Der Winter ist da, und zumindest für die Harten unter den »Games of Thrones«-Fans ist die Zeit des Abzählens gekommen. Sofern HBO und Sky ihre Pläne einhalten, bedeutet dies: noch 80 mal schlafen, dann ist es so weit. Da Sky seine Doppelstrategie – erst ausstrahlen auf Sky TV, dann ab damit in das Streaming-Programm – sicher auch bei GoT 8 beibehält, müssen Freunde des Bingewatchings (der stoßweisen Konsumierung von mehreren oder auch allen Folgen am Stück) sich sechs Wochen länger gedulden. So viel ist klar: GoT 8 ist mit sechs Folgen zwar die kleinste aller bisherigen Staffeln. Ansonsten allerdings wird sie, so viel steht fest, ziemlich alle Rekorde brechen. Die Folgen – bislang im Schnitt maximal eine Stunde – haben zum Teil Spielfilmlänge. Neujustiert wurden auch die Maßstäbe bei den Schlachten. Die bisherigen Margen – der Kampf um die Mauer (Staffel 4) und die Schlacht der Bastarde (Staffel 6) – soll 8, so die aktuellen Vorabinformationen, nochmal deutlich toppen.
Außergewöhnlich viel – um nicht zu sagen: alles – steht allerdings auch im Handlungsteil auf dem Spiel. Die Mutter aller Fragen ist zunächst, ob die Koalition der Guten es schaffen wird, die heranrückende Armee der Toten zu schlagen. Doch auch jenseits der drohenden Vernichtung alles menschlichen Lebens auf den beiden Fantasiekontinenten Westeros und Essex sind die Spannungsmomente nicht zu knapp. Wird die Erz-Böse in der brüchigen Guten-Koalition, Cersei Lennister, ihren Bündnispartnern in den Rücken fallen? Wie wird es mit Jon Schnee und Daenerys Targaryen ausgehen? Ist ein Happy-End in Sicht, oder müssen wir uns auch im Finale auf düstere, blutige Überraschungen einstellen? Wie die meisten epischen Serien neueren Zuschnitts war »Game of Thrones« recht freigiebig beim Dahinscheiden handlungstragender Hauptfiguren. Entsprechend kursieren auch vor dem finalen Ende die unterschiedlichsten Theorien, welche der noch verbliebenen Figuren Season 8 nicht überleben wird. Last but not least: Ins Mutmaßungs-Metier über das anstehende Ende sind im Falle GoT auch Medien eingestiegen, die sonst eher auf strikt Faktisches versiert sind. So Spiegel Online – wo die Mutmaßung kolportiert wird (zumindest die kann als faktisch angesehen werden), dass ein Ende ansteht, dass die Fans möglicherweise polarisiert.
Unabhängig davon, wie »Game of Thrones« ausgehen wird: Bereits heute ist klar, dass es im Fantasy-Metier noch nie so viel Blut, Düsternis, sexuelle Freizügigkeit und moralische Ambivalenz gegeben hat. »Der Herr der Ringe«, die Eichmarke der 2000er-Jahre, ist gegen GoT ein Poesiealbum – ein (handwerklich gut gemachter) Karl-May-Film, der gegen einen Italo-Western der Machart »Spiel mir das Lied vom Tod« konkurriert. Die ambivalente Zweideutigkeit der Figuren sowie der grundweg düstere Grundton waren schon früh die Elemente, welche die Serie in den Olymp der Qualitätsserien hoben. Der mittelalterliche »Sozialrealismus« – kopiert zwischenzeitlich von anderen Serien wie zum Beispiel Vikings – sorgte als entscheidendes Wiedererkennungsmerkmal dafür, dass auch Zuschauer die Serie sahen, die sonst wenig mit Fantasy und Mittelalter anfangen können. Sicher ist hier nicht der Rahmen, näher zu untersuchen, inwieweit die verschiedenen Elemente des GoT-Merchandisings – Ausstrahlung, Rückmeldung, kulturelle Relevanz plus Folgeprodukte – am überragenden Erfolg von GoT mit beteiligt waren. Ausgehend von der These, dass ein popkulturelles Phänomen der Bedeutungsliga Beatles, Madonna und Lady Gaga Bedürfnisse, Sichtweisen und Gefühle widerspiegelt, die in einer breiteren Bevölkerungsgruppe vorhanden sind, ist bei GoT die Frage weniger die, ob das so ist, sondern vielmehr die, welche Stimmungen, Wünsche und Weltsichten von der Serie aufgegriffen und durch sie bestätigt werden.
