Die Tätersuche hat begonnen

Menschenrechte Folge der Spur des Geldes: Die Maxime in der Verbrechensbekämpfung gilt erst recht gegenüber europäischen Politiken, die Täter in Afrika alimentieren

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Ein Flüchtender in Libyen
Ein Flüchtender in Libyen

Foto: Mahmud Turkia/AFP/Getty Images

Schlagzeile von WeltN24 vergangenen Donnerstag: „Sklaverei, direkt vor den Toren Europas“. Das Blatt veröffentlicht darin die Diplomatenpost, die schon im Januar an selber Stelle zum Titel „Auswärtiges Amt kritisiert ‚KZ-ähnliche Verhältnisse‘“ geführt hatte.

Eine Herausgabe der Depesche nach dem Informationsfreiheitsgesetz war bislang verweigert worden. Das Amt befürchtete, so netzpolitik.org in einem Bericht Anfang Oktober, „bei Veröffentlichung ‚nachteilige Auswirkungen auf die internationalen Beziehungen‘ zu den Machthabern in Libyen sowie der Regierung in Niger“.

Der Weg über die Presse dürfte kein Zufall sein.

Unter dem Eindruck einer CNN-Reportage über Sklavenmärkte in Libyen gab es am Montag eine gemeinsame Erklärung der Europäischen Union (EU) und der Organisation für Afrikanische Einheit (OAU). Sie wandte sich direkt an die libyschen Behörden und damit an die sogenannte Regierung der Nationalen Einheit, „diese Kriminellen zu bekämpfen und sie vor Gericht zu bringen“.

Was also sollte internationale Beziehungen weiter belasten, wenn die Verbrechen von Warlords, Clanführern und Milizionären unzweideutig zu Tage getreten sind, wahlweise die Ohnmacht oder Komplizenschaft Tripolis‘ belegen und die bekanntlich sehr flexible EU-Außenministerin Federica Mogherini das auch adressiert?

Die Frage ist ohnehin schon eine weitere: Wie lange noch wollen die Mitgliedstaaten der EU so tun, als wären sie nicht selbst die kollusiven Kräfte, die mit Verbrechern und ihren Duldern in Libyen zusammenwirken?

Die Antwort ist keine, die sich auf die Ausrüstung und Schulung der sogenannten libyschen Küstenwache beschränken würde, die für zahlreiche Tote und Misshandelte auf See verantwortlich ist. Der Einsatz von Patrouillenschiff „648“ der libyschen Kräfte, im Mai von Italien in Tripolis übergeben, und ihrer Crew, die im Rahmen der EU-Marineoperation EUNAVFOR Med/Sophia geschult sein sollte, hat Anfang des Monats bis zu 50 Boatpeople das Leben gekostet. Die namhafte online-Zeitung euobserver (Brüssel) hat eine weitere Ursache ausgemacht: „Das EU-Monitoring, das sicherstellen soll, dass die libysche Küstenwache die Geretteten würdig behandelt, wird von den Libyern selbst durchgeführt“.

Mittlerweile geht es auch um die Finanzierung und um den Verdacht von rechtswidrigen Manipulationen im italienischen Staatshaushalt.

Die Instandsetzung vor der Übergabe der vier Schiffe, zu denen die „648“ gehört, ist mit 2,5 Millionen Euro bezahlt worden, die in Italien für einen staatlichen Afrika-Fonds bestimmt waren. Im Oktober 2016 eingerichtet, soll der Topf dem Willen des Gesetzgebers zufolge eigentlich „den Dialog und die Zusammenarbeit“ mit den afrikanischen Ländern bei der Beseitigung von Flucht- und Migrationsursachen stärken.

Die Anweisung kam per Dekret direkt aus dem Außenministerium, wie Dokumente zeigen, die die Juristische Studiengemeinschaft zu Fragen der Einwanderung ASGI vorgelegt hat. Sie hat Mitte November vor einem Verwaltungsgericht in Rom dagegen Klage eingereicht. Mit der Verwendung zur Flucht- und Migrationsverhinderung statt der Ursachenbekämpfung seien die Gelder zweckentfremdet worden. Damit sei auch der Wille des gesetzgebenden Parlaments missachtet worden, das den Titel zum italienischen Afrika-Fonds festgelegt hat.

Der Vorwurf der Zweckentfremdung von Geldmitteln ist nicht neu, und er beschränkt sich nicht auf Italien.

Der Name des journalistischen Netzwerks „Diverted Aid“ ist gleichzeitig sein Thema: Wie ein zunehmender Teil von EU-Mitteln, die für die Entwicklungszusammenarbeit bestimmt sind, in schiere Fluchtverhinderung umdirigiert werden. Das ist der Fall des „Nothilfe-Treuhandfonds für Afrika“, den die Regierungen der Mitgliedstaaten im Rat der Europäischen Union im November 2015 in Valletta beschlossen und mit 2,9 Milliarden Euro dotiert haben.

Im vergangenen Juli machte die Journalistin Ludovica Jona in der Tageszeitung Repubblica darauf aufmerksam, dass neben der sogenannten Küstenwache auch das übrige Militär in Libyen davon, also von zweckentfremdeten Geldern profitiere: 90 Millionen Euro etwa, die in die berüchtigten Detention Camps fließen würden und 46 Millionen für den „Grenzschutz“ des nordafrikanischen Landes.

Die Zