Reduzierte Wahl-Möglichkeit

Bundestagswahl 2021 Landes- und Bundes-Wahlausschüsse ziehen derzeit massiv zugunsten der Union an den Strippen. Als „Worst Case“ könnte im September eine verstümmelte Wahl stattfinden

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Armin allein zu Haus? Unionsdominierte Wahlausschüsse benachteiligen derzeit massiv konkurrierende Parteien
Armin allein zu Haus? Unionsdominierte Wahlausschüsse benachteiligen derzeit massiv konkurrierende Parteien

Foto: Steffen Prößdorf, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons

Stell dir vor, es ist Bundestagswahl – und eine Landesliste der laut Umfragen zweitstärksten Partei steht gar nicht erst auf dem Stimmzettel. Dabei beschreiben die ZDF-Nachrichten vom 31. August die Folgen des Vorgangs, den derzeit alle für die normalste Demokratiesache der Welt zu halten scheinen, mit recht deutlichen Worten: „Das bedeutet, dass die Partei dort im September voraussichtlich nicht auf den Wahlzetteln steht – und ihr die Stimmen ihrer Anhänger verloren gehen. Bleibt es bei der Entscheidung, können die Saarländer am 26. September nicht grün wählen.“

Dabei war der Paukenschlag des Landeswahlausschusses im drittkleinsten Bundesland nicht mal der erste dieser Art. Wenige Wochen zuvor hatte der Bundeswahlausschluss – das oberste Gremium, welches für die Zulassung oder Nichtzulassungen von Parteien für die Bundestagswahl verantwortlich ist – die Deutsche Kommunistische Partei (DKP) von der Beteiligung an der Bundestagswahl 2021 ausgeschlossen. Gründe: Formalien respektive zu spät eingereichte Rechenschaftsberichte. Die DKP bekam schließlich vor dem Bundesverfassungsgericht Recht und kann nunmehr doch am 26. September antreten. Untergegangen in dieser guten, für das Grundrecht freier Wahlen nicht gänzlich unbedeutsamen Nachricht sind einige Begleitumstände, welche in ihrer Gesamtheit einen zunehmend trüben Schatten auf den Wahlvorgang im Herbst werfen.

Da ist zum einen der Punkt, dass der Bundeswahlausschuss über 40 von insgesamt 88 die Zulassung beantragenden Kleinparteien selbige verweigert hat. Auch atmosphärisch lohnt es sich, die in diesem Gremium vorherrschende Bürostuben-Mentalität auf sich wirken zu lassen – etwa via Mitschnitte der beiden Sitzungen vom 8. Juli und 9. Juli. Noch seltsamer – oder neutraler formuliert: unverständlicher – ist die Unions-Dominanz in diesem Gremium. Während die restlichen im Bundestag vertretenen Parteien jeweils einen Beisitzer entsenden, warten die Unionsparteien mit insgesamt drei auf. Darüber hinaus stellt sich die Frage, ob der Ausschussvorsitzende Georg Thiel für den Job die beste Wahl ist. Mit der Führung einer staatlichen Institution beauftragt wurde Thiel zuerst vom seinerzeitigen Innenminister Otto Schily. Ob Technisches Hilfswerk, Bundesamt für Migration und Flüchtlinge oder Statistisches Bundesamt: Was auf den einzelnen Etappen in der Berufsvita des verbeamteten Juristen folgte, lässt sich nur als „personalatmosphärisch verbrannte Erde“ bezeichnen. Ein Mitarbeiter-Selbstmord, der Thiel angelastet wurde; Angestellte, die von Angst und Schrecken berichten sowie entsprechende Berichterstattung in so unterschiedlichen Medien wie Zeit, SPON, taz und Focus: Thiels autoritärer Führungsstil sowie die daraus resultierenden Konflikte haben derart hohe Wellen geschlagen, dass sie den Hauptteil des Wikipedia-Eintrags zu ihm einnehmen.

Sicher – nicht alle Entscheidungen des Bundeswahlausschusses lassen sich direkt auf dessen derzeitigen Vorsitzenden zurückführen. Manchmal stellen sich die Parteien links der Mitte selbst (oder gegenseitig) ein Bein. Mit für die Nicht-Zulassung der DKP stimmte so etwa auch die Vertreterin der Linkspartei. Die einzige Gegenstimme kam von den Grünen. Seither bemüht sich die Linkspartei um Schadensbegrenzung – im konkreten Fall, hoch die gereckte Faust, mit einer kurz-knackigen Presseerklärung darüber, dass man die mitgetroffene Entscheidung doch nicht so für das Gelbe vom Ei hält. Um die parlamentarischen Roten nicht über Gebühr schwarz zu malen: Eine Reihe Solidaritätsbekundungen erhielten die – dank BVerfG nunmehr wieder zugelassenen – Orthodox-Kommunisten auch von Teilgliederungen der Linkspartei.

