Konflikt In Brandenburg will ein Investor Hunderte Hektar Wald für einen Solarpark in Hohensaaten roden. Klima oder Natur? Artenschutz oder erneuerbare Energien? Die Anwohner versuchen sich in konstruktivem Dialog
In der Lunower Bauernheide, unweit der polnischen Grenze, könnte man bald den Wald vor lauter Photovoltaik nicht mehr sehen
Fotos [M]: Ponds Images + Westend61/Imago Images
Beim Wald hört der Spaß auf. Und manchmal bremst die Liebe der Deutschen zu ihren Bäumen sogar die Schlagkraft der Interessen des Kapitals. Wegen der „Bedeutung für Umwelt, Klima, Wasserhaushalt, Reinhaltung der Luft“ und so weiter sei er „zu erhalten, erforderlichenfalls zu mehren“, sagt das Bundeswaldgesetz. Weshalb „ein Ausgleich zwischen dem Interesse der Allgemeinheit und den Belangen der Waldbesitzer herbeizuführen“ sei. Wie steht es um diesen Ausgleich in der Lunower Bauernheide im brandenburgischen Hohensaaten bei Bad Freienwalde?
Die Unternehmensgruppe Lindhorst will ihn roden, um auf der rund 700 Hektar großen Fläche zwischen Oderbruch und Barnimkante 370 Hektar Solarpaneele aufzustellen und auf 120 Hektar eine
ektar einen Gewerbepark zu errichten. Die Darstellung des Unternehmens klingt zunächst überzeugend: Man werde einen „Beitrag zur Energiewende und der Erzeugung von CO₂-freiem, bezahlbarem Strom (200 MW)“ leisten, „bis zu 400 neue Arbeitsplätze“ schaffen, Gewerbesteuer zahlen, die Region beleben, auf rund 360 Hektar einen „echten Mischwald“ und „Ort der Naherholung“ schaffen. Ist denn der jetzige Wald minderwertig?„Nein“, sagt Martin Jenssen, „das ist ein stabiles Ökosystem mit großer Vielfalt.“ Der promovierte Biophysiker engagiert sich in der Bürgerinitiative „Pro Wald Hohensaaten“, die seit Frühjahr 2022 gegen das Vorhaben ankämpft. Jenssen hat auch eine Studie erarbeitet, wonach durch die Rodung des Waldes die Temperatur über der Anlage um bis zu fünf Grad Celsius steigen werde. Nicht nur das Mikroklima, auch angrenzende Gebiete wie das Biosphärenreservat Schorfheide-Chorin oder die polnische Oderseite wären betroffen, wenn es rund um den Standort noch heißer und trockener wird als ohnehin schon im nördlichen Brandenburg. „Wald kühlt“, betont der Waldexperte, und: „Wenn im Namen der Energiewende ein ganzer Wald fällt, wäre das ein Präzedenzfall, der der Akzeptanz für die Erneuerbaren in der Bevölkerung nicht guttut.“Zur Veranschaulichung bietet er eine Tour an, einmal um das etwa 3.000 Meter lange und 1.500 Meter breite Waldgebiet herum – hinein kommt man nicht, es ist eingezäunt. Schilder warnen vor „Lebensgefahr“. Das Areal werde, teilt Lindhorst mit, von einem Sicherheitsdienst, Überwachungskameras und Sensoren überwacht. Eindringen sei illegal, eine Begehung „aufgrund der Beschaffenheit des Grundstücks bedenklich“. Aber es gebe „in naher Zukunft eine koordinierte Führung über das Grundstück“. Dazu kommt es bis Redaktionsschluss nicht.„Da ist nie etwas explodiert“, sagt Jenssen wie auch andere Anwohner. Aber laut ist es geworden. „Hier donnern jetzt ständig Lastwagen mit Holz durch“, erzählt eine Hohensaatenerin, die direkt am Wald wohnt. „Seit Lindhorst da ist, bleibt das Rotwild weg.“ Sie höre immerzu Baugeräusche, schwere Maschinen. Ihr Name wird hier nicht genannt – die Lindhorst-Gruppe steht im Ruf, sehr schnell mit Anwälten auszurücken. 2022 verlangten diese über 600 Euro für „außergerichtliche Rechtsanwaltsverfolgungskosten“ und eine „strafbewehrte Unterlassungserklärung“ von einer Person, sollte diese gewisse „Behauptungen“ weiter verbreiten. Im Raum steht eine Vertragsstrafe in Höhe von 250.000 Euro.Uups, wir haben gerodet!Die niedersächsische Lindhorst-Gruppe hat mehrere Sparten: Immobilien, Pflegeheime, Landwirtschaft. Eine Tochterfirma, die JLW Holding, investiert auch in erneuerbare Energie. So kaufte der Investor zwischen 2018 und 2020 scheibchenweise den Wald in der Lunower Bauernheide auf. Und sicherte schriftlich zu, ihn „ausschließlich forstwirtschaftlich (zu) nutzen und dort der Jagd nach(zu)gehen“. Doch schon 2018 begann man, vor Ort Sanierungsmaßnahmen vorzubereiten, ab 2019 dann wurde das Projekt eines integrierten Gewerbe- und Industrieparks verfolgt.Seitdem geht die Sorge um in Hohensaaten. Jahrzehntelang blieb der seit 1883 aktenkundige Wald weitgehend sich selbst überlassen. Ein bisschen Jagd, behutsame Forstwirtschaft, mehr war nicht. Dann nutzten die Nazis ihn für die Herstellung von Rüstungskomponenten. Die Dynamit AG produzierte hier seit 1937 – unterirdisch, damit die Alliierten nichts davon mitbekamen. Dadurch konnte sich oben die Natur ungestört ausbreiten. Nach 1945 wurden die Bunkeranlagen teilgesprengt, Fledermäuse fanden Unterschlupf und ließen sich auch von der Nationalen Volksarmee nicht stören, die dort Treibstoffe lagerte.1994 bis 1997 erfolgten Bodensanierungsmaßnahmen, sodass laut Landrat Gernot Schmidt (SPD) die wesentlichen Bereiche des Gebiets seitdem als saniert gelten. Wegen der früheren militärischen Nutzung gilt das Gelände als „Konversionsfläche“. Dem Bundeswaldgesetz ist das egal – Wald ist demnach „jede mit Forstpflanzen bestockte Grundfläche“.Die Lindhorst-Gruppe wirbt mit „Verantwortung und Innovation“. Auf der Webseite präsentiert sich eine blond lächelnde Unternehmerfamilie, lässig in Jeans, vor grasenden Rindern, im Hintergrund: Wald. Das Firmenlogo ziert ein Greifvogel – oder ist es ein Seeadler? Lindhorst beantwortet die Frage nicht. Ein solcher brütet auch in Hohensaaten. Ein 285-seitiger „Artenschutzrechtlicher Fachbericht“ listet insgesamt 68 geschützte Brutvogel- und 15 Fledermausarten, dazu Zauneidechsen, Insekten, Biber und Fischotter. Und empfiehlt „Ausgleichsmaßnahmen“ und „Ersatzhabitate“.Vorgestellt wird das Papier am 7. November auf einer von der Stadt Bad Freienwalde einberufenen Einwohnerversammlung im vier Kilometer entfernten Dorfgemeinschaftshaus Hohenwutzen. Die Stimmung ist hitzig, zu hören sind Anschuldigungen wie „illegaler Kahlschlag“ und „Umweltkriminalität“. Sie beziehen sich wohl auf ein rund zwölf Hektar umfassendes ungenehmigtes Abholzen im Jahr 2021. Der Investor drückt es auf Anfrage so aus: „eine Holzentnahme, die wir zur Prüfung des Untergrundes und etwaiger Belastungen als Basis für unsere Planungen durchgeführt haben.“ Man habe „leider im Vorfeld die Abstimmungen mit der Forstbehörde versäumt“, ein „Fehler“, den man bedauere.Ein ähnlicher „Fehler“ passierte dann auch im Thüringer Naturschutzgebiet „Hohe Schrecke“, von dem Lindhorst 1.000 Hektar besitzt – und 60 Hektar anscheinend ohne Genehmigung roden ließ. Nach Recherchen des MDR ist seit Sommer 2022 ein weiteres Bußgeldverfahren anhängig. Von den rund 70 Interessierten bei der Einwohnerversammlung bezweifeln deshalb viele die Glaubwürdigkeit des Konzerns und äußern sich skeptisch bis ablehnend zum Vorhaben „Energie- und Gewerbepark Hohensaaten“. „Das geht gar nicht!“, sagt etwa die bündnisgrüne Stadtverordnete Evelyn Faust, obwohl die Grünen – wie alle Stadtverordneten außer denen der AfD – im Dezember 2021 einem vorhabenbezogenen Bebauungsplan noch unverbindlich grünes Licht gegeben hatten. Nach einem zweiten Ortstermin habe sie, Faust, jedoch „einen ganz anderen Eindruck von der Artenvielfalt und der Hochwertigkeit des Waldes, als uns das ursprünglich von der Lindhorst-Gruppe als artenarme, munitionsverseuchte Nadelwaldmonokultur vorgestellt wurde“. Lindhorst betreibe „Greenwashing“.Altlasten oder bedrohte ArtenTatsächlich malt ein Werbevideo von Lindhorst, unterlegt mit melancholischem Klavier, die Gefahren in düsteren Farben: „30 Prozent sind durch Gebäudekomplexe und versiegelte Betonflächen belastet“, heißt es darin, „bis zu 200 erhaltene und gesprengte Bunker prägen das Landschaftsbild“. Man wolle „das ehemalige Militärgelände von den Altlasten befreien und renaturieren“. Eine weibliche Stimme – nun erscheint viel Grün rund um adrette Photovoltaik-Paneele – haucht den Schlusssatz: „Unser Ziel: eine Vorzeigeregion für grüne Energie im Einklang mit der Natur.“Aber noch ist es nicht so weit, ein Bauantrag steht laut Umweltamtsleiter Gregor Beyer noch aus. Statt „Wald“ sagt er „Liegenschaft“. Auch Landrat Schmidt redet lieber von „Altlastenstandort“ und „Kampfmittelverdachtsflächen“. Am Telefon wirkt er unwillig, als habe er es schon zu oft erklärt: „Das Gelände ist total munitionsbelastet, normale Menschen gehen da nicht rein.“ Man könne abstürzen, sich spitze Gegenstände eintreten, sich in Bunkerresträumen vergiften, es herrsche Explosionsgefahr, überall sei eine Kampfmittelräumung erforderlich. Lindhorst lässt die Marketing-Abteilung der JLW Holding auf Anfrage mitteilen: Auch invasive Arten wie die Traubenkirsche müssten beseitigt werden, nur eine Rodung ermögliche „die Wiederherstellung des Geländes“.Eine Rodung nennt jedoch Jenssen, und mit ihm die Bürgerinitiative Pro Wald Hohensaaten, der Nabu Brandenburg und der BUND, „unverantwortlich“. Man könne einen jahrhundertealten Wald nicht ersetzen, auch nicht durch 90 Hektar Aufforstung bei Oderberg, wie der Investor verspricht. Und nur weil mittlerweile Baumarten eingewandert, also „invasiv“ sind, seien diese nicht von Übel – oft im Gegenteil: „Robinien und Traubenkirschen sind robuste Baumarten, die zur Klimaplastizität beitragen.“ Was nach Plastik klingt, bedeutet, dass Lebewesen sich anpassen können an wechselnde Bedingungen – und sieht ziemlich schön aus: Am südlichen Ufer der Alten Oder steht ein Mischwald in Pracht, um den es, ganz unwissenschaftlich gesprochen, ein Jammer wäre. Auf niederschlagsarmen Sandböden wachsen außer Kiefern unter anderem Trauben- und Stieleichen, Sandbirken, Spitz- und Bergahorne. Geschützte Arten haben sich angesiedelt, Uhu, Seeadler, Schwarzstorch, dazu Reptilien, Amphibien, Insekten. Während Jenssen von der Vielfalt schwärmt, kreist ein Bussard über dem Fluss, im Wasser spiegelt sich Wolkenhimmel.„Ein klassischer Interessenkonflikt“, sagt derweil nüchtern der Landrat. Er verweist auf Unmengen von Anfragen für Photovoltaikflächen in seinem Landkreis und steigenden Strombedarf. „Es ist ein Riesendruck“, sagt er, „wir haben alle Energiesparmöglichkeiten durch, aber immer größere Kosten.“ Es klingt, als wäre die Rodung in Hohensaaten ein Opfer, das dem ökologischen Fortschritt zu bringen ist.Von „Frevel“ spricht Michael Succow, Biologe, Agrarwissenschaftler, Naturschützer und Träger des Alternativen Nobelpreises, in einem an die Bad Freienwalder Politiker gerichteten Video. Bei der AfD rennt er damit offene Türen ein: „Wir sind gegen den massenhaften Aufbau von sogenannten regenerativen Energien“, sagt der Stadtverordnete Lars Günther, der für die AfD auch im Brandenburger Landtag sitzt. Der Bürgerinitiative ist diese Unterstützung wenig willkommen. Erneuerbare Energien seien sinnvoll, betont Jenssen, nur nicht auf Kosten eines Waldes mit hoher Artenvielfalt, der auch bei der Klimaanpassung hilft.In Hohenwutzen erhält eine Anwohnerin viel Applaus, die auf den ganzheitlichen Wert der Natur verweist: „Alles spielt zusammen, und wir Menschen sind davon nur ein kleiner Teil.“ Angesichts des anhaltenden Widerstands seiner Bürger entdeckt auch Ralf Lehmann, Christdemokrat und Bürgermeister von Bad Freienwalde, seine Liebe zum Wald wieder. „Die große Euphorie vom Anfang“ sei „ein wenig gewichen“, räumte er bei einem Fachgespräch mit Naturschützer Succow Ende November ein. Nun gelte es, „ganz in Ruhe abzuwägen“. Nach Einschätzung des Stadtverordneten Detlef Malchow zeichnet sich „im Lichte der Erkenntnisse“ eine neue politische Mehrheit ab – diesmal pro Wald.
×
Artikel verschenken
Mit einem Digital-Abo des Freitag können Sie pro Monat fünf Artikel verschenken.
Die Texte sind für die Beschenkten kostenlos.
Mehr Infos erhalten Sie
hier.
Aktuell sind Sie nicht eingeloggt.
Wenn Sie diesen Artikel verschenken wollen, müssen Sie sich entweder einloggen oder ein Digital-Abo abschließen.