Vom Balkon aus schaue ich seit sechs Jahren auf eine Baustelle. Eine Schule (Umbau), eine große Sporthalle und eine ebenso große Therapieschwimmhalle (Neubau). Sechs Jahre sind eine lange Zeit. In Berlin nicht ungewöhnlich lang, das lässt sich auch ohne abgestandene BER-Witze sagen. Als die Flachdächer der Schule und der Hallen endlich fertig waren, wartete ich gespannt, ob die Entscheidung zugunsten von Photovoltaik oder begrünten Dächern ausgefallen war. Keines von beiden. In Mitte findet möglicherweise kein Klimawandel statt.
Traurigerweise passt der Ausgang des Volksentscheids am 26. März dazu. Es wird keine Gesetzesänderung geben, die der Stadt strengere Klimaziele verordnet. Das Quorum wurde deutlich verfehlt. Bereits vorher hat es nic
orum wurde deutlich verfehlt. Bereits vorher hat es nicht an Stimmen gefehlt, auch aus der Koalition heraus, die besagten, 2030 klimaneutral sei eh völlig unrealistisch. Nun denn: Der Klimawandel ist nicht unrealistisch, sondern Realität. Bewundern wir also einfach weiterhin das Problem und suchen nicht nach einer Lösung.Hinter der Schule steht das Bezirksamt von Berlin-Mitte. Ich versuchte wochenlang, auf Bitten einer befreundeten syrischen Familie hin, herauszubekommen, wer dort die Frage beantworten könnte, warum es seit 15 Monaten auf die vollständig eingereichten Unterlagen zur Einbürgerung des Ehepaares keine Reaktion gibt und wann das mit der Einbürgerung klappen könnte. Ich lese, dass man in Berlin irgendwas mit Einbürgerung neu regeln will. Vielleicht ist das der Grund, dass Bezirksämter jetzt die Füße stillhalten.Dann kam doch ein Brief von der Behörde. „In Ihrer Einbürgerungsangelegenheit bitte ich zunächst die aufgrund der massiven Steigerung der Antragszahlen und der Personalsituation entstandene Verzögerung in der Bearbeitung zu entschuldigen.“ Gefolgt von einer Liste noch beizubringender Papiere, die vor anderthalb Jahren eingereicht wurden, aber nun nach Meinung des Amtes eben nochmal eingereicht werden müssten (ist ja Zeit vergangen). „Eine Fortsetzung der Bearbeitung ist nur nach vollständigem Eingang sämtlicher Unterlagen möglich“, heißt es zum Schluss. Und während sich das Amt 15 Monate Zeit gelassen hatte mit diesem Schreiben, wird den Antragsstellern nun eine Frist bis Ende April gesetzt.Keine Parkvignetten für geteiltes AutosIch bin in dieser Stadt vor Gericht mit dem Versuch gescheitert, für ein zwischen mir und mehreren Freunden geteiltes Auto, zwei Parkvignetten für zwei verschiedene Parkräume genehmigt zu bekommen. Der Richter hatte kundgetan, dass es nur der Änderung einer Verwaltungsvorschrift bedürfe, damit er zu unseren Gunsten entscheiden könne. In Köln gibt es diese Vorschrift längst. Läuft super, haben die dort auf Nachfrage gesagt. Menschen, die sich ein Auto teilen, anstatt zwei oder drei davon 23 Stunden am Tag rumstehen zu lassen, wüssten das zu schätzen. Die Verwaltungsvorschrift gibt es bis heute nicht, Köln ist Karneval, sagen die hier, verweist man auf andernorts offensichtlich unbürokratische Regelungen.Bei dem Versuch, einem jungen Syrer dabei zu helfen, von einem Gymnasium in Mitte auf ein Oberstufenzentrum in Charlottenburg zu wechseln, bin ich irgendwann zwischen irgendwelchen oberen und unteren Schulbehörden verloren gegangen. Den letzten (sehr netten) Mitarbeiter einer dieser Behörden, habe ich am Telefon gefragt, ob es nicht klug wäre, einfach alle angeblich zwingend notwendigen Papiere und Unterschriften von irgendwelchen Behörden zu ignorieren und den Jungen stattdessen dort in der neuen Schule im Sekretariat anzumelden. „Gute Idee“ hat der Mann gesagt, und dann hat es auch genauso geklappt.Die letzte Sterbeurkunde habe ich zum Glück vor fünf Jahren gebraucht, Pass und Personalausweis sind noch eine Weile gültig. Ich bin zu alt, um noch eine Geburtsurkunde für ein Kind zu benötigen, muss kein Auto ummelden, kein Wohngeld beantragen und kann damit leben, wenn mir Doctolib im Juni den frühesten Facharzttermin für eine Vorsorgeuntersuchung anbietet. Ich bin gut zu Fuß, kann also alle Linienunterbrechungen der BVG großräumig umlaufen. Ich lebe nicht in Pankow, wohin man gerade schwer kommt, weil irgendwelche größenwahnsinnigen Hochausprojekte auf einem fast vollständig untertunnelten Platz die U-Bahn zum Wanken bringen. Ich wohne in einer Genossenschaft und bin bei einer Leerstandsquote von unter einem Prozent auf die ganze Stadt gerechnet nicht in der Situation, eine Wohnung suchen und finden zu müssen. Andere können sich überlegen, ob sie eine der 4,5 Millionen Euro teuren