Perspektiven statt Misstrauen

Debatte Generelle Alterstests für Asylbewerber sind unnütz. Stattdessen muss ein Asylrecht her, das Perspektiven bietet
An der Methode der Ermittlung des „Knochenalters“ gibt es berechtigte Zweifel
An der Methode der Ermittlung des „Knochenalters“ gibt es berechtigte Zweifel

Foto: imago/UIG

Der Fall des getöteten Mädchens von Kandel hat eine öffentliche Debatte ausgelöst, in der wieder einmal strafrechtliche Belange mit asylrechtlichen vermengt werden; eine Masche, die der Gefühlslage vieler Menschen entspringt, die jedoch, so, wie die Debatte geführt wird, letztlich der rechten Hetze nutzt. Es ist durchaus möglich, dass bei der Tat spezifische, kulturell-ideologisch geprägte Motive der Frauenverachtung eine Rolle gespielt haben. Das wird der Prozess bestenfalls zeigen. Aber das ist kein Fall fürs Asylrecht.

Dass nun die CSU auf den AfD-Zug aufspringt und flächendeckende Alterstests für Flüchtlinge fordert, mag im Affekt vernünftig klingen – schließlich ist das Alter eines Täters maßgeblich für die etwaige Strafe –, führt allerdings in die Irre. Selbst wenn man das Argument des Ärzteverbandes, ein generelles Röntgen der Hand sei ein unzulässiger Eingriff in die körperliche Unversehrtheit, abtun möchte, gibt es berechtige Zweifel an der Methode der Ermittlung des „Knochenalters“.

Dabei werden Röntgenbilder der Hand mit Werten aus wissenschaftlichen Studien verglichen. Es handelt sich also stets um Mittelwerte, die Abweichungen können erheblich sein, da die Faktoren, die für eine Differenz zwischen Knochen- und chronologischem Alter sorgen können, zahlreich sind. Dazu kommt, dass die Vergleichswerte aus Studien kommen, die alt sind und in den USA bzw. Großbritannien erstellt wurden, wie der nach seinen Entwicklern benannte Atlas „Greulich & Pyle“ von 1959. Nicht nur Pro Asyl kommt daher zu dem Schluss, dass diese Tests „völlig ungeeignet“ sind, um auf Asylbewerber angewendet zu werden. Einen jungen Mann aus einem Dorf am Hindukusch mit einem Kind aus der weißen Oberschicht der USA oder einer britischen Arbeiterfamilie zu vergleichen, ist nicht sonderlich aussagekräftig.

Kein Bedarf für Generalverdacht

Ja, es ist wichtig, das Alter der Asylbewerber zu kennen, weil es rechtliche Konsequenzen hat. Aber das geschieht, wenn nötig, längst – auch mithilfe des eigentlich als Diagnoseinstrument gedachten Knochentests. Doch es gibt zahlreiche Gründe, weshalb das Alter oft im Unklaren liegt. Die lange, oft beschwerliche Reise überlebt nicht jeder Reisepass, einige Herkunftsländer stellen nicht jedem einen aus und obendrein entsorgen viele ihre Papiere, bevor sie kommen. Ein Skandal, mag man rufen, die kommen mit Täuschungsabsicht! Es ist allerdings nur rational, da so die Chancen, abgeschoben zu werden, drastisch verringert werden. Ohne Herkunftsland keine Abschiebung, bei unklarem Alter gilt – zumindest solange sich der Grüne Boris Palmer mit seiner Forderung, die Beweislast umzudrehen, nicht durchsetzt – das juristische Prinzip in dubio pro reo. Generalverdacht hilft ohnehin niemandem.

Ein Asylsystem, das selbst Kriegsflüchtlingen miserable Bleibe- und Integrationsperspektiven bietet, muss sich nicht wundern, wenn es ausgetrickst wird. Ebensowenig überrascht es, dass unter denen, die tricksen, womöglich Straftäter sind – oder solche die es werden könnten, weil obendrein kaum psychologische Betreuung beispielsweise traumatisierter Jugendlicher stattfindet. Darüber sollte geredet werden: ein Asylrecht, das Chancen bietet und ein engmaschiges Betreuungs- und Integrationsnetz. In einem solchen Rahmen könnten auch inakzeptable Einstellungen und Verhaltensweisen vieler Flüchtlinge endlich vernünftig thematisiert werden.

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Geschrieben von

Leander F. Badura

Redakteur Kultur (Freier Mitarbeiter)

Leander F. Badura kam 2017 als Praktikant im Rahmen seines Studiums der Angewandten Politikwissenschaft in Freiburg und Aix-en-Provence zum Freitag, wo er bis 2019 blieb. Nach einem Studium der Lateinamerikastudien in Berlin und in den letzten Zügen des Studiums der Europäischen Literaturen übernahm er 2022 im Kultur-Ressort die Verantwortung für alle Themen rund ums Theater. Des Weiteren beschäftigt er sich mit Literatur, Theorie, Antisemitismus und Lateinamerika. Er schreibt außerdem regelmäßig für die Jungle World.

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