Anders gefragt: Inwieweit ist die Welt vom »Game of Thrones« in Wirklichkeit die Welt von heute? Zugegeben: Kindesmord, Verwandtenmord und ähnliche Praktiken unter gekrönten Häuptern gerieten bereits im europäischen Hochmittelalter zu Auslaufmodellen. Im übertragenen Sinn jedoch hält die Serie der Welt durchaus ein Spiegelbild vor. Im »Real Life« wurden die Metzeleien lediglich verfeinert, in einigen Aspekten auch domestiziert. Ein gutes Beispiel hier ist der »Empire Crash«, bei dem am Ende des Ersten Weltkriegs die Dynastien purzelten (ein Finale, dass so wohl kaum eine Serie erfinden könnte). Man kann die Analogien sicher weitertreiben – auch wenn ich persönlich der Meinung bin, dass der Vergleich der Unoten-Armee mit den Greueltaten etwa der Nazis in die spekulative Beliebigkeit führt. Viel ergiebiger ist allerdings ein anderes Moment, dass sich konstant durch alle GoT-Staffeln zieht: die Allegorie der guten Regierung – ein Begriff, der naturgemäß vielseitig auslegbar ist. Ob Jon Schnee, Danaerys Targaryen oder der abgeklärte, im Grunde jedoch herzensweise Tyrion Lennister: Alle drei bedienen – zumindest ideell – die Vorstellung von und den Wunsch nach einer besseren, gerechteren Obrigkeit. Speziell die tragenden Hauptfiguren der Serie zeigen, dass es im konkreten Zweifelsfall viel Unterschied macht, ob ein psychisch kranker, sadistisch veranlagter Despot an den Schalthebeln der Macht sitzt oder aber jemand, der sich – zumindest im Rahmen der abgesteckten Verhältnisse – um Ausgleich und Gerechtigkeit bemüht.
Verstärkt wird dieses realistische Moment durch den Umstand, dass in der Serie auch die Guten, mit Verlaub, Dreck am Stecken haben. Jon Schnee ist gleich in der ersten Folge von Staffel eins Teil eines Aufgebots, welches einen Deserteur hinrichtet. Tyrion hat die Seiten gewechselt; Ähnliches deutet sich am Ende der siebten Staffel für seinen Bruder Jaime an, der dem inzestuösen Verhältnis mit seiner Schwester den Rücken kehrt und sich der Armee der Guten anschließen will. Danaeris schließlich, die Königin der Herzen, lässt den Oberbefehlshaber einer Streitmacht hinrichten, die sich der ihren ergeben hat. Insgesamt verleitet die durchgehend düstere Stimmung der Serie zwar dazu, die (mittelalterliche) Welt als eine Schlangengrube wahrzunehmen – als Ort der Intriganz und des (letztlich blutigen) Machtkampfs jeder gegen jeden. Beim Blick auf die aktuelle Politik sowie die kleinteiligen Sozialbeziehungen werden sicher viele Parallelen erkennen. Serien-Moral, zumindest auf den ersten Blick: Die Welt ist eine veritable Jauchegrube, und die Chancen auf ein »gutes Regieren« stehen insgesamt eher schlecht.
