Von Kafka bis Kaléko: Da kann man nicht viel falsch machen

Literatur Katharina Schmitz ist verärgert über die Sammlung „Worte in finsteren Zeiten“: Ein kunterbunt zusammengewürfeltes Sammelsurium von Texten unterschiedlichster Autor:innen – ohne roten Faden. In seiner Banalität erschreckend
Ausgabe 03/2024
Bunt zusammengewürfelt und sehr banal: Die Sammlung „Worte in finsteren Zeiten“
Bunt zusammengewürfelt und sehr banal: Die Sammlung „Worte in finsteren Zeiten“

Foto: Imago/Wirestock

Innerhalb nur einer Woche sei die Sammlung entstanden, schreibt Fischer-Verleger Oliver Vogel, einer der vier Herausgeber im Vorwort zu Worte in finsteren Zeiten. Man hatte Autor:innen und „Personen des öffentlichen Lebens“ per E-Mail um Texte gebeten, die ihnen derzeit „Mut machen“ und „Trost“ bieten. Denn viele Menschen hätten seit dem „Überfall in der Ukraine und dem Überfall der Hamas auf Israel das Gefühl, keine Worte mehr zu haben“.

Mit finsterer Miene konstatiert die Leserin: Dass diese Sammlung von „Schreibenden und Denkenden aller Zeiten und Länder“ so schnell entstanden ist, glaubt sie sofort, so disparat wirkt diese. Überdies entstand beim Lesen der Eindruck, dass Zeilen geschunden wurden und sehr lax kuratiert wurde, um auf den Umfang von knapp 250 Seiten zu kommen.

Es erschließt sich zum Beispiel nicht, warum die Einreichung des Soziologen Oliver Nachtwey, ein längerer Auszug aus Oscar Wildes gewiss sehr interessantem Essay Der Sozialismus und die Seele des Menschen, von dem die Leserin offen gestanden noch nie gehört hat, überhaupt aufgenommen wurde. Denn es fehlt, wie bei fast allen anderen Empfehlungen, jegliche Einführung. Im Falle der vielen Gedichte mag man einwenden, dass die Lyrik qua Form für sich selbst steht, obwohl man über die ein oder andere Dichterin gern mehr erfahren hätte. Zum Beispiel über Sargon Boulus oder Mahmud Darwisch. Und es gilt jedoch schwerlich für die anderen Textsorten. Eingesammelt wurden Auszüge aus Interviews, Romanen, Essays, Reden, zum Beispiel aus Martin Bubers Rede auf dem XVI. Zionistenkongress. Warum Thomas Hauschild die Rede wählte? Hätte man gern gelesen. Stattdessen mutmaßt die Leserin. Denn es ist ja auch so: Viele Menschen haben in diesen Zeiten nicht nur keine Worte, sondern sie haben zudem große Sorge, missverstanden zu werden.

Passend für die Auswahl sind sicher Überlegungen des Rassismuskritikers James Baldwin, die uns der Theaterautor Necati Öziri empfiehlt, womöglich verbunden mit dem Rat, in diesem Text nicht nur „Halt“, sondern darin auch hochaktuelle Gedanken zu finden. Aber davon liest man ja nicht. Noch ärgerlicher ist, dass Baldwins Text nur auf Englisch abgedruckt wurde, so wie andere Texte der Sammlung oder Lyrics. Marion Brasch hört also in diesen „finsteren Zeiten“ Randy Newmans God’s Song, ohne Zweifel ein tröstlich-trauriger Song, und der Sprecher des Zentralrats der Muslime Aiman Mazyek legt sich The Sound of Silence auf. Später darf er aus dem Koran zitieren, Margot Käßmann aus der Bibel, Psalm 126. Auf Seite 98 findet sich ein Gebet „für die Soldaten Israels“.

Unter „Personen des öffentlichen Lebens“ fallen auch – pardon – No-Names wie ein gewisser Ingo Bott, der zwei Texte empfiehlt, darunter etwas (oder irgendwas?) von Erich Kästner. Im rund 40-seitigen Personenregister kann man in Erfahrung bringen, wer Bott ist, und man findet dort auch Infos zu anderen (Halb-)Prominenten, die teilgenommen haben. Und obwohl Alice Brauner nur einen kurzen Text von Jean Améry gesendet hat, füllt ihre Biografie im Anhang fast eine Seite. Vermutlich, weil die Biografien gleich mitangefragt wurden, und diese hier fiel halt länger aus, macht ja nichts.

Last, but not least. Es klingt jetzt mit Absicht despektierlich: Abgeschmackt wirkt irgendwie auch, dass sich einige, wie es sich für die gute deutsche Gegenwartsbewältigung gehört, Texte jüdischer Autor:innen von Kafka bis Kaléko im Buch finden – damit kann man ja wirklich auch nichts falsch machen. Indes. Dieses hochanständige und unverfängliche Sammelsurium wirkt gerade deshalb schrecklich banal.

Natürlich darf Ingeborg Bachmann nicht fehlen. Und Hannah Arendt. Der Historiker Frank Trentmann hört Richard Strauss, why not. Ab und an ein Fund: Ingo Schulze stellt eine Passage aus dem Roman Tagebuch der Übersiedlung des bosnischen Schriftstellers Dževad Karahasan vor. Da steht: „Das dualistische Weltbild ist gefährlich, weil es eine Vereinfachung darstellt, die erfolgreich so tut, als wäre sie keine.“

Im Vorwort ist von jemandem die Rede, der sich dafür entschuldigt hatte, dass er nichts „Angemessenes“ in seinem Bücherregal habe finden können. Trost, habe er sich erklärt, sei für ihn „Literatur als Praxis“, nicht „ein einzelner Text“. Wie recht er hat.

Worte in finsteren Zeiten Oliver Vogel, Sophie von Heppe, Maren Baier, Michael Reinfarth (Hrsg.) S. Fischer 2023, 256 S., 20 €

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Geschrieben von

Katharina Schmitz

Redakteurin „Kultur“, Schwerpunkt „Literatur“

Katharina Schmitz studierte Neuere Geschichte, Osteuropäische Geschichte, Politikwissenschaften, Vergleichende Literaturwissenschaften und kurz auch Germanistik und Romanistik in Bonn. Sie volontierte beim Kölner Drittsendeanbieter center tv und arbeitete hier für diverse TV-Politikformate. Es folgte ein Abstecher in die politische Kommunikation und in eine Berliner Unternehmensberatung als Referentin für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit. Ab 2010 arbeitete sie als freie Autorin für Zeit Online, Brigitte, Berliner Zeitung und den Freitag. Ihre Kolumne „Die Helikoptermutter“ erschien bis 2019 monatlich beim Freitag. Seit 2017 ist sie hier feste Kulturredakteurin mit Schwerpunkt Literatur und Gesellschaft.

Katharina Schmitz

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