Belgian Noir

TV-Serie In Europa gibt es derzeit kein Land, dass gute Thrillerserien so lässig aus dem Ärmel schüttelt wie Belgien. Aktuelle Beispiele: »Undercover« und »Over Water«.

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Gut düster geht es in belgischen Serien zu (hier: „Undercover“)
Gut düster geht es in belgischen Serien zu (hier: „Undercover“)

Foto: Jo Voets/Netflix/Courtesy: Everett Collection

Das Gebiet zwischen Hocheifel, Ardennen und Schelde-Mündung hat man gemeinhin eher nicht so auf dem Radar, wenn es um hochkarätige Serien geht. Dabei zeigen belgische Langfilm-Produktionen bereits seit Jahren, wie der Spagat zwischen Anspruch und mitreißender Erzählweise auf eine ebenso unverkrampfte wie sehenswerte Weise zu bewältigten ist. Einen eigenen, schwarzhumorigen Stil offerierte bereits die Thriller-Groteske Mann beißt Hund aus dem Jahr 1992. Neuere Produktionen fächerten das Spektrum der als verfilmenswert angesehenen Thematiken weiter auf. The Broken Circle (2012) wagte sich vor in existenzialistische Grenzlagen, die man – Beispiele: Der letzte Tango in Paris, Türkische Früchte und Nachtblende – so bislang nur vom französischen Kino der Siebziger kannte. Café Belgica aus dem Jahr 2016 schließlich lieferte – ebenso illusionslos wie realistisch – die Zustandsbeschreibung zum Business kleiner Independent-Musikclubbetreiber: jener ambitionierten wie gesellschaftlich oft randständigen Gruppe, die im Zug der aktuellen Corona-Krise zwar viel bedauert, finanziell jedoch vor allem mit guten Worten abgespeist wird.

Undercover

Idealismus und das Bedürfnis, Freiräume zu schaffen, steht in der 2019 gestarteten Serie Undercover zwar nicht direkt im Zentrum. Der Freiraum eines Campingsplatzes in der idyllischen Provinz Limburg liefert allerdings das Szenario, in dem es am Ende vor allem um eines geht: knallhartes Business in Form von europaweit organisiertem Ecstasy-Vertrieb. Das Treiben der Clique um den leutselig-schlitzohrigen Campingplatz-King Ferry Bouman (Frank Lammers) ruft schließlich eine niederländisch-belgische Ermittlungsgruppe auf den Plan. Da Ferry durch Beweise bislang nicht dingfest gemacht werden konnte, schickt diese zwei Undercover-Ermittler auf den Campingplatz: Bob Lemmens (Tom Waes) und Kim De Rooij (Anna Driver). Der Auftrag: Ferrys Vertrauen zu erwerben und schließlich so viel Informationen zusammenzutragen, dass es für eine Verurteilung reicht.

Eingebetteter Medieninhalt

Allein die – von einem realen Fall inspirierte – Konstellation ist lebensnah genug, um eine überdurchschnittlich ausfallende Ermittlungsgeschichte zu tragen. Bereits in der ersten – unter anderem auch vom Spiegel sowie der F.A.Z. belobten – Undercover-Staffel brillierte die Serie weniger mit den Effekten, Gimmicks und Verwicklungen durchschnittlicher Mainstream-Thriller als vielmehr dadurch, dass sie sich einen Großteil des handelsüblichen Klischeesortiments schenkte. Unterm Strich verließ sich bereits Staffel eins vor allem auf eines: die Spannungskraft und den Realismus der in Szene gesetzten Ermittlung. Dass auch die Interaktions-Psychologie maßgeblich mit dafür sorgte, dass die Luft auf dem Campingplatz zunehmend brannte, dafür sorgte das herausragende Spiel der Hauptprotagonisten: Frank Lammers spielt den Hinterwäldler-Gangsterboss, als hätte er für die Rolle zehn Jahre als Wirtschafter in einem Kölner oder Antwerpener Laufhaus absolviert. Tom Waes gibt der Ermittlerrolle Lemmens alias Bogaert ebenso Tiefe wie die dazugehörige Sorte Coolness. Anna Drijver als Co-Ermittllerin sowie Campingplatz-Gangsterbraut Danielle Bouman (Elise Schnapp) schließlich spielen das Duo der femmes fatales mit wechselnden Rollen – wobei der Begriff »fatale« eher die Grenzlinie markiert zwischen robustem »den-eigenen-Hintern-an-die-sichere-Wand-Balancieren« und damit einhergehenden Skrupeln als eine unveränderbare Charakterwesensheit.