Doch selbst im »Games of Thrones«-Leben ist nicht alles Verrat (eine Form der Interaktion, wie sie beispielsweise am Ende von Season 3 in der »Roten Hochzeit« besonders eindringlich dargestellt wird). Die Freizügigkeit der Protagonist(inn)en ist zwar oftmals eher frivol als wirklich lustvoll. Nichtsdestotrotz liefert GoT auch Beispiele unerwarteter Hochherzigkeit. Beispiel: der unter dem Namen »Bluthund« agierende Sölder, der bei dem sadistischen Teenager-König Joffrey den Dienst quittiert und der der vor Joffrey flüchtenden Arya hilft, sich in den Norden durchzuschlagen. Oder die Lehnseid-schwörsüchtige Brienne von Tardt – überdurchschnittlich loyal zweifelsohne nicht nur für GoT-Verhältnisse, und eine Freundin, die mancher Zuschauer auch im echten Leben gut gebrauchen könnte. Eine kontrovers diskutierte Serienfrage ist es schließlich, ob es echte Liebe war zwischen der Prostituierten Shae und Tyrion, dem Gnom. Hat Shae Tyrion aus Berechnung verraten? Oder war es Enttäuschung – weil er sie wegschickte?
Auch wenn Spin-Offs bereits angekündigt sind: Das Original wird ab Juni Geschichte sein. Barack Obama mag die Serie. Ob sein derzeitiger Antipode sie mag, wissen wir nicht (bekannt ist derzeit eher Kritik an seiner Regierung mit aus der Serie entliehenen Anspielungen). Die Erkenntnis, dass es zumindest nicht ganz trivial (im Sinn von: bedeutungslos) ist, welcher Leader (oder welche Sorte davon) gerade an der Spitze steht, mag man vielleicht für eine Binse halten. Allerdings: Falls dies die Erkenntnis ist, die die Serie – neben allem anderen – befördert, war sie vielleicht auch in politischer Hinsicht nicht ganz umsonst.
Kommentare 17
Am Ende werde ich mir wegen Zietz noch GoT ansehen müssen...
Oh GoT oh GoT...
"Inwieweit ist die Welt vom »Game of Thrones« in Wirklichkeit die Welt von heute?"
"In Wirklichkeit die Welt von heute" ist schon eine merkwürdige Frage an eine Fantasygeschichte, die irgendwie an mittelalterliche Welten denken lassen will. An die zahllosen und überwiegend schlechten historischen Romane, die den Büchermarkt überschwemmen, - und bisweilen auch in noch schlechtere Verfilmungen übergehen - könnte man vielleicht die Frage richten, wie authentisch sie ein "Mittelalter" erzählen.
Nun kenne ich weder die Romanvorlagen G.R.R. Martins noch habe ich bisher auch nur eine Folge von GoT gesehen. Die Trailer aber genügen, um sich einen Eindruck von der gestylten Optik zu machen. Überwältigung durch Technik - als Ingenieurshandwerk - muss heute wohl das hauptsächliche Mittel von Großproduktionen sein. Wenn auch die Zeichnung von Charakteren und das Ensemblespiel nicht ganz schlecht ist, so wird die echte Erschütterung wohl spätestens durch das Styling überzuckert. Der monumentale Umfassung der Storys - es geht nicht um weniger als die Rettung der ganzen Menschheit oder der "Welt, wie wir sie kennen" (NB: Ist die des Rettens wert?) - kann nie den erschütternden Nachvollzug und die ergreifende Tiefenwirkung erzeugen, wie sie ein Kammerspiel oder eine Geschichte in einem mikrokosmischen Ausschnitt des Weltgeschehens zu schaffen vermag. Es bleibt halt reines Entertainment.
Daher finde ich die Frage nach der "Wirklichkeit der Welt" unangemessen. Dass Anleihen aus unserer tatsächlichen Welt genommen werden - nunja, in welcher Geschichte ist das nicht so. Und dass die Sehnsucht nach einer "besseren, gerechteren Obrigkeit" personifiziert wird, ist ein sattsam bekanntes Motiv. In den historisierenden Geschichten/Filmen ist es fast immer ein König. Wollen wir wirklich alle einen König?
"[...] dass es im konkreten Zweifelsfall viel Unterschied macht, ob ein psychisch kranker, sadistisch veranlagter Despot an den Schalthebeln der Macht sitzt oder aber jemand, der sich – zumindest im Rahmen der abgesteckten Verhältnisse – um Ausgleich und Gerechtigkeit bemüht."
