Wissenschaftszeitvertragsgesetz: Ein Systemwandel sähe anders aus

Meinung Die Reform des Wissenschaftszeitarbeitsgesetzes zeigt vor allem, dass Hochschulen und Universitäten an kostengünstigen Helfertätigkeiten interessiert sind
Ausgabe 12/2023
In Deutschland sind 93 Prozent der nicht promovierten wissenschaftlichen Mitarbeiter an Hochschulen befristet beschäftigt
In Deutschland sind 93 Prozent der nicht promovierten wissenschaftlichen Mitarbeiter an Hochschulen befristet beschäftigt

Foto: Rubert Oberhäuser/Imago Images

Die 2021 ins Leben gerufene Twitter-Kampagne „Ich bin Hanna“ entstand anlässlich eines Werbefilms des Bundesbildungsministeriums (BMBF), in dem eine Doktorandin dieses Namens die prekären Beschäftigungsverhältnisse von Nachwuchsakademikern in Deutschland als Ermöglichung von Flexibilität und geistiger Freiheit verklärte. Seitdem setzen sich unter diesem Hashtag Doktoranden, Postdoktoranden und Professoren für eine Reform des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes ein, das auch in seiner ab 2016 geltenden Fassung unsichere Anstellungsverhältnisse wie Zeit-, Projekt- und Kettenverträge für junge Akademiker begünstigte.

In Deutschland sind 93 Prozent der nicht promovierten wissenschaftlichen Mitarbeiter an Hochschulen befristet beschäftigt, unter Promovierten und Habilitierten sind es 63 Prozent. Irreguläre Beschäftigungsverhältnisse sind die Regel, nach welchen Kriterien über die Auswahl der Bewerber um eine Stelle und Verlängerung von Verträgen entschieden wird, ist oft unklar. Nun will das BMBF das Wissenschaftszeitvertragsgesetz erneut reformieren, um die „Planbarkeit und Verbindlichkeit“ für Postdoktoranden zu verbessern und mehr „Dauerstellen für Daueraufgaben“ an den Hochschulen zu schaffen.

In den Eckpunkten der Reform sind als „Soll-Vorschriften“ – also als Empfehlungen – Beschäftigungsbedingungen fixiert, die bis zur Bologna-Reform an den Hochschulen Mindeststandard waren. Für den Erstvertrag vor der Promotion gilt demnach eine Mindestlaufzeit von drei und eine Höchstbefristungsgrenze von sechs Jahren, für studentische Mitarbeiter eine Mindestvertragslaufzeit von einem Jahr und eine Befristungsgrenze von acht Jahren. Die Mindestvertragslaufzeit bei Postdoktoranden wird auf drei Jahre reduziert, während ihr Erstvertrag für mindestens zwei Jahre gültig sein soll. Die Initiatoren der „Ich bin Hanna“-Bewegung haben recht, wenn sie urteilen, „Wissenschaft als Beruf“ werde so „noch unattraktiver“, ein „Systemwechsel“ bleibe aus. Der Status der Postdoktoranden würde durch die Reform erneut verschlechtert, indem ihnen für Arbeitsvorhaben, die in der Regel umfänglicher sind als die von Doktoranden, eine kürzere Mindestvertragsdauer als diesen gewährt wird. Dass sie danach, als erfolgreich Habilitierte, zwecks Erhalts ihres Titels zur meist unbezahlten Lehre verpflichtet sind, was den Privatdozenten-Rang zum unattraktivsten im Hochschulbetrieb macht, dazu fällt dem BMBF nichts ein.

Gleichzeitig wird der Status studentischer Hilfskräfte durch die Möglichkeit längerer Vertragslaufzeiten gestärkt und signalisiert, dass der Hochschulbetrieb vor allem an kostengünstigen Helfertätigkeiten interessiert ist. Die größere Planungssicherheit, die Doktoranden gewährt wird, ist Ausdruck des Ansinnens, sie früh administrativ an die Hochschulen und Forschungsgemeinschaften zu binden.

Widerstand gegen solches ausufernde Verwaltungswesen ist auch von der „Ich bin Hanna“-Bewegung kaum zu erwarten. Denn wer „Wissenschaft als Beruf“ zum Ideal erhebt, statt die Frage zu stellen, ob es wünschenswert ist, Wissenschaft einzig als Beruf aufzufassen, der meint mit „Systemwechsel“ die Intensivierung von Betreuungsverhältnissen und Einbindung jedes Einzelnen in die zur Hauptsache gewordene Wissenschaftsverwaltung. Diese wird voraussichtlich der Ort sein, wo „Dauerstellen für Daueraufgaben“ geschaffen werden.

Magnus Klaue ist freier Autor und arbeitet an einer biographischen Studie über Max Horkheimer

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