Ken Merten über Befreiungskampf in Kurdistan: Ein Dresdner in Rojava

Roman Naiv und verliebt in den Befreiungskampf in Kurdistan – Ken Mertens Debütroman „Ich glaube jetzt, dass das die Lösung ist“ klingt wie cooler Rap und unterläuft jeden Heroismus
Ausgabe 08/2024
Eine Kämpferin der Frauenverteidigungseinheiten YPJ in Rojava
Eine Kämpferin der Frauenverteidigungseinheiten YPJ in Rojava

Foto: Imago/Zuma Press

„Aso“ ist das kurdische Wort für Horizont, aber wenn man auf die Aufforderung, sich einen Kampfnamen zuzulegen, auf Deutsch „Achso“ antwortet, wird es prompt der eigene Name. Es ist ein glücklicher kleiner Unfall, der aus dem uneleganten Ausdruck spontanen Verstehens ein melodisches Wort für die Weite der Erde macht, einen poetischen „nom de guerre“.

Ken Mertens Debütroman ist mit noch anderen kleinen glücklichen Unfällen gespickt, ja er beginnt mit einem: Der Protagonist „I.“, dessen vollständigen Vornamen man nicht erfährt, steht in einer Wohnung im Dresdner Hechtviertel vor dem Fernseher, als der kultige Malerautodidakt Bob Ross sein künstlerisches Credo formuliert: „These are all just happy little accidents.“ Worauf im Roman der größtmögliche kleine glückliche Unfalldas ganze folgende Geschehen motiviert: I. verliebt sich. Und zwar in Kim, eine Linke, eine ziemlich radikale Linke – so radikal, dass sie Probleme mit den staatlichen Repressionsorganen hat.

Anders als Ernest Hemingways „Wem die Stunde schlägt“

Und weil es der Sommer 2017 ist, gibt es einen Ort, an den es Leute wie Kim zieht: Rojava in Kurdistan. Dort kämpfen die Truppen der YPG und YPJ gegen Daesh, den Islamischen Staat – und gleichzeitig für die eigene Autonomie, nicht einfach als Staat, sondern als demokratische Föderation, gemäß den Ideen Abdullah Öcalans. Rojava ist für die Linke des 21. Jahrhunderts, was Katalonien in den 1930ern war: die Revolution im Vollzug und im Abwehrkampf gegen einen faschistischen Feind.

Doch wer nun einen Heldenroman à la Hemingways Wem die Stunde schlägt befürchtet, der fällt herein. Nicht nur hat Merten mit seinem Protagonisten einen Antihelden par excellence erschaffen. Obendrein unterläuft er erzählerisch und sprachlich jeden Heroismus.

I.s Leben zwischen trinkendem Vater, (die Mutter hat sich ausgerechnet nach Spanien verabschiedet), Arbeit an der Supermarktkasse und Studium könnte zunächst kaum banaler sein. Zwar verkehrt er irgendwie in der linken Szene, seine gute Freundin Amira kennt sich aber wesentlich besser aus, mit Marx, mit Gewerkschaften, mit Revolution, denn I. hat’s nicht so mit Theorie. Eher mit dem Schreiben. Ereignisse, Gedanken, Dialoge hält er in seinem Notizbuch fest. Und hier wendet der Autor einen der entscheidenden Kniffe an: Der Stil dieser Einträge prägt das ganze Buch, als sei der Roman selbst das Tagebuch.

Watend nach Syrien

Die brachiale Mündlichkeit des Ausdrucks reagiert hier mit launisch-spielerischer Wortklauberei. Nicht nur die konsequente Abwesenheit des Genitivs mag bildungsbürgerliche Beißreflexe auslösen, doch wer sich daran gewöhnt, wird belohnt mit Sätzen wie „I. war watend nach Syrien reingekommen, ins Land mit dem Krieg, ohne gekriegt zu werden, und ohne mit dem Wort Krieg noch einmal Wort zu spielen, wollen wir hoffen, denn es wird ernst.“

Dabei driftet Merten nie in den Klamauk ab, der Wortwitz birgt Doppelbödigkeit und sogar mit ihrer eigenen Fiktionalität spielen die Figuren, etwa wenn der verliebte Befreiungskämpfer seine Liebe fragt: „Was dachtest du eigentlich, wovon ich geredet hab, da zwei Seiten weiter oben?“

Dass diese im besten Wortsinn gekünstelte Sprache mit einem so brutalrealen Gegenstand wie dem Krieg zusammentrifft, ist die Stärke dieses Buches. Denn der Krieg erscheint dadurch komplett entmystifiziert – dies ist nicht der Krieg George Orwells und auch nicht der Ernest Hemingways, und schon gar nicht der Ernst Jüngers. Dies ist der Krieg, in dem ein junger Dresdner in einem Dorf in Nordsyrien glücklich einen Döner „ge-hmgeffn-hm“ und einem seiner Hevals (kurd., „Freund“) beim Rappen zuhört.

Abdullah Öcalan und Hans Heinz Holz, Lenin und Karl Marx

Ansonsten bleibt viel Zeit zum Wachestehen und für die Runden der Kritik und Selbstkritik, denen sich alle Mitglieder der kurdischen Einheiten stellen müssen. Und fürs Chatten mit Kim, von der I. gleich nach dem Grenzübertritt getrennt wurde, aus dem Traum von der Wüstenromanze wurde also nichts. Liebe ist was für nach dem Krieg, und sowieso: die Männer müssen ja auch erst mal das Patriarchat in sich selbst reflektieren. Nebenbei verhandelt Ken Merten also noch die großen Fragen der Linken, seine Figuren diskutieren Öcalan und Hans Heinz Holz, Lenin und Karl Marx.

Ein dichtes und kluges, poetisches und lustiges Buch ist das, der Titel könnte von I. stammen: Ich glaube jetzt, dass das die Lösung ist. Seine Stärke liegt darin, dass es seine Protagonisten weder überhöht noch lächerlich macht. So steht der Antiheld I., der aus Liebe zur Revolution kommt und dabei weder zum Berserker noch zum Zyniker mutiert, am Ende wieder am Anfang: vor der Wohnungstür seines Vaters. Und so endet das Buch so, wie das Leben weitergeht: „Usw. usf.“

Ich glaube jetzt, dass das die Lösung ist Ken Merten XS Verlag 2024, 248 S., 23 €

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Geschrieben von

Leander F. Badura

Redakteur Kultur (Freier Mitarbeiter)

Leander F. Badura kam 2017 als Praktikant im Rahmen seines Studiums der Angewandten Politikwissenschaft in Freiburg und Aix-en-Provence zum Freitag, wo er bis 2019 blieb. Nach einem Studium der Lateinamerikastudien in Berlin und in den letzten Zügen des Studiums der Europäischen Literaturen übernahm er 2022 im Kultur-Ressort die Verantwortung für alle Themen rund ums Theater. Des Weiteren beschäftigt er sich mit Literatur, Theorie, Antisemitismus und Lateinamerika. Er schreibt außerdem regelmäßig für die Jungle World.

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