Zukunftszentrum für Deutsche Einheit in Halle: Dringender braucht es der Westen

Meinung Das „Zukunftszentrum für Deutsche Einheit und Europäische Transformation“ wird in Halle (Saale) gebaut. Aber könnte der Lerneffekt tief im Westen nicht sehr viel größer sein?
Ausgabe 08/2023
30 Jahre Geschichte ziehen vorbei
30 Jahre Geschichte ziehen vorbei

Foto: David Gannon/AFP/Getty Images

Es ist entschieden. Das Zukunftszentrum für Deutsche Einheit und Europäische Transformation wird in Halle (Saale) und auf einem der unwirtlichsten Plätze, den ostdeutsche Städte zu bieten haben, gebaut. Direkt vor dem Hauptbahnhof soll es stehen.

Die 2020 eingesetzte Expert:innen-Kommission „30 Jahre friedliche Revolution und Deutsche Einheit“ hatte die Errichtung eines solchen Zentrums empfohlen und die Bewerbung sechs ostdeutscher Städte begutachtet. Am Ende blieben zwei Favoriten: Frankfurt (Oder) und Halle (Saale). Und ganz am Ende wurde es die Bach-Händel-Arbeiter-Universitätsstadt Halle. 200 Millionen Euro sollen für den Bau zur Verfügung stehen, Hunderte Arbeitsplätze geschaffen werden, 2028 wäre die feierliche Eröffnung. Ein Jahr vor dem 40. Wende-Jubiläum.

Bereits jetzt übertreffen sich die Superlative, was dieses Zentrum alles leisten beziehungsweise welche Versäumnisse es wettmachen soll. In seiner Vollmundigkeit hat das teilweise die Anmutung eines Verkaufsgesprächs, was schade ist, denn die Idee für ein solches Projekt war und ist gut.

Der Ostbeauftragte der Bundesregierung, Carsten Schneider (SPD), nennt es eines „der wichtigsten Projekte für die Festigung der Deutschen Einheit und des Zusammenhalts in Europa in den kommenden Jahren“. Das ist in seiner Konsequenz eine bedenkliche Aussage und hoffentlich einfach nur Presseerklärungs-Wortgeklingel. Weil es sonst bedeuten könnte, dass es nicht viele wichtigere Projekte für Festigung und mehr Zusammenhalt gibt. Die Bundesregierung ließ zum Standortwettbewerb verlauten, geplant sei „ein Ort, an dem die Erfahrungen und Leistungen der Menschen aus und in Ostdeutschland in den letzten 30 Jahren sichtbar gemacht werden“. Und weiter: „Hier sollen die Bedingungen für eine Transformation von Wirtschaft und Gesellschaften erforscht und Lebensleistungen gewürdigt werden. Das Zentrum bietet Raum für Kultur, Dialog und lebendige Diskussionen.“

Natürlich stellt sich bei solchen Statements die Frage, ob so ein Zentrum überhaupt leisten kann, was hier aufgerufen wird, wenn es denn an anderen Stellen an vielem fehlt. Vielleicht ja. Vielleicht werden an diesem Ort die Defizite einer Transformation von oben nach einer Revolution von unten lebendig diskutiert, die Verletzungen geheilt und Verwerfungen aufgearbeitet. Vielleicht löst es den Knoten ewig gleicher Bilder von ewig gleichen Ostdeutschen und erweitert den Blick wirklich auf die osteuropäischen Erfahrungen mit Schocktherapien. Und mit einem Freiheitsversprechen, dem oft die Arroganz innewohnte, mit stets gleichen und oft abwertenden Stereotypen zu unterstellen, dass viele mit diesem großartigen Versprechen gar nichts anzufangen wüssten. Oder es, schlimmer noch, in übelster Weise am rechten Rand missbrauchen. Weil ihre Erfahrung mit Unfreiheit im Ewiggestrigen und Jammerei mündet und sich durch die Generationen mendelt.

Geradezu ketzerisch mutet die Frage an, warum dieses Zentrum eigentlich im Osten behaust sein muss. Also dort, wo das sich aus eigener Erfahrung speisende größte Wissen über Umbruch, Transformation und Neuanfang vorhanden ist. Wäre es denn nicht viel besser gewesen, mit einem solchen Projekt dorthin zu gehen, wo der Lerneffekt aufgrund mangelnden oder nicht vorhandenen Wissens am größten zu werden verspricht? Tief in den Westen also?

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