hohe Wellen schlägt, gehen die meisten anderen Fälle unter im Meer der Alltagsgewalt. Machtmissbrauch gilt als ursächlich für V
Während Empörung über fragwürdiges Sozialverhalten von Prominenten hohe Wellen schlägt, gehen die meisten anderen Fälle unter im Meer der Alltagsgewalt. Machtmissbrauch gilt als ursächlich für VIP-Gewalt – aber stimmt das überhaupt? Vielleicht handelt es sich angesichts eines allgemeinen Einverstandenseins mit Gewalt eher um den üblichen Gebrauch von Macht.Nach den Corona-LockdownsDa wirkten die Corona-Lockdowns als „Brandbeschleuniger“, diagnostizierte die Präsidentin des Deutschen Caritasverbandes, Eva Maria Welskop-Deffaa. Die steigenden Zahlen könnten Nachwirkungen sein. Doch wer ruft Alarm“? Im Gegensatz zur Waffen- oder Pharmaindustrie gibt es keine Lobby für innerfamiliären Frieden. Anders als bei der Virus-Pandemie ebbt die Gefahr durch Partner, Ex-Partner oder Familienmitglieder nicht ab. Die meisten Fälle bleiben im Dunkeln. Viele Täter – meistens sind es Männer – schlagen so zu, dass Wunden oder blaue Flecken von Kleidung verdeckt bleiben. Und viele Frauen verbergen, was ihnen geschieht. Hinzu kommt die kaum erfassbare seelische Gewalt, derer sich Menschen aller Geschlechter bedienen.Über die Lage hinter deutschen Wohnungstüren wollen Bundeskriminalamt, das Innen- sowie das Familienministerium Anfang Juli berichten. Auch die Ergebnisse einer bundesweiten „Dunkelfeldopferbefragung“ sollen demnächst öffentlich werden. Ob sie zu mehr Investitionen in Prävention und Opferschutz führt?Mehr Geld nur für das MilitärWährend die Bundesregierung für die Corona-Warn-App mehr als 220 Millionen Euro ausgab, waren für den Schutz vor Gewalt an Frauen laut Bundesfamilienministerium 2020 bis 2023 insgesamt 120 Millionen vorgesehen. Das ist empörend, auch wenn der Vergleich ein wenig hinkt, unter anderem weil ein kompliziertes Geflecht von Bund, Ländern und Kommunen mit dem Thema befasst ist. Der Bundeshaushalt 2024 soll im Juli stehen, aber mit mehr Geld gegen Gewalt ist kaum zu rechnen, im Gegenteil: Der Wehretat steigt zwar, aber alle anderen Ressorts müssen sparen.Häusliche Gewalt bleibt ein privates Problem, quer durch alle sozialen Schichten. Nachbarn hören weg, und wer am leichtesten überhört wird, sind die Kinder, die das alles mit ansehen müssen, oft über Jahre. Sie behalten ihren Kummer für sich, schützen ihre Eltern, spielen „alles in Ordnung“. Sie lernen, dass Gewalt akzeptabel ist. Sie lernen zuzuschlagen, bevor es ein anderer tut. Sie lernen, gewaltvolle Erwachsene zu sein.So beginnt das Übel lange vor der „ausgerutschten Hand“, die laut einer aktuellen Umfrage rund ein Drittel der jungen Männer in Deutschland normal findet. Ein Anlass findet sich immer. Wie wäre es da, nur für den Anfang, mit einer Gewalt-Warn-App, flankiert von einer Präventionsoffensive „Zeitenwende für Familien“? Und blutroten Graffiti an jeder Häuserwand: „Auch hier wird geprügelt.“Placeholder infobox-1