Fühlte sich die Regierung von Benjamin Netanjahu brüskiert, dass fünf Tage nach dem Überfall der Hamas auf israelische Grenzorte der Emir von Katar in Berlin vorsprach? Olaf Scholz (SPD) hatte vor dem Bundestag verkündet, Unterstützer der Hamas hätten in Deutschland nichts verloren, um kurz darauf im Kanzleramt Hamad Al Thani zu treffen, der als Staatsoberhaupt eines einflussreichen Golfstaates dieser Spezies mutmaßlich angehört. Sein Vater Hamad bin Khalifa Al Thani besuchte 2012 als erster Regierungschef überhaupt den Gazastreifen. Allenthalben wurde das als Anerkennung der dort allein regierenden Hamas gedeutet, zumal deren Führer Ismail Hanija Hilfszusagen für die darbende Gaza-Ökonomie erhielt. Angesichts der Nähe z
Angesichts der Nähe zur Hamas sah das israelische Außenministerium seinerzeit die Gaza-Politik Katars als „Legitimation von Terroristen“. Woran sich nichts geändert haben dürfte.Energiesicherheit aus dem EmiratMit dem Staatsgast aus dem Emirat, das mit Erdgas Deutschland zu Energiesicherheit verhilft, hatte Kanzler Scholz fraglos einen potenziellen Vermittler zu Gast. Al Thani könnte die Hamas-Führung bewegen, Geiseln freizulassen. Dass dazu sondiert wurde, lag nahe. Zu erfahren war nichts, eine gemeinsame Pressekonferenz unterblieb. Scholz hätte schwerlich schweigen können, wäre es dem Emir eingefallen, in seinem Beisein aufzufrischen, was Katars Regierung in Doha bereits kundgetan hatte: Für die jüngsten Geschehnisse sei Israel verantwortlich wegen der „ständigen Verletzungen der Rechte des palästinensischen Volkes“.Das Paradigmatische des Vorgangs: Scholz reizte mit jener Begegnung maximal aus, was ihm die zur Staatsräson erhobene Verantwortung für Israel auferlegt. Deren Charakteristikum, moralisch grundiert zu sein, wie das als Imperativ aus deutscher Geschichte erwächst, ist für politische Flexibilität von Nachteil. Eine solche Regierungsdoktrin entfaltet allein durch ihre semantische Ausformung – Holocaust, historische Schuld, unbedingte Solidarität – eine abschirmende Wirkung gegenüber den politischen, rechtlichen und humanitären Verhältnissen, wie sie den Kernkonflikt im Nahen Osten seit den 1940er Jahren prägen.Schweden erkannte Ostjerusalem als Hauptstadt an – als Hauptstadt PalästinasIm Herbst 2009 ließ die designierte Kanzlerin Angela Merkel (CDU) in den damals mit der FDP ausgehandelten Koalitionsvertrag den Passus aufnehmen, die künftige Regierung bekenne sich zur „besonderen Verantwortung Deutschlands gegenüber Israel als jüdischem Staat“. Damit war nicht nur ausgeklammert, dass mehr als ein Fünftel der Staatsbürger Israels Araber sind. Der Begriff „jüdischer Staat“ verstärkte das moralisch-ethische Normativ deutscher Israel-Politik. Für den Umgang mit dem Nahost-Konflikt konnte das nicht folgenlos bleiben.Zur gleichen Zeit hielt es Schweden als EU-Ratsvorsitzender für angebracht, Ostjerusalem ausdrücklich als Hauptstadt eines kommenden palästinensischen Staates anzuerkennen. Die Regierung des sozialdemokratischen Premiers Stefan Löfven tat das, ohne des Antisemitismus geziehen zu werden. Natürlich konnte es sich sein Staat, anders als Deutschland, leisten, eine solche Position zu vertreten. Dort wurden im Zweiten Weltkrieg Juden geschützt, nicht verfolgt und ermordet. Dennoch muss die Frage erlaubt sein, ob nicht auch Deutschland in jüngster Vergangenheit mehr hätte tun können, um die Dinge zwischen Israelis und Palästinensern zu wenden. Warum geriet das Bekenntnis pro Zwei-Staaten-Lösung zur deklarativen Semantik? Weshalb geschah so gut wie nichts, um einer solchen Option Geltung zu verschaffen? Israelische Regierungen trafen Entscheidungen, um das Besiedeln der Westbank zu begünstigen und Jerusalem in Gänze zur Hauptstadt Israels zu erklären. Wie sinnvoll und aufrichtig konnte es da sein, wenn Deutschland an der Zwei-Staaten-Lösung festhielt, deren Bedingungen sich unablässig verschlechterten?Eine friedensstiftende Politik der EU bleibt ausIsraels Position beruht seit jeher auf dem Argument, ein Staat Palästina bedrohe seine Existenz und das Leben seiner jüdischen Bürger, die man nach der Shoah nicht erneuter Vernichtung aussetzen dürfe. Ob diese Annahme begründet ist oder nicht, eines dürfte unstrittig sein: Sobald sie Regierungshandeln bestimmt, und das geschieht permanent, ist es schlichtweg unredlich, zwei Staaten in Palästina für realistisch zu halten. Deutschland tut es trotzdem. Alles andere würde zum Dissens mit den USA wie der EU führen, die ebenfalls so tun, als ob. Schließlich bricht die Besetzung der Westbank seit mehr als einem halben Jahrhundert Völkerrecht, das den Palästinensern ein Selbstbestimmungsrecht zugesteht. Um dies hinzunehmen, ohne sich damit zu identifizieren, wird das Vehikel Zwei-Staaten-Option gebraucht.Der deutschen Israel-Politik beschert das ein zweifaches Dilemma. Aus Gründen der Staatsräson muss sie die Verhältnisse in der Westbank mindestens tolerieren. Hält sie zugleich am Zwei-Staaten-Tableau fest, wird das zur Camouflage, die einzuräumen politisch nicht opportun ist. Eine Konsequenz dieser Ambivalenz ist das Ausbleiben einer friedensstiftenden Nahost-Politik der EU. Die wäre umso wirksamer, je gemeinschaftlicher sie ausfiele. Nur ist das wegen des deutschen Lavierens zwischen dem Bekenntnis zu Israel und dem zur Zwei-Staaten-Lösung undenkbar. So bleibt alles, wie es schlimmer nur werden kann. Und niemandem ist geholfen.