Okay - hier hat's dann doch einen markanten Realitätsbezug. Sind es nicht gerade die Herrscher der "Achse des Bösen", die eben genau dorthin gesteckt werden, weil sie nicht 'ganz dicht' sind; nicht wirklich "zu uns", zu den "Normalen", den "good people" gehören; ja eigentlich nicht wirklich Menschen sind? Wir alle kennen doch den "Hitler Saddam", den "Irren von Teheran" oder den "Schlächter aus Damaskus".
Wie gesagt, kenne ich GoT nicht wirklich. Aber mir scheint, als dass es sich nicht viel anders als wie im "Herr der Ringe" u.ä. Storys verhält - Moral und Weltsicht sind im Kern der überkommene Geist unserer westlichen Welt.
der "Wunsch nach einer besseren, gerechteren Obrigkeit" lässt das Defizit klar erkennen, das im Fehlen der Frage nach der Alternative zur Obrigkeit liegt.
"und die Chancen auf ein »gutes Regieren« stehen insgesamt eher schlecht", sicher, aber sind als ein Hinweis auf die Zukunft in dem Sinne logisch und sorgen für die entsprechende Ergötzung an der eigenen Resignation und Dummheit, weil Projektionen des eigenen Versagens schon immer als das Unterhaltenste überhaupt empfunden wurde ... zumindest unter den gegebenen Bedingungen.
Ohnmachtsphanatasien sind wie Gelddrucken für's Volk.
Na, schau an, der Zietz guckt Mittelschicht-Hipster-Serien.
(@goedzak: Klaro – ich tu’ doch gemeinhin so gut wie alles, um das Bild vom tumben, in »Rudi’s Schenke« Bier vor sich hinsüffelnden Proleten zu konterkarieren ;-)
(@miauxx:) Warum ist die Welt da? Jedes Kulturprodukt (ergo auch Serie) gibt auf diese Grundfrage eine mehr oder weniger stimmige Antwort. Meiner Meinung nach haben Adorno und auch viele »klassische« Linke diesen Aspekt verkannt – indem sie die Fragen der Produktionsbedingungen (berechtigt) und der politischen Geschmacksbewertung (in der Regel bildungsbürgerlich-akademisch geprägt) wild durcheinandergemengt haben. Speziell für Adorno war sogar die komplette Popkultur kapitalistisch durchseucht (wobei er zumindest sich selbst die ein oder andere Ausnahme gegönnt hat).
Nach meiner Theorie geben auch (und vielleicht gerade die) schlechten Produkte (also etwa Silbereisen, Heino & Co.) Auskünfte. Ob die uns passen, steht auf einem anderen Blatt. Als Autor sowie weibliches Pendant (was wir zumindest beim Verfassen von Texten hier sind) sollte man sich zuallerst für das Wesen der Dinge interessieren. Dass bei GoT ein »Wesen« dahintersteckt – also ein Grund, warum so viele auf die Serie abfahren –, liegt meines Erachtens auf der Hand. Vielleicht nicht auf der Hand liegend, aber guter Usus bei Besprechungen künstlerischer Werke ist es, dass der Betrachter oder die Betrachterin seine oder ihre Haltung mit einbringt. Gut möglich, dass andere das anders sehen. Letztendlich jedoch dreht sich nur durch die Vielfalt der Blicke auf die Wirklichkeit das Rad der Welt weiter.
Nuja, und zu Hitler: Sie wollen doch nicht ernsthaft bestreiten, dass der Mann ganz schwer einen an der Waffel gehabt hat?
"Nach meiner Theorie geben auch (und vielleicht gerade die) schlechten Produkte (also etwa Silbereisen, Heino & Co.) Auskünfte."
Na aber unbedingt! (Und jedes Kulturprodukt ist auch politisch) So wollte ich mich ja auch geäußert haben.
Ich wollte Ihnen auch gar nichts madig machen und schaue mir so ein "Zeug" (der Faulheit halber so formuliert; will jetzt nicht weiter in Details gehen oder aufzählen) auch ganz gern an. Mir ging es nur darum, dass die Frage, wieviel "Wirklichkeit" unserer Welt in GoT, oder anderen vergleichbaren Produkten, stecke, mir zu hoch aufgehängt scheint. Zweifellos, wie schon oben gesagt, steckt etwas von unserer Welt darin - schließlich entsteht so eine Story nicht referenzlos, aus dem luftleeren Raum. Ich behaupte allerdings, dass die 'Darreichungsform' solcher Formate nicht geeignet ist, tiefere oder nachhaltigere Reflektionen über die "Wirklichkeit" oder die Bedingtheiten unserer Welt zu provozieren vermag. So jedenfalls meine Erfahrungen.
