Fluch des Bannfluchs

Syrien Außer dem Iran wird kein Land im Nahen Osten stärker sanktioniert. Wann nimmt Deutschland die diplomatischen Beziehungen wieder auf?
Ausgabe 51/2020
Demonstration syrischer Geflüchteter in Frankfurt. Die syrische Zivilgesellschaft wünscht sich Freiheit und Frieden in ihrer Heimat
Demonstration syrischer Geflüchteter in Frankfurt. Die syrische Zivilgesellschaft wünscht sich Freiheit und Frieden in ihrer Heimat

Foto: Ralph Peters/Imago Images

Wer Wasser in den Wein gießt, tut Unwiderrufliches, macht ihn aber nicht ungenießbar. Wer Beziehungen zwischen Staaten abbricht, hat sie nicht auf alle Zeit zerstört, sondern kann sie irgendwann wieder aufnehmen. Wann wird sich Deutschland gegenüber Syrien dazu aufraffen? Vorerst wohl nicht. Zu gründlich wurde im vergangenen Jahrzehnt die politische Norm ignoriert, zwischen einem Staat und dessen Regierung zu unterscheiden. Zu verwegen die Hoffnung, das System Assad werde fallen und gegen eine dem Westen genehme Ordnung ersetzt. Zu verstiegen die Erwartung, dies lasse sich durch den Entzug diplomatischer Kontakte beschleunigen. Wie sinnvoll ist es, sich an einen Boykott zu klammern, der den Erfolg schuldig blieb?

Das syrische Regierungslager beherrscht wieder vier Fünftel des eigenen Territoriums. Auch wenn Gefechte wie in der Provinz Idlib andauern, scheint dieser arabische Krieg entschieden zu sein. Es ist an der Zeit, Machtrealitäten in Realpolitik zu übersetzen. Diese Fähigkeit galt der deutschen Außenpolitik bisher als sicheres Gut. Wie sonst wäre zu erklären, dass die Beziehungen zu den USA trotz Kriegsverbrechen in Vietnam, im Irak oder in Afghanistan nie gefährdet waren? Was zu der Frage führt, wie praktikabel sind doppelte Standards?

Soeben konnte sich die hiesige Konferenz der Innenminister aus den Ländern nicht über den Umgang mit schweren Straftätern und islamistischen Gefährdern aus Syrien einigen. Die Konsequenz: Der bislang geltende generelle Abschiebestopp läuft zum 1. Januar aus. Nur formal!, versichern die SPD-Ressortchefs. Man fände in Syrien keine staatlichen Stellen, die sich dazu kontaktieren ließen. Auch sei die deutsche Botschaft seit 2012 geschlossen. Doppelmoral ergänzt durch Halbwahrheiten. Tatsächlich sind die diplomatischen Beziehungen zwischen Berlin und Damaskus seit mehr als acht Jahren unterbrochen, aber nicht vollends abgebrochen. Was an konsularischen Fragen zu regeln ist, erledigt die deutsche Botschaft in Beirut. Die syrischen Autoritäten wiederum haben, als im Mai 2012 ihr Botschafter in Berlin ausgewiesen wurde, darauf verzichtet, diplomatisches Porzellan zu zerschlagen.

Beachtung verdient zudem die Tatsache, dass von den gegenwärtig etwa 770.000 syrischen Geflüchteten in Deutschland nur zwei Prozent ein unbefristetes Aufenthaltsrecht erhalten haben und gut drei Prozent ein Asylverfahren durchlaufen. In den fast zehn Jahren des bewaffneten Konflikts wurden knapp 18.000 Syrer eingebürgert. Das Gros der Flüchtlinge wie die deutschen Behörden gehen demnach davon aus, dass es früher oder später zur Rückkehr in die Heimat kommt. Mit der es sich um nichts sonst als den syrischen Staat handelt. Dessen Regierungssystem dürfte in zwei oder drei Jahren mutmaßlich kein anderes sein als jetzt.

Was sich dagegen geändert haben könnte, das sind extrem prekäre Lebensverhältnisse, die nicht allein der Krieg verursacht hat. Außer dem Iran ist kein Land im Nahen Osten Sanktionen ausgesetzt wie Syrien. Es bestehen ein Waffenembargo, ein Ölimportembargo, ein Finanzboykott, ein Investitionsverbot für sämtliche Schlüsselsektoren, ein Ausschluss des syrischen Staates von den Hilfsprogrammen der EU. Das heißt, der gegen das Regime verhängte Bann könnte fürchterlicher nicht sein und wird für Millionen Menschen zum Fluch, die verzweifelt versuchen, den verlorenen Faden des Lebens wieder aufzunehmen.

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Geschrieben von

Lutz Herden

Redakteur „Politik“, zuständig für „Ausland“ und „Zeitgeschichte“

Lutz Herden studierte nach einem Volontariat beim Studio Halle bis Ende der 1970er Jahre Journalistik in Leipzig, war dann Redakteur und Auslandskorrespondent des Deutschen Fernsehfunks (DFF) in Berlin, moderierte das Nachrichtenjournal „AK zwo“ und wurde 1990/91 zum Hauptabteilungsleiter Nachrichten/Journale berufen. Nach Anstellungen beim damaligen ORB in Babelsberg und dem Sender Vox in Köln kam er Mitte 1994 als Auslandsredakteur zum Freitag. Dort arbeitete es von 1996 bis 2008 als Redaktionsleiter Politik, war dann bis 2010 Ressortleiter und danach als Redakteur für den Auslandsteil und die Zeitgeschichte verantwortlich.

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