Sloterdijk-Torte oder Penny?

Küchenökonomie Wenn der Alltag notorisch zur Anschauung wird. Erster Akt: Kirschkuchenbacken
Ausgabe 26/2016

Seit ich so viele gesellschaftskritische Texte lese, ist mein Alltag notorisch Anschauung. Wie neulich, als ich für das Sommerfest an unserer Grundschule Kirschkuchen backen wollte. Man nennt das „Elternengagement im schulischen Kontext“. So funktioniert gesellschaftlicher Zusammenhalt, sagen die Leute. Die Erlöse vom Kuchenverkauf gehen an den Schulförderverein. Zuletzt wurde damit die Restauration des Schulflügels finanziert.

Dass die Sache zu einer sozialromantischen Farce unter der Regie von, sagen wir, Heinz Bude verkam, ging mir Stück für Stück auf. Und zwar so. Beim Discounter Penny gibt es einen Kirschkuchen, er heißt Party-Time und kostet surreale drei Euro. Ich hatte ihn neulich für die Kita besorgt, Sohn Nummer zwei feierte Geburtstag. Zum Selberbacken war diesmal keine Zeit, Frauen leisten zwar immer noch die meiste Care-Arbeit, arbeiten aber heute auch Vollzeit in der ganzen BRD gegen Bezahlung. Wir verdanken das der Errungenschaft Chancengleichheit nach horizontaler Logik. Formal haben Frauen gleichberechtigten Zugang zu Jobs, die Karriere bedeuten beziehungsweise vernünftig bezahlt sind. Das ist schön.

Was passierte aber nun? Die Erzieherin fragte mich am nächsten Tag nach dem Rezept. „So lecker!“, schwärmte sie. Irgendwie irritierend war das, konkurrierte ich jetzt mit dem Discounterkuchen nach Omas Rezeptur? Egal, heute lebst du die Vereinbarkeitslüge, beschloss ich. Ging gut: Der Erzieherin imponierte, dass ich echt keine Zeit zum Kuchenbacken gehabt hatte. Die denkt ja sowieso, dass wir Eltern gemütlich in der Baugruppe klönen und unser Erbe anlegen, während sie und ihre Kolleginnen regelmäßig in den Arbeitskampf treten. Sie sieht die vertikale Logik der Umverteilung per Lohnabrechnung.

So weit die Kita-Erfahrung. Nun aber die Schule. Selberbacken! Die Zutaten für den Kirschkuchen holte ich beim Hassdiscounter Netto um die Ecke. Ungefähr 6,80 Euro bezahlte ich, Bioeier (die Hühner!) und Biomilch (die Milchbauern!). Das war ja doppelt so teuer wie der Party-Time von Penny. Kurz wurde ich schwach. Wenn ich dem gekauften Kuchen ein bisschen Patina verpasste, könnte ich ihn unauffällig in der Schulküche abstellen. Aber nein, mein Selberbacken sollte doch identitätsstiftend sein. Es geht doch um den gesellschaftlichen Zusammenhalt, Leute. Ich bin gegen das bedingungslose Grundeinkommen, verstehen Sie? Ich wollte einen Kuchen liefern, für den die abrutschende Mittelklasse auf einem Schulfest höchstens einen Euro pro Stück zu zahlen bereit ist. Eine Sloterdijk-Torte von der Bio-Company? Impertinent! Unmöglich!

Meinen unbeirrten Aufstiegsehrgeiz hatte ich beinahe vergessen. Erst mache ich mich mit dem Kuchen verdient, lautet der Plan, dann einfaches Mitglied im Förderverein, später Vorstandstätigkeit mit Lorbeeren, dann Festanstellung. Die Überambitioniertheit: fatal. Ich wähle dummerweise ein Rezept für die Guglhupfform. Der Kuchen pappt an. Ist unverkäuflich. Herrgott noch mal, ich will die soziale Marktwirtschaft zurück.

Ich muss los. Ich habe mich auch für den Hot-Dog-Stand eingebucht. Ab 15 Uhr verkaufe ich Würstchen, dass die Schwarte kracht. Ich versuche, dabei nicht allzu vereinsmeierisch geschäftstüchtig zu strahlen, es macht so viel Spaß! Als uns die Gurken ausgehen, senken wir die Preise. Drastisch. Was soll’s, die Kasse klingelt ja trotzdem. Meine Jungs schauen bewundernd. Sie stehen auf Kapitalakkumulation.

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