Was die Einordnung der schlechten "Führer" oder Weltenlenker angeht, so haben wir doch auffällige Parallelen zwischen der Fantasy und unserer tatsächlichen Welt. Dass es sich um "Irre" u.ä. handelte, versucht die ganz eigenen menschlichen Probleme von den Menschen weg auszulagern. In der Fantasy-Story sind es dazu eben auch physiognomisch gräßliche oder mindestens unschöne Wesen. Aber auch das ist ein alter Hut, der uns schon in den Märchen mit der Hexe und anderen "Abseitigen" begegnet. In der tatsächlichen Welt sind es aber Menschen, wie wir alle. Es gibt keine Brutstätte für Diktatoren und Gewaltherrscher, und ihre Vasallen und Erfüllungsgehilfen werden ebensowenig ausgebrütet oder als Abseitige so schrecklich wie möglich fabriziert, wie die Orks aus dem "Herrn der Ringe". So lange so etwas in den Geschichten, den Märchen oder der Fantasy verbleibt, kann man es als übersteigerte Projektion und künstlerische Verabeitung ansehen und auch verstehen. In unserer gesellschaftlichen und politischen Wirklichkeit wird es allerdings problematisch, einen Hitler, Saddam Hussein usw. einfach nur als "psychopathisch" und "mißraten" hinzustellen und damit nahezulegen, dass Problem sei behoben, wenn solche eliminiert seien. Dass wir aber als Menschheit selbst und aus unserer Mitte heraus immer wieder solche Extreme ermöglichen, wird damit überdeckt. Wir sind selbst das Problem. Es ist halt nicht wie im Film, wo unsere Welt vor finsteren Außeriridischen, irgendeiner dunklen Armee, irgendeinem Mordor, einem magischen Bösen gerettet werden muss.
Stimmt schon, daß man Kulturprodukte symptomatisch betrachten muß. Ich sehe es trotzdem ähnlich wie Miauxx (ebenfalls ohne Kenntnis einer einzigen Folge), und nur wenig großzügiger als iDog (muß man es nicht als pures entertainment sehen, das wäre schlimm genug?).
Nein, meine spärliche Kenntnis dieses Opus und mäßige Kenntnis vergleichbarer Serien- und Großproduktionen läßt mich nicht erwarten, hier auf einen aufklärerischen Impuls zu stoßen. Ein feingeistiger Zuschauer mag eventuell vorhandene hintersinnige Feinheiten entdecken, sie werden von der inhaltlichen und sinnlichen Effekthascherei erschlagen.
Da habe ich den letzten Kommentar von Miauxx übersehen. Ich hätte mir meinen ersparen können.
(Antwort ebenso @miauxx)
Die Geschmäcker sind verschieden; schön, dass wir uns hier trotzdem über meine – vielleicht zu viel (hinein)interpretierende – Sicht der Serie austauschen. Und Nein – natürlich will ich niemand »überzeugen«: wie Sie selbst wissen, ginge das auch nicht und hat sowieso nie und nirgends funktioniert.
Die Absicht ist letzten Endes also: sich austauschen – über ein Kulturprodukt, über das es naturgemäss unterschiedliche Ansichten gibt. (Ich denke, im Rahmen der dFC als einem vorwiegend linksliberal geprägten Forum vielleicht noch mehr, weil hier die Konsumtion dieser Art Medium nicht als allgemein gängig angesehen werden kann.)
