Allenthalben wird der Eindruck erweckt, dass Angela Merkel nach dem Meseberg-Gipfel am 19. Juni mit Emmanuel Macron das erste der angestrebten bilateralen Abkommen über die Rücknahme von Flüchtlingen schon in der Tasche habe. Dass es zu einer Art Junktim gekommen sei, lasse sich der erbrachten Gegenleistung entnehmen. Merkel ringt sich ein Plazet zu dem von Macron sehnsüchtig gewünschten Eurozonen-Budget ab. Nur, was ist dieses ohnehin wolkige Einvernehmen wert, wenn die CSU als Koalitionär das Projekt in der Person des bayerischen Ministerpräsidenten bereits als „Schattenhaushalt“ denunziert und in Frage stellt? Zudem sollte nicht übersehen werden, dass Eurostaaten wie die Niederlande und Österreich dem Vorhaben bisher ablehnend gegenüberstehen. Insofern könnte es sein, dass ein Konsens über einen solchen Haushalt noch mancher Sondierung bedarf und Zeit kosten wird. Das Projekt könnte auch auf der Strecke bleiben.
Ein Standbein mehr
Schließlich ist auch das Einschwenken der Kanzlerin auf einen gemeinsamen Haushalt der Eurostaaten mit Vorsicht zu genießen. Statt des von Frankreich gewünschten dreistelligen Milliarden-Beitrags soll die Ausstattung eines solchen Fonds nur im zweistelligen Bereich liegen. An eine Konditionierung des vorzugsweise als Investitionszulage oder Krisenhilfe gedachten Budgets ist ebenfalls gedacht. Werden damit in wirtschaftliche Nöte geratene Eurostaaten alimentiert, müssen diese selbstredend Auflagen erfüllen. Man muss kein Prophet sein, um vorherzusehen, dass sie denen ähneln werden, die vor nicht allzu langer Zeit mit den Hilfsprogrammen für Griechenland, Irland und andere zur Eurorettung und Haushaltssanierung einhergingen. Die von Deutschland favorisierte Austeritätspolitik in der EU hätte sich ein weiteres Standbein verschafft.
Wenn Macron ein solches Ergebnis als Erfolg wertet, sieht er darüber hinweg, mit anderen seiner Vorschläge aus der Sorbonne-Rede vom September 2017 weiter in der Warteschleife zu kreisen oder schlichtweg auf verlorenem Posten zu stehen. Was er an strukturellen Reformen will, zum Beispiel den Finanzminister für die Währungsunion, stößt in Berlin auf wenig Gegenliebe.
Statt der konzertierten Aktion
Und überhaupt, es ist schon ein skurriler Vorgang, dass als unumgänglich geltende Reformen des Euroraumes ausgerechnet durch die Flüchtlingskrise bzw. das Scheitern einer koordinierten europäischen Flüchtlingspolitik befördert werden. Das geschieht auf bilateralem Wege, nicht etwa als multilaterale Übereinkunft? Wo die konzertierte Aktion nötig wäre, an der alle Euro-Staaten aus voller Überzeugung und im Interessen ihrer Krisenimmunität Anteil nehmen müssten, wird geschachert. Es zeichnen sich Deals ab, die dem 2016 mit der Türkei geschlossenen Flüchtlingsabkommen ziemlich nahekommen.
Ohnehin kommt es in der Flüchtlingsfrage weniger auf Frankreich an, das als Transitgebiet für Migranten kaum ins Gewicht fällt, als auf Italien, Österreich, Griechenland und Bulgarien. Was wird Merkel denen anbieten, um die von ihr versprochene Konvergenz und ein halbwegs konziliantes Verhalten zu erwirken? Und könnt es sein, dass darüber nicht nur das Kanzleramt entscheidet, sondern der Bundestag mitentscheiden müsste?
Die neue Regierung in Rom wird sich vermutlich nicht lumpen lassen, einen Vergleich mit Deutschland für einen Nachweis ihres rigiden Umgangs mit Migranten zu nutzen. Sie kann durch Unnachgiebigkeit vorführen, was sich geändert hat, seit die Lega und die Fünf-Sterne-Bewegung regieren. Vizepremier und Innenminister Matteo Salvini wird sich keinen Deut darum schweren, was Präsident Macron soeben in Meseberg über die gebotene Solidarität in der EU erklärt hat. In der deutsch-französischen Erklärung heißt es, unkoordinierte Aktionen würden Europa und die Völker spalten, dadurch werde nicht zuletzt der Vertrag von Schengen aufs Spiel gesetzt. Der Konjunktiv wirkt surreal, die Europa prägende Realität verlangt nach dem Indikativ.
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