Aya Nakamura: Warum Frankreich über die franko-malische Star-Sängerin streitet
Porträt Aya Nakamura soll zur Eröffnung der Olympischen Sommerspiele in Paris mit einem Lied von Edith Piaf auftreten. Das ruft in Frankreich empörte Ultrarechte und Nationalisten auf den Plan
Aya Nakamura ist die derzeit erfolgreichste frankophone Musikerin. Die Geschichte der 28-Jährigen liest sich wie die eines dieser französischen Märchen vom Einwanderer-Mädchen aus der berüchtigten Banlieue.
Foto: Dave Benett/Getty Images
Wird man als Sängerin mit dem Spitznamen „Queen“ bedacht, sagt das einiges über den künstlerischen Werdegang. Tatsächlich hat „Queen Nakamura“ längst den Gipfel der Pop-Welt erklommen. Auf sechs Milliarden Streams kommen ihre Clips bislang, mit ihren vier Alben hat sie unzählige Preise gewonnen. Kurzum: Aya Nakamura ist die derzeit erfolgreichste frankophone Musikerin.
Ihre Songs wie „Djadja“ oder „Pookie“ gehören für viele Jugendliche zu den „classiques“
Die Geschichte der 28-Jährigen liest sich wie die eines dieser französischen Märchen vom Einwanderer-Mädchen aus der berüchtigten Banlieue. Als Kind kam Aya mit ihren Eltern und vier Geschwistern aus Mali in die ̶
s Mali in die „Cité des 3.000“ in Aulnay-sous-Bois nahe Paris. Ein „sozialer Brennpunkt“, der eher mit Kleinkriminalität und Gewalt für Schlagzeilen sorgt als mit Erfolgsgeschichten. Spätestens mit dem Aufkommen sozialer Medien ist die Hermetik der tristen Hochhaussiedlungen an einigen winzigen Stellen aufgebrochen. So postete eine damals 19-Jährige auf Facebook einen selbst geschriebenen Song und fand sich plötzlich auf der musikalischen Bildfläche wieder.Ihren Künstlernamen Nakamura entlehnt Aya Danioko der amerikanischen Action-Serie Heroes, ihre Musik, die Texte und Videos tragen die typischen Marker amerikanischer Hip-Hop-Kultur. Sie mischt englische und französische Jugendsprache, kürzt ab, verdreht, verspielt die Silben und inszeniert sich genau wie ihre männlichen Kollegen zwischen leicht bekleideten, sexy tanzenden Frauen auf teuren Luxusautos, in Pelzmänteln und zwischen flatternden Dollarscheinen. Wie viel davon seriös gemeint und wie viel Persiflage ist, wird nicht immer ganz deutlich, aber Songs wie Djadja oder Pookie gehören für Jugendliche zu den „classiques“.Lieber zur Schulaufführung ihrer Tochter als Gastauftritt bei Alicia KeysBis heute gibt die Sängerin an, ohne Management auszukommen, obwohl sie bei Warner Music unter Vertrag ist. Nakamura gibt sich unkonventionell, authentisch, mal Diva, mal best Friend. In Megastadien wollte sie sich wegen der miesen Soundqualität nicht präsentieren. Als sie 2022 von Alicia Keys zu einem Gastauftritt geladen wird, schwänzt die Alleinerziehende die Probe, um einer Schulaufführung ihrer Tochter beizuwohnen. Ein Kapitel im Märchen über eine selbstbestimmte, außergewöhnliche Königin.Frankreich wäre nicht Frankreich, wenn diese unglaubliche Geschichte nicht auch eine dramatische Wendung bereithalten würde. In einem Land, das seine Kultur als besonders herausragend begreift, ist die Frage, wer sie auf welche Weise repräsentieren darf, politisch relevant und explosiv. Als vor einigen Tagen bekannt wurde, dass Nakamura möglicherweise bei der Eröffnungszeremonie der Olympischen Sommerspiele in Paris singen soll – dazu ausgerechnet ein Lied von Edith Piaf, dem „Spatz von Paris“ –, ließen die Reaktionen von rechts nicht lange auf sich warten. Éric Zemmour und Marion Maréchal (geborene Le Pen) führten ins Feld, das, was Nakamura da zum Besten gebe, sei einfach kein Französisch. Gérard Larcher, Präsident des Senats, beklagte, in Aya Nakamuras Songtexten ginge es unter anderem um Stellungen beim Geschlechtsverkehr. Dass der Großmeister des französischen Chansons und Bonvivant, Serge Gainsbourg, im Jahr 1966 die damals 19-jährige France Gall mit dem Lied Les sucettes (Die Lutscher) auf die Bühne schickte, das nichts anderes war als ein niedliches Loblied auf die Fellatio, sei nur am Rande erwähnt. Man sollte daran erinnern, dass Piaf einst als Kind aus der Gosse galt, in einem Bordell aufwuchs, von einem Nachtclubbetreiber entdeckt wurde und mehr als ein Dutzend Liebhaber zählte. Hier die weiße Freizügigkeit in der Sprache der Liebe, dort die schwarze Anstößigkeit und mutmaßliche Verunglimpfung des Französischen durch Straßenslang.Zu Aya Nakamura gab es eine Welle von rassistischen, hasserfüllten Nachrichten in den sozialen Netzwerken. Die ultrarechte Pariser Jugendorganisation „Les Natifs“ verbreitete ein Foto vor pittoresker Seine-Kulisse mit dem Transparent: „Nicht’s iss, Aya. Wir sind hier in Paris, nicht auf einem Markt in Bamako“.Die Vulgarität der französischen Ultrarechten Auf X warf die Gruppe Emmanuel Macron vor, er verachte das französische Volk und dessen Kultur, er wolle die französische Eleganz durch Vulgarität ersetzen, das französische Chanson afrikanisieren und die einheimische Bevölkerung zugunsten einer außereuropäischen Einwanderung verdrängen. Stichwort: der große Austausch, ein Narrativ, das auch die AfD gern verbreitet. Inzwischen hat die Organisation SOS Racisme gegen die Gruppe „Les Natifs“ wegen des Aufrufs zu Rassenhass und Cybergewalt Anzeige erstattet, zahlreiche politische und künstlerische Stimmen machen sich für Nakamura stark.Übrigens sang 1989, als die 200. Wiederkehr der Französischen Revolution in einer dreistündigen Inszenierung gefeiert wurde, die schwarze US-Opernsängerin Jessye Norman die Marseillaise auf der Place de la Concorde, eingehüllt in die Trikolore. Ein Auftritt, zunächst umstritten, später weltweit gefeiert. Umso näher die olympische Flamme rückt, umso heißer dürfte die Debatte um Frankreichs kulturelle Identität geführt werden. Sei’s drum. Lang leben die Queen und die Pariser Spatzen.Eingebetteter Medieninhalt
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