Was ich sagen wollte: Ob jemand die von mir aufgerissene Allegorie so sieht, ob er oder sie den Serieninhalt überhaupt weiter reflektiert, hängt von vielen Faktoren ab: dem persönlichen »Point of View«, den allgemeinen Gewohn- und Gepflogenheiten sowie schließlich – die Dinger kosten ja auch was – der Frage, ob man sich das »leisten« kann oder mag. Klingt möglicherweise etwas »postmodern« – obwohl ich gemeinhin hier eher zu den User(inne)n gehöre, die mit postmoderner Beliebigkeit wenig anfangen können. Ich fürchte allerdings, ohne Ergebnisoffenheit ist bei derlei Themen wenig weiterzukommen – vor allem auch im Anblick der Tatsache, dass wir es hier ganz sicher nicht mit einem »linken« Kulturprodukt zu tun haben, sondern vielmehr einem, dass irgendwo im weiten Raum neoliberal geprägter Aushandlung von Möglichkeiten angesiedelt werden muß – und entsprechend vielseitig interpretierbar ist.
"Wie wird es mit Jon Schnee und Daenerys Targaryen ausgehen? Ist ein Happy-End in Sicht, oder müssen wir uns auch im Finale auf düstere, blutige Überraschungen einstellen?"
Was Jon Snow und Daenerys Stormborn angeht kann ich Sie beruhigen, sofern die Macher der Serie sich nicht endgültig vom Ausgangsmaterial der Bücher verabschieden, werden die beiden ihre Plot Armor auch im letzten Gefecht nicht ablegen, Lif und Lifthrasil überleben Raganaröck halt. Insofern ist der Hype um die Tode angeblich wichtiger Figuren auch nicht mehr als eben das, ein Hype. Nebenbei bemerkt, als Kind habe ein Buch von Liva Willems gelesen mit dem Titel „Manchmal bin ich ein Jaguar“. Nachdem ich dieses Kinderbuch gelesen habe, kann ich über die angeblich so bedeutungsvollen Tode und die angeblich so erschütternde Brutalität in Game of Thrones nur noch mitleidig lächeln.
Und dass Jon oder Daenerys als bessere Herrscher erscheinen als beispielsweise Joffrey oder Cersei hat vor allem mit whitewashing und deck stacking zu tun, ganz gleich, was Jon und Daenerys tun, ihre Gegner sind grundsätzlich immer noch schlimmer da eindimensional einfach nur böse. Das Schwarzweißschema greift hier genau wie bei Tolkien, und das ist auch keine Überraschung, Martins eigener Anspruch war, eine klassische Fantasy-Geschichte in neuem Gewand zu erzählen. Und das tut er richtig, richtig gut. Die Bücher sind zwar nicht auch nicht annähernd so tiefgründig, wie von Fans immer behauptet, aber eben keineswegs seicht, das world building ist fantastisch (welch Wortspiel), es gibt Drachen, die Charaktere sind, zumindest so lange sie keine Gegner sind für Daenerys Mary Sue Stormborn oder Jon Gary Stu Snow, vielschichtig und interessant, es gibt Drachen, es gibt viele unterschiedliche Szenarien, Landschaften und Völker, von denen zwar der Großteil für die eigentliche Geschichte vollkommen irrelevant ist, aber es macht ganz einfach Spaß, davon zu lesen, und erwähnte ich schon, dass es Drachen gibt? Ja, ich bin bestechlich, und Drachen ziehen bei mir immer.
Die Verfilmung wiederum… ist anders als die Bücher. Oft genug sogar polarer Gegensatz, ohne dass diese Änderungen Sinn machen, bestes Beispiel: Der Erzählstrang der Martells. Generell bedient die Verfilmung übelste rassistische, sexistische und koloniale Klischees. Ellaria verstößt gegen die Kultur von Dorne, indem sie ein unschuldiges Mädchen ermordet und die Linie der Martells auslöscht, ohne dass hinter den Morden irgendeine Logik steckt, Frauen sind eben Furien. Einfach nur nette, freundliche Männer wie Hizdhar werden erst noch lächerlich gemacht, bevor sie dann getötet werden. Die Dothraki und die Wildlings sind Wilde, steckt bei letzteren ja schon im Namen, deren toxic masculinity noch viel schlimmer ist als die in Westeros, und Daenerys nimmt a white woman's burden auf sich und rettet die Dothraki und deren Kultur durch brutale Gewalt gegen eben diese Kultur, während der zivilisierte Jon die Wildlings befriedet und Tyrion, der aus eigener Erfahrung weiß, dass bei einer Belagerung die einfachen Leute am schlimmsten betroffen sind, die Belagerung einer Stadt vorschlägt, weil das für die einfache Bevölkerung angeblich humaner sei als ein direkter Angriff... irgendwie. Und das alles ist nur eine Schneeflocke auf der Spitze eines Eisbergs.
