Augen auf bei der Kandidatenwahl

SPD Sigmar Gabriel glaubt nun auch öffentlich nicht mehr an einen Sieg von Martin Schulz am 24. September und sorgt deshalb in eigener Sache vor
Schon wieder ein Wort zu viel gesagt?
Schon wieder ein Wort zu viel gesagt?

Foto: Tobias Schwarz/Getty Images/AFP

Das ist doch mal eine überraschende, aber nachvollziehbare Wende. Sigmar Gabriel gibt zu, was er sich bisher offenkundig gerade noch verkneifen konnte: Wie sehr er das Amt des Außenministers schätzt und die Finger nicht mehr davon lassen will. Die Frage ist nur, was geschieht mit all der Passion und Hingabe nach dem 24. September?

Zu befriedigen wäre die Freude am Amt nur, wenn die SPD weiter in einer großen Koalition verharrt, und ihr Spitzenkandidat eine Niederlage einfährt, die noch krachender ausfällt als die 25,7 Prozent von Peer Steinbrück vor vier Jahren. Damit wäre Martin Schulz als Parteivorsitzender wohl kaum mehr zu halten und ebenso wenig ministrabel. Dass es so kommt, dafür sorgen der Bewerber und seine Eindimensionalität weitgehend selbst. Wenn das nicht reicht, hinterlässt die verstörende Versicherung Wirkung: Er, Martin Schulz, sei davon überzeugt, trotz alledem der nächste Kanzler zu sein.

Falls das immer noch zu wenig sein sollte, um die Demontage voranzutreiben – kann ja sein – , hat Sigmar Gabriel jetzt Vorsorge getroffen, dass fällt, wen der Sturz nur noch erlösen kann. In einem vom Spiegel im Internet übertragenen Interview hat sich Gabriel zu der Einsicht hinreißen lassen, dass die SPD bei der Bundestagswahl wohl nicht mehr stärkste Partei werden könne. Tatsächlich? Der Unterschied bei den Umfragen ist einfach zu groß und der Wahltermin in gut drei Wochen zu nahe, als dass sich mehr als 15 Prozent Abstand zur CDU/CSU noch aufholen ließen. Also geht der Ex-SPD-Chef mit der Auskunft hausieren: „... da kann der Schulz schon mal einpacken, weil dabei wird er dann nicht Kanzler." (Achtung nicht auf eine flüssige deutsche Sprache, sondern die Wahrheit kommt es an!)

Welche Machtperspektive

Vielleicht wird es in einem gewissen zeitlichen Abstand nach dem Votum am 24. September möglich sein, in Ruhe zu analysieren, weshalb gemessen an der Situation zu Beginn des Jahres, als es für die SPD nach der Nominierung von Schulz einen wachsenden Rückhalt gab, der bald wie ein Soufflee in sich zusammenfiel. Es ist Martin Schulz weder gelungen, eine überzeugende Machtperspektive zu entwickeln, noch eine Wechselstimmung zu erzeugen. Die Angebote des Kandidaten erschienen letztlich zu halbherzig, weil sie das vermieden, was der SPD wieder mehr Glaubwürdigkeit verschafft hätte, radikal und unwiderruflich mit der sozialen Demütigung und Missachtung von Lebensleistungen zu brechen, wie sie mit der Agenda 2010 verbunden sind.

Nicht einmal zu einer klaren Aussage über die Verlängerung der Bezugsdauer von ALG I – ohne Auflagen – konnte sich Schulz durchringen. Stattdessen die irre Flucht nach vorn durch den Vorwurf an Angela Merkel, sie verübe einen „Anschlag auf die Demokratie“, was medial unterversorgte Wähler schwerlich verstehen und nur als Verzweiflungstat deuten können.

Zur Not Oppositionsführer

Fast könnte man meinen, Gabriel weiß sehr gut, was sich seine Partei mit einem solchen Spitzenkandidaten und seiner leutseligen, auf die Dauer ermüdenden Bonhomie eingehandelt hat. Als Loyalitätsbeweis jedenfalls lässt sich die Vorhersage, Schulz werde vergeblich gegen die Bastion Merkel anrennen, nicht deuten. Eher als ein Zeichen der politischen Vorsorge für die Zeit nach dem 24. September, die man sich als Außenminister oder auch als Oppositionsführer im Bundestag ganz gut vertreiben kann. Dazu muss Schulz nur heftig straucheln. Sigmar Gabriel hat zu verstehen gegeben, dass er seinen Anteil daran nicht schuldig bleiben möchte.

Das Willy-Brandt-Haus hat inzwischen versucht, die von Gabriel ausgelösten Irritationen einzuhegen und eine Erklärung veröffentlicht, in der zu lesen ist: "Der frühere SPD-Vorsitzende und Bundesaußenminister Sigmar Gabriel hat nochmals bekräftigt, dass seine Partei mit dem Kanzlerkandidaten Martin Schulz den Anspruch erhebe, den nächsten Kanzler der Bundesrepublik Deutschland zu stellen und Angela Merkel abzulösen", heißt es in der Erklärung. "Gabriel zeigte sich überzeugt, dass das Wahlergebnis der SPD viel besser sein werde, als die aktuellen Umfragen das heute scheinbar nahelegten."

Das mag glauben, wer in Gabriel keinen vorausschauenden Politiker sieht, der weiß, was er will.

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Geschrieben von

Lutz Herden

Redakteur „Politik“, zuständig für „Ausland“ und „Zeitgeschichte“

Lutz Herden studierte nach einem Volontariat beim Studio Halle bis Ende der 1970er Jahre Journalistik in Leipzig, war dann Redakteur und Auslandskorrespondent des Deutschen Fernsehfunks (DFF) in Berlin, moderierte das Nachrichtenjournal „AK zwo“ und wurde 1990/91 zum Hauptabteilungsleiter Nachrichten/Journale berufen. Nach Anstellungen beim damaligen ORB in Babelsberg und dem Sender Vox in Köln kam er Mitte 1994 als Auslandsredakteur zum Freitag. Dort arbeitete es von 1996 bis 2008 als Redaktionsleiter Politik, war dann bis 2010 Ressortleiter und danach als Redakteur für den Auslandsteil und die Zeitgeschichte verantwortlich.

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