In Staffel zwei von Undercover, seit Anfang November im Streamingangebot von Netflix enthalten, ist die ostbelgische Provinz nicht nur ein Zentrum des intereuropäischen Partydrogen-Handels, sondern zusätzlich auch eines des Waffenhandels. Sofern möglich, changiert Season zwei noch stärker zwischen den Momenten Groteske und auf desillusioniert runtergebürsteter Noir-Thriller. Im Zentrum der Ermittlung steht diesmal ein Brüderpaar. Laurent Berger unterhält die El-Dorado-Ranch – ein Reitgestüt, dass ebenso als Fassade für illegale Waffengeschäfte fungiert wie als Livestyle-Steckenpferd ihres Betreibers. Ihm zur Seite steht JP, Laurents älterer Bruder, der vordergründig eine Import–Export-Firma unterhält und im brüderlichen Gespann aus Kopf und Bauch den Part des düsteren, knasterfahrenen Superhirns innehat. Die im Zentrum der zweiten Staffel stehende Ermittlung gegen die Berger-Brüder unterscheidet sich in mehrererlei Hinsicht vom Verlauf in Staffel eins. Bereits zu Beginn geht einiges schief – schwer schief, richtig schief. Eine als NGO-Aktive getarnte Undercover-Agentin wird final aus dem Verkehr gezogen. Lemmens aka Waes muß – mit neuer Partnerin – von vorne anfangen. Zusätzlich schlägt auch der – vordergründig abgeschlossene – Fall aus Staffel eins in den neuen mit rein. Campingplatz-König Bouman will sich – natürlich – an Undercover-Ermittler Lemmens rächen. Und dieser muß – um im Spiel zu bleiben – zunehmends mit mehreren Bällen jonglieren, improvisieren.

Over Water

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Verglichen mit Undercover hat die vom NDR unter seine Fittiche genommene Serie Over Water – Im Netz der Lügen, vielleicht etwas das Pech, zeitgleich mit Staffel 2 von Undercover gestartet zu sein. Von der Gesamtrichtung her ist die Handlung ebenfalls klar auf Noir getrimmt. Im Mittelpunkt steht John Beckers (Tom Dewispelaere), ein ehemals erfolgreicher TV-Moderator, der seine Trunk- und Spielsucht hinter sich lassen will und, oberflächlich kuriert, zu Beginn von Folge eins die Reha-Klinik verlässt. Dass Beckers Familie – trotz oberflächlicher Harmonie und Fürsorge – nicht unbedingt der geeignete Ort ist, um nachhaltig Abstand zu gewinnen zu den Versuchungen des Lebens, zeigt sich recht schnell. Marjan Beckers, Johns Frau (Natali Broods), unterhält eine Kunstgalerie und ist, das Leben ist schwer, Avancen ihrer Klientschaft nicht in Gänze abgeneigt. Marjans Vater, Freddy Michielsen, ist im Antwerpener Reederei-Geschäft zugange. Das Problem: Auf die Dock- und Containeranlagen seiner Firma haben auch andere Akteure ein Auge. Was schnell auch für den – zwecks Regeneration dort untergebrachten – John Beckers zum Problem wird: spätestens dann, als einer der Hauptprotagonisten einen tödlichen Unfall erleidet und eine undurchsichtige, als Problemlöserin sich ausgebende Mafia-Anwältin auf den Plan tritt.