Bitte nicht falsch verstehen, es ist vollkommen in Ordnung, die Verfilmung trotzdem zu mögen, es ist gute Unterhaltung mit tollen Schauspielern wie Lena Heady, Peter Dinklage und einem meiner Lieblingsschauspieler, Alexander Siddig, und vor allem, es gibt Drachen. Die Implikationen der Verfilmung allerdings sind, ob nun beabsichtigt oder nicht, dass Rassismus, Sexismus und koloniale Ambitionen vollkommen in Ordnung gehen, so lange einfach nur behauptet wird, das alles geschehe nicht länger aus schnödem Machtkalkül sondern hätte jetzt irgendwie auch einen progressiven humanitären Aspekt. Damit ist die Verfilmung allerdings in der Tat zelluloidgewordener Zeitgeist.
Man muß die Sachen kennen, um sie so kritisieren zu können. Respekt. Ich möchte noch einen draufsetzen. Das sind Supermärchen für sog. Erwachsene. Hochgestylter Infantilismus. Anfällig dafür sind fast alle, jeder hat so seine Drachen.
Ich habe ein ambivalentes Verhältnis zu dieser Serie. Nachdem ich am Anfang ein paar Folgen gesehen hatte, war ich wieder ausgestiegen, weil es mir zu seicht war. Doch als die Serie so erfolgreich wurde dachte ich mir auch, dass da etwas symptomatisches sein muss, das die Menschen anzieht. Seitdem sehe ich sie regelmäßig, oft hin und her gerissen zwischen einer gewissen Faszination über den oft durchaus interessanten mashup von historischen und mythologischen Motiven und Ärger über den klischeehaften Blödsinn, und bin natürlich auch neugierig wie es zu Ende geht.
Meine Interpretation der Popularität geht aber in die entgegengesetzte Richtung. Ich denke der Erfolg der Serie liegt vor allem darin, dass sie eskapistische Bedürfnisse befriedigt. Heroismus, Krieg, Archaik, Mystik, Pathos, Schicksal, tribaler Ethos, Bestimmung. Eben alles, was in unserer rationalen, liberalen, pazifistischen und säkularen patchwork Welt keine Rolle mehr spielt, und das doch gleichwohl tief in unserem kulturellen und biologischem Unterbewusstsein irgendwo noch schlummert.
“Ich denke der Erfolg der Serie liegt vor allem darin, dass sie eskapistische Bedürfnisse befriedigt. Heroismus, Krieg, Archaik, Mystik, Pathos, Schicksal, tribaler Ethos, Bestimmung.“
Ich denke, das trifft den Nagel auf den Kopf.
“Ich denke der Erfolg der Serie liegt vor allem darin, dass sie eskapistische Bedürfnisse befriedigt. Heroismus, Krieg, Archaik, Mystik, Pathos, Schicksal, tribaler Ethos, Bestimmung.“
Ich denke, das trifft den Nagel auf den Kopf.
»Die Verfilmung wiederum… ist anders als die Bücher. (…)«
In der Tat: Nach einer zusammengestoppelten Comic-Verfilmung des HdR in den 1980ern war die Frage, ob wenigstens der zweite Ansatz der Trilogie gerecht wird, durchaus berechtigt. Grundsätzlich jedoch sind (Noch-)Nicht-Leser bei solchen Sachen immer im Vorteil – die Buchleser wissen ja zumindest im Groben bereits, wie es ausgeht.
(+ @Thomas.W70:) Die von mir gezogenen Verbindungslinien sind rein subjektive Auslegungen. Alles andere wäre vermessen – sind doch gerade bei dieser Art Stoff unterschiedliche Sichtweisen bereits von vornherein angelegt. Und ziemlich sicher, da stimme ich bereits aus eigener Erfahrung zu, ist auch ein großes Moment Eskapismus dabei. (Wobei da die Frage ansteht: Vor welchen Verhältnissen genau flüchten sich die Leute in derartige Eskapaden?
