Risse im Gebälk

Frankreich Präsident Macron deutet die Metamorphose zum geläuterten Wohltäter an. Bleibt die Frage, ob er sozial umverteilt oder ungedeckte Schecks unter die Leute bringt
Das Format – der Lage entsprechend
Das Format – der Lage entsprechend

Foto: Charly Triballeau/AFP/Getty Images

Reue kostet nichts, Macrons jähe Hinwendung zu sozialen Wohltaten ist hingegen teuer. Ein um 100 Euro angehobener Mindestlohn, die sozialen Entlastung von Pensionären, die von Steuern befreiten Überstunden – der plötzlich hervorgezauberte Gabenkorb lässt sich nur füllen, werden die Staatsausgaben und damit die Staatsschulden erhöht. Womit Macron allerdings kaum mehr EU-kompatibel wäre, die Stabilitätsdogmen der Eurozone verletzen müsste und als Reformer derselben ausgedient hätte, was Deutschland nicht unrecht sein dürfte.

Die Kosten der jetzt in Aussicht gestellten Maßnahmen werden auf zehn bis vierzehn Milliarden Euro veranschlagt. Soll das der Staat aus nicht vorhandenen, erst durch Anleihen zu gewinnenden Mitteln bestreiten? Oder muss sich Macron zu einer Politik der Umverteilung durchringen, die das genaue Gegenteil dessen wäre, was bisher stattfand und zu erheblichen steuerlichen Zugeständnissen an Unternehmen wie gut betuchte Franzosen führte. Bei seiner von Demut getränkten Fernsehansprache hat der Präsident davon nichts gesagt.

Der italienische Weg?

Und dass ein jäher Konjunkturschub den französischen Staat entlastet, ist derzeit weder zu erwarten noch durch die Situation der nationalen Ökonomie überhaupt in irgendeiner Weise denkbar. Das zunächst auf über zwei Prozent verortete Wachstum wird in diesem Jahr wohl nicht über 1,6 bis 1,7 Prozent hinauskommen. Auch das Handelsbilanzdefizit steigt, statt zu fallen. Es dürfte über den 63,1 Milliarden Euro von Vorjahr liegen, wenn es im ersten Halbjahr schon 33 Milliarden Euro ausmachte. Von der Arbeitslosigkeit knapp unter zehn Prozent ganz zu schweigen.

Der Anteil der industriellen Fertigung an der realen Bruttowertschöpfung in Frankreich lag Ende 2017 nur noch bei 13,7 Prozent, in Deutschland hingegen zum gleichen Zeitpunkt bei 27,0; in der Eurozone insgesamt bei 20,2 Prozent. Mit anderen Worten, Produktion und Außenhandel werden Macron keine zusätzliche Einnahmen bescheren, sodass er mit einem Haushaltsdefizit von derzeit 2,6 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) gut bedient ist bei Gesamtschulden von inzwischen fast 100 Prozent der Jahreswirtschaftsleistung. Von Griechenland, Belgien und Italien abgesehen, ist das ein Spitzenwert in der Währungsunion.

Die Regierung in Paris hat sich nun einmal diverser Budgeterträge beraubt, wie sie unter Vorgänger François Hollande noch vorhanden waren. Die Vermögenssteuer (bis auf die Abgaben für Immobilien) wurde ausgesetzt, desgleichen die sogenannte Solidaritätssteuer für Reiche, zudem soll die Unternehmenssteuer bis 2022 schrittweise von 33,3 (2017) auf 25 Prozent sinken.

Bleibt es dabei? Oder begibt sich Macron auf den italienischen Weg der kalkulierten Neuverschuldung, der für Frankreich leichter zu beschreiten sein wird, solange dessen Kreditwürdigkeit im Wesentlichen erhalten bleibt. Und die Ratingagenturen mitspielen. Die Bestnote Triple A ist schon lange utopisch – Standard & Poor's sowie Fitch erkennen im Augenblick auf AA, Moody's plädiert für Aa2 und damit eine finanzielle Satisfaktionsfähigkeit, die in etwa der Belgiens entspricht.

Rauswurf als Rettungsakt?

Welchen Ausgang der Konflikt in Frankreich auch nimmt, in der EU wie der Eurozone hat Frankreichs Präsident viel Reputation verspielt. Für den Rest seiner Amtszeit dürfte sich daran nicht mehr viel ändern, wann immer deren Endlichkeit in ein finales Stadium eintritt. Vorerst bleibt die Kluft seiner Regierung zu einer Protestbewegung, die mit dem jüngsten Aufritt Macrons erfahren hat, was sie bewirken, welches Durchsetzungsvermögen sie haben kann. Wie man in einer Gesellschaft wie der französischen soziale Standards nicht ungestraft unterschreitet, so ist auch präsidiale Autorität flüchtig, muss sie erst einmal Risse und Schmisse verkraften.

Das stellte sich mit Charles de Gaulle nach dem Mai '68 kaum anders dar, sein letztes Amtsjahr hatte mit der Dekade des Souveräns zwischen 1958 und 1968 nicht mehr viel zu tun. Macron werden daher die nächsten Kraftproben wohl kaum erspart bleiben. Nicht auszuschließen, dass er sich Luft zu verschaffen sucht, indem er Premier Édouard Philippe opfert. Ein probates Mittel, auf das Vorgänger schon bei geringfügigeren Anlässen als einer Staatskrise zurückgriffen.

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Geschrieben von

Lutz Herden

Redakteur „Politik“, zuständig für „Ausland“ und „Zeitgeschichte“

Lutz Herden studierte nach einem Volontariat beim Studio Halle bis Ende der 1970er Jahre Journalistik in Leipzig, war dann Redakteur und Auslandskorrespondent des Deutschen Fernsehfunks (DFF) in Berlin, moderierte das Nachrichtenjournal „AK zwo“ und wurde 1990/91 zum Hauptabteilungsleiter Nachrichten/Journale berufen. Nach Anstellungen beim damaligen ORB in Babelsberg und dem Sender Vox in Köln kam er Mitte 1994 als Auslandsredakteur zum Freitag. Dort arbeitete es von 1996 bis 2008 als Redaktionsleiter Politik, war dann bis 2010 Ressortleiter und danach als Redakteur für den Auslandsteil und die Zeitgeschichte verantwortlich.

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