Apartmentwohnungen auf dem 23.000 Quadratmeter großen Areal des einstigen anarchischen Kulturortes Tacheles in der Oranienburger Straße kaufen wollen. Der Senat hatte 1998 das Areal für 2,8 Millionen Mark verscherbelt. Dafür bekommt man eine Viertel-Apartmentwohnung.Bis die Bürgerin oder der Bürger einfach aufgibt oder wegstirbtMeine Mitbewohnerin schreibt mit ihrem Neffen und für ihn seit einem dreiviertel Jahr wöchentlich vier bis fünf Bewerbungen, um eine kleine, bezahlbare Wohnung für den über Dreißigjähren zu bekommen, der dann endlich von zu Hause ausziehen könnte. Er ist noch nie auch nur zu einer einzigen Besichtigung eingeladen worden.Wer in Berlin von einem Bezirk in den anderen zieht und beim Jobcenter anhängig ist, wird behandelt, wie ein Neuzuzug. Nur Berlinerin oder Berliner zu sein, genügt da nicht. Man fängt mit allem ganz von vorn an.Ich rede in einer Gartenkneipe mit Leuten, die sich seit Jahren darum bemühen, dass der extrem dunkle Weg hin zu den Kleingärten der Anlage eine Beleuchtung bekommt. Aber weil sich zwei Bezirke den Weg „teilen“, wird es dort nie Licht geben. Bezirke sind nicht dazu da, miteinander zu kooperieren, stattdessen haben sie zu hoher Kunst entwickelt, die Verantwortlichkeiten im unbekannten Raum frei flottieren zu lassen. Solange, bis die Bürgerin oder der Bürger einfach aufgibt oder wegstirbt.Wer in dieser Stadt in Eigenregie eine Baumscheibe begrünen und pflegen will, muss einen Antrag stellen. Immerhin gibt es dafür ein Online-Formular. Es verwundert geradezu, dass es nicht auch ein Antragsverfahren gibt für den Fall, man sammelte im Volkspark Friedrichshain mal nebenher ein bisschen Plastikmüll ein.Wenn ich an einem Tag ohne Budenzauber und aufgerissene Straßenbahnschienen den Alexanderplatz quere (bei Budenzauber ist das eher nicht angeraten), frage ich mich hin und wieder, aus welchem Kreis der Hölle eigentlich die Vorstellung stammt, uns das Elend komplett durchkommerzialisierter öffentlicher Räume auf dann doch so kleinem Raum zu präsentieren. Die Polizeiwache mitten auf dem Platz ist der einzige Ort, an dem man kein Geld benötigt, wenn man etwas möchte. Und wohl auch noch der Schlafplatz unter der S-Bahnbrücke und neben der Kneipe „Besenkammer“. Viel genutzt als Schutzraum im Freien zwischen Saturn, Denns Biomarkt, drei dm-Filialen, Tchibo, Kaufhof, New Yorker, Starbucks und C&A.Wo nur noch Katzenkalender helfenMir hat sich bis heute nicht erschlossen, wie jemand auf die Idee kommen kann, mangels eines klimatauglichen Verkehrskonzeptes für die ganze Stadt ein Stückchen Vorzeige-Friedrichstraße autofrei zu basteln, das auch noch handwerklich so schlampig zu tun, sodass es dazu mehrerer Schleifen bedarf, und dann zu glauben, das würde die Menschen von der Ernsthaftigkeit politischer Bemühungen um eine klimataugliche Stadt überzeugen. Angesichts einer Straße, die Einheimische entweder fluchtartig durchqueren oder großräumig umgehen. Also nicht da, wo gewohnt, gelebt, gegen die Inflation angehungert oder die zu kleine Wohnung mit Stockbetten aufgerüstet wird, damit der Nachwuchs einen Platz hat.Wenn ich doch mal ein Behördenzimmer betreten muss, frage ich mich oft, wie man eigentlich auf die Idee kommt, seine personell schlecht ausgestattete und runtergehungerte Verwaltung auch noch damit zu strafen, in schrecklich deprimierenden Räumen ihrer Arbeit nachgehen zu müssen. Da helfen oft wirklich nur noch Katzenkalender und goldene kleine Buddhas, die auf altersschwachen Bildschirmen stehen, die mit Computern verbunden sind, auf denen sich ebenso altersschwache Software jeglicher Digitalisierungsbemühung verweigert.Bei der Durchquerung des wirklich hübschen Bötzowviertels sehe ich, dass es mit der Aufstockung zugunsten sehr schöner, sehr großer, sehr teurer Dachgeschosswohnungen zu funktionieren scheint, während die Debatte, ob man vielleicht auch und dann bezahlbaren Wohnraum gewinnen könnte, wenn große Blöcke noch eine oder zwei Etagen mehr bekommen, immer wieder im Sande verläuft. Neubau ist das Mittel der Wahl. Funktioniert aber auch nicht so richtig. Nun vielleicht doch, wenn die GroKo das Tempelhofer Feld umbauen möchte.Vieles, was den Alltag nicht nur schön, sondern auf eine notwendige Art beherrschbar macht, funktioniert in dieser Stadt nicht. Daran hat bislang noch keine Politik etwas grundlegend geändert. Die nun kommende wird es schlimmer machen. Dessen kann man wohl gewiss sein. Die gehende muss sich die Frage gefallen lassen, womit sie das hätte verhindern können. Und wird die nicht beantworten können.