Die Ausgangssituation von Over Water hat sicherlich das Zeug zu Binge-Watching-Reflexen – zumal auch das Fortschreiten der kriminell-familiären Sub-Stränge handlungstechnisch stimmig und mit wenig groben Patzern in Szene gesetzt ist. Allerdings, Kritik im Detail: Im weiteren Verlauf der Geschichte verstrickt sich Hauptfigur Beckers doch etwas zu sehr (oder: zu dick aufgetragen) in ein Netz von Heimlichkeiten und daraus folgenden krummen Dingern. In der Gesamtwirkung erinnert das etwas an Fargo – wo in Film und Serie ebenfalls Figuren agieren, die in der höchsten Liga mitspielen wollen, dafür jedoch nicht das nötige Format aufweisen. Die Konstruktion der immer weiter ihre Kreise ziehenden Verstrickung funktioniert in Over Water zwar leidlich. Ob der gefallene TV-Moderator sich aus dem sich immer enger werdenden Zangengriff aus widrigen Umständen, Schulden und Kriminalität herauswinden kann, ist sicherlich spannend in Szene gesetzt. Allerdings: Zu dem Pech, dass die Serie insgesamt auf einem eng mit Produktionen zugeplasterten Markt agiert, kommen eben auch kleinere dramaturgische Patzer – wie etwa der, dass dass das Versteckspiel des Hauptprotagonisten spannungsbedingt länger in der Schwebe gehalten wird, als es einer authentisch daherkommenden Geschichte gut tun würde.

Fazit

Trotz kleinerer Mängel ist Over Water eine überdurchschnittliche Serie, die gängige Spannungsgenre-Ansprüche mühelos und mit dem bereits zu Anfang erwähnten Schuss belgischer Unverkrampftheit einlöst. Die gute Nachricht: Anders als die von ZDFneo mitproduzierte Konkurrenzserie Undercover, deren zweite Staffel derzeit lediglich bei Netflix zu sehen ist, ist Over Water derzeit auch auf der öffentlich-rechtlichen Schiene präsent: in der Mediathek der ARD. Die Ausstrahlung der zweiten Staffel soll im Doppelfolgen-Rhythmus beim NDR erfolgen; zusätzlich werden auch diese daraufhin 90 Tage lang in der ARD-Mediathek aufrufbar sein. Fazit: Auch wenn Over Water, verglichen mit Undercover, ein kleines Stück mehr in konventionellen Fahrwassern schippert, zeigen beide Serien, dass authentische Spannungskost mit einem Schuss Noir nicht zwangsläufig aus dem hohen Norden kommen muß. Den deutschen Öffentlich-Rechtlichen ist bei diesen beiden Produktionen immerhin zugute zu halten, dass sie bei Mit-Beteiligung und Distribution eine gute Nase hatten. Dass die Auswahl diesmal auf jenes EU-Land fiel, dass sonst eher aufgrund landesteiliger Zwistigkeiten, islamistischem Terror oder aufgrund der dort untergebrachten EU-Maschinerie Schlagzeilen macht, mag Zufall sein – im konkreten Fall allerdings ein glücklicher, der diesbezüglich weitere Aufmerksamkeit zur Folge haben sollte.

Undercover. TV-Serie, Belgien, seit 2019. Zwei Staffeln à 10 Folgen. Mitproduziert von ZDFneo. Beide Staffeln verfügbar derzeit beim Streaminganbieter Netflix.

Over Water – Im Netz der Lügen. Belgien, seit 2018. Zwei Staffeln à 10 Folgen. Produktion: Paneka NV / VRT/Eén - Telenet. Staffel 1: derzeit verfügbar in der ARD-Mediathek. Ausstrahlung der zweiten Staffel: 12. Januar bis 9. Februar 2021 beim NDR. Danach verfügbar in der ARD-Mediathek.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Richard Zietz

Linksorientierter Schreiber mit Faible für Popkultur. Grundhaltung: Das Soziale ist das große Thema unserer Zeit.

Richard Zietz

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