Inwieweit Eskapismus berechtigt ist, ist eine gute Frage. Sicher wäre es politisch sinnvoller, in einer Antirassismus- oder Sozial-Initiative mitzuarbeiten, was ähnliches zu tun oder – ganz praktisch, ganz konkret, für die nächste Gelbwesten-Demo Kaffee zu kochen und Brote zu schmieren. Andererseits hatte jede Generation auch ihre Eskapaden. Die 68er (zumindest die führenden Kader) waren glühende Italowestern-Fans, und ohne Punkrock macht selbst das Häuser-Besetzen keinen Spaß. Ich denke, auflösen lässt sich der Widerspruch zwischen Eskapismus (= Flucht) und (politischer) Intervention nur im Hegel’schen Sinn. Sprich: das eine tun und das andere nicht lassen ;-).
Mh, Thread inzwischen im Winterschlaf, dann nerv ich besser nicht mehr mit individuellem tagging und packe außerdem zwei Antworten in eine.
"Das sind Supermärchen für sog. Erwachsene. Hochgestylter Infantilismus."
Das ist so pauschal nicht richtig. Es ist vollkommen legitim, kein Interesse an Fantasy oder Science Fiction zu haben und es muss auch nicht zwanghaft in alles eine tiefere Bedeutung hinein interpretiert werden, nur ändert das nichts daran, dass diese Genres durchaus relevant sind, ob nun in positiver oder negativer Hinsicht. Auf der Professional Reading List des United States Marine Corps findet sich als empfohlene Lektüre Orson Scott Card‘s "Ender‘s Game". Da wäre hochgestylter Infantilismus ohne jede Relevanz wesentlich angenehmer.
"In der Tat: Nach einer zusammengestoppelten Comic-Verfilmung des HdR in den 1980ern war die Frage, ob wenigstens der zweite Ansatz der Trilogie gerecht wird, durchaus berechtigt."
Na ja, ist das denn so? Filme können und sollen anders sein als Bücher, schwierig wird es, wenn sie das Ausgangsmaterial nicht interpretieren, sondern kaputt machen. Ursula K. Le Guins beispielsweise konnte im Hinblick auf ihre "Earthsea"-Saga ein Lied davon singen. Die "Lord of the Rings"-Filme haben zwar definitiv gelungene Momente, sind insgesamt aber weitgehend belanglos und schlimmstenfalls eine echte Beleidigung. Wenn die Macher meinen, das Ausgangsmaterial, in dem Kriegserfahrungen aus der Schlacht an der Somme verarbeitet werden, müsse um pseudocoole Oneliner und pseudowitzige Abzählspielchen ergänzen zu müssen, spricht das Bände. Ganz zu schweigen davon, dass diesen dümmlichen Kalauern mehr Raum zugestanden wird als einem der besten Momente von female empowerment überhaupt.
"Wobei da die Frage ansteht: Vor welchen Verhältnissen genau flüchten sich die Leute in derartige Eskapaden?"
Gegenfrage: Muss es wirklich grundsätzlich Flucht sein? Sowohl für Stanislaw Lem und Ursula K. Le Guin waren fantastische Settings nicht zuletzt auch eine Möglichkeit, Ideen zu formulieren und zu entwickeln, für die sie zu ihrer Zeit sonst ein Sachbuch hätten schreiben müssen. Beide sind, genau wie Orson Scott Card das in militärischer Hinsicht ist, heute nach wie vor noch aktuell, Lem im Hinblick auf das Thema AI und Formen der Kommunikation, Le Guin im Hinblick auf gesellschaftliche Entwicklungen.
Etliche Nummern tiefer gestapelt ist es immer noch möglich, Inspirationen für Handlungsoptionen oder einfach nur Denkanstöße zu finden, ob nun im positiven oder negativen Sinn. Und selbst wenn alles auf Eskapismus als Flucht vor einer komplexen Welt in harmlosen Infantilismus heruntergebrochen wird, kann das trotzdem eine Form von Autonomie sein, die jenseits extremer Maßnahmen nur schwer einzuschränken ist. "So sad!" ;)