Im Siebenmeilenschritt-Modus

Ende gut, alles gut? Eher nicht. Im Rahmen der Linie, weitaus stärker als bisher das Binnenleben der die Wahlzulassung beantragenden Parteien mit einzubeziehen, ist die Nicht-Zulassung des saarländischen Grünen-Landesverbands ein weitaus härterer Brocken als die vorm BVerfG gescheiterte Nichtzulassung der DKP. Die möglichen Folgen hat der eingangs zitierte ZDF-Bericht zutreffend beschrieben. Bleibt die Entscheidung des Saar-Wahlausschusses bestehen, kann die umfragetechnisch derzeit zweitgrößte Partei im Saarland nicht gewählt werden. Auch hier erklärt ein Blick auf die Vorgeschichte zwar einiges – allerdings nicht alles. Richtig ist: Die Saar-Landesverbände von Grünen (und Linkspartei) sind intern zutiefst zerstritten. Die Hauptfigur an der Saar ist ein Äquivalent zum umstrittenen Tübinger Grünen-OB Boris Palmer: Hubert Ulrich. Anlass der Entscheidung des Landeswahlausschusses, die Saar-Grünen zur Wahl nicht zuzulassen, ist dabei nicht eine Unregelmäßigkeit, sondern vielmehr der von der Partei unternommene Versuch, eine solche zu korrigieren. Konkret: die vom beauftragten Rheinland-Pfalz-Parteischiedsgericht unternommene Annullierung der – durch Unregelmäßigkeiten und Fake-Delegierte zustande gekommenen – Wahl von Hubert Ulrich zum Spitzenkandidaten und den Ausschluss des von Ulrich-Anhängern geboosteten Ortsverbands Saarlouis von der Neuwahl.

Auch hier könnte man weiter in media res gehen und kritisch die Frage aufwerfen, ob die von den Ulrich-Anhängern getätigte Anrufung des Landeswahlausschusses der Partei genutzt hat. Offensichtlich ist das nicht der Fall; vielmehr hat die Ulrich-Fraktion einen veritablen bis größtmöglichen Schaden für die Gesamtpartei in Kauf genommen, um ihren favorisierten Kandidaten doch noch durchzuboxen. Doch auch dies ist letztlich nicht der springende Punkt. Springender Punkt ist, dass sich Wahlausschüsse nicht nur grundsätzlich anmaßen, tief in die Binnenangelegenheiten von Parteien hineinzuredigieren. Auch wenn die Entscheidung zur DKP von Bundesverfassungsgericht zwischenzeitlich kassiert wurde, haben die Wahlausschüsse zwischenzeitlich zwei Eingriffe in die Wahl vorgenommen, die den Unionsparteien und somit Armin Laschet nützen. Bei der DKP-Kandidatur mag dieser Vorwurf zwar einigermaßen weit entfernt liegen. Die Nichtzulassung der saarländischen Grünen-Landesliste wenige Wochen nach dem Versuch, die DKP von der Wahl auszuschließen, hat allerdings gezeigt, dass da, wo man bescheiden anfängt, schnell der nächstgrößere Hammer kommen kann.

Nun ist es geschehen. Hat so was Folgen? Mit der Nichtzulassung der Saar-Landesliste der Grünen ist die nächste Stufe in Sachen obrigkeitsstaatlichen Wahlen-Vordesigns gezündet. Die Nicht-Zulassung der Grünen-Landesliste wirkt nicht nur ideell. Erstmals hat ein Wahlausschuss ganz handfest die Wahlaussichten einer aussichtsreichen oppositionellen Partei beschnitten. Eine Schwächung der Grünen – hier zudem vorgenommen durch ein Hinterzimmer-Gremium, dessen Mandat ausschließlich auf einer verwaltungsrechtlichen Ebene liegt – kommt direkt der stärksten Regierungspartei und deren Kanzlerkandidaten Armin Laschet zugute. Im Grunde haben beide Entscheidungen zugunsten der Union interveniert. Wie man das nennt, ist Geschmackssache. Den Weg zu Gerrymandering sowie ähnlichen bei den US-Republikanern beheimateten Praktiken legen die – eigentlich nur mit der organisatorischen Durchführung der Wahl bedachten – Ausschüsse derzeit im Siebenmeilenschritt-Modus zurück. Setzen die unionsdominierten Wahlgremien diese Richtung weiter fort, könnte im September durchaus eine zerstückelte Wahl das Ergebnis sein.

Wer könnte noch alles von den Listen gehievt werden? Auch wenn Konservative für Überraschungen immer gut sind, muß es nicht zwangsläufig zum „Worst Case“ kommen. Wahrscheinlicher derzeit ist ein Hickhack, in dessen Zug die Konservativen den Leidtragenden dieser Hinterzimmerpolitik, den allzu korrekten Grünen, die Schuld in die Schuhe zu schieben versuchen. Die – weitgehend inhaltsbefreite – Wahlkampagne der Konservativen hätte so eine weitere Karte in der Hand, mittels der sie die Auseinandersetzung um die ökologischen, sozialen, infrastrukturtechnischen und bildungspolitischen Zukunftsfragen vermeiden könnte. Auch wenn dies nicht wirklich eine gute Nachricht ist: Möglicherweise geht es den verbeamteten Unions-Strippenziehern weniger um einen tatsächlichen Wahlausschluss grüner (oder sonstwie linker) Landes-Parteiverbände, sondern lediglich um Konstrukte, die es erlauben, den derzeitigen Schmuddelkampagnen-Wahlmodus bis in den Herbst fortzuführen.

Grosso modo dürften uns zwar nicht unmittelbar Wahlen der Sorte ins Haus stehen, wie sie im Zug der Herrenreiter-Kabinette unter Brüning, Papen, von Schleicher und Hindenburg zwischen 1030 und 1933 zur Gepflogenheit wurden – also Zuständen, welche die Bundeszentrale für politische Bildung als „Zerstörung der Demokratie“ beschreibt. Ein weiterer Schritt hinein in postdemokratische Zustände sind die derzeit laufenden Versuche, Parteien vom Wahlrecht auszuschließen, jedoch schon. Jedenfalls so lange sich dagegen kein zivilgesellschaftlicher Protest und Widerspruch Bahn bricht.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Richard Zietz

Linksorientierter Schreiber mit Faible für Popkultur. Grundhaltung: Das Soziale ist das große Thema unserer Zeit.

Richard Zietz

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