So viele Menschen verlieren gerade ihre Arbeit. Was würden sie dafür geben, bliebe ihnen solcher Verlust erspart? Fünf Tage in der Woche arbeiten, um überhaupt arbeiten zu können? Der Vorschlag der Linken-Politikerin Katja Kipping für eine Vier-Tage-Arbeitswoche erweckt den Eindruck, eher sozialpopulistisch als situationssensibel angehaucht zu sein.
Auch scheint der Stellenwert von Arbeit für ein zivilisiertes Dasein heutiger Zeitgenossen nicht übermäßig zu interessieren. Von diesem „Aus fünf mach vier“ hörend, fielen mir unwillkürlich Friedrich Engels und seine Schrift Der Anteil der Arbeit an der Menschwerdung des Affen (1876) ein. Darin wird Arbeit nicht nur als Quelle allen Reichtums, sondern ebenso als Grundbedingung menschlichen Lebens beschrieben. „Sie hat den Menschen geschaffen“, verkündet der Autor. Und kann ihn, geht sie verloren, auch wieder abschaffen? Zumindest in der Spielart eines kultivierten Wesens, die derzeit noch vorherrscht? Schließlich ist der Mensch nicht nur prädestiniert, Arbeit zu verrichten, sondern auch dafür geschaffen, durch sie geformt zu werden.
Wo bleibt die Eigentumsfrage?
Sicher funktioniert das an fünf so gut wie an vier Tagen. Das Bedenkliche an Kippings Vorstoß ist vielmehr die Suggestion, man könne Arbeitszeit kappen und müsse nicht groß danach fragen, was mit der gewonnenen Zeit geschieht, die den Menschen nicht davon entbindet, ein soziales Wesen zu sein. Wird daraus für die Gesellschaft verlorene Zeit, weil einem Freizeitverhalten mit hohem ökologischen Verschleißfaktor oder dem Rückzug in die virtuelle Schattenwelt der IT-Kommunikation Vorschub geleistet wird? Wie verantwortungsvoll wird mit mehr verfügbarer Zeit umgegangen, die nicht zwangsläufig Freizeit sein muss? Oder wird erst recht zu hedonistischer Lebensform animiert, deren Egomanie in Pandemie-Zeiten unübertrefflich wirkt? Der Zeitgewinn kommt doch den Familien zugute, werde ich ermahnt. Sicher, nur sollten davon alle Generationen etwas haben. Wäre das so?
Kipping sagt: „Die Vier-Tage-Woche macht Beschäftigte glücklicher, gesünder und produktiver.“ Nach dieser Logik müsste das Arbeiten an nur einem Wochentag die allerglücklichsten, gesündesten und produktivsten Mitarbeiter zur Folge haben. Sicher hat Gesundheit viel mit Arbeitszeiten zu tun, aber sie hängt gleichfalls davon ab, unter welchen Bedingungen, mit welcher Anerkennung, welchem Ziel – wie selbst- oder fremdbestimmt gearbeitet wird, in welchem Bewusstsein für den sozialen Ertrag und Effekt dessen, was entsteht.
Die Linken-Vorsitzende sollte das Phänomen entfremdeter Arbeit nicht vollends ausblenden. Wenn unter den gegebenen ökonomischen Verhältnissen verausgabte Arbeit zur Produktion von Gebrauchswerten führt, bedeutet das zugleich Reproduktion patriarchaler sozialer Verhältnisse. In der Regel wird dadurch fremdes Eigentum erhalten oder vermehrt, was der Macht derer dient, die davon profitieren, und die Ohnmacht derer steigert, die davon abhängig sind: die fälschlicherweise „Arbeitnehmer“ Genannten, tatsächlich aber geistige oder körperliche Arbeit „Gebenden“. In dem Maße, wie ihr Produkt zur Ware wird – ob als Zeitungstext oder Schraubenschlüssel –, entfremden sie sich davon, weil mit dieser „Realisierung“ zugleich ein disziplinierendes Lohnarbeitsverhältnis bestätigt, womöglich potenziert wird.
Daran ändern verkürzte Arbeitszeiten rein gar nichts, im Gegenteil, zu deren Ausgleich kann die Arbeitsintensität erhöht werden, was „Arbeitnehmer“ hinnehmen (müssen), weil sie „abhängig Beschäftigte“ sind. Will heißen, wer über Arbeitszeiten, nicht aber die sie einrahmenden, oft ausbeuterischen Produktionsverhältnisse redet, der vernebelt, was aufgebrochen gehört. Es vertritt bestenfalls einen demokratischen Kapitalismus, wer sich davor scheut, die allen Arbeitsverhältnissen zugrunde liegende Eigentumsfrage zu stellen. Da scheinen die Karstadt-Kaufhof-Opfer besser im Bilde zu sein. Sie wissen, dass es die Eigentümer ihres Konzerns sind, niemand sonst, die sie auf die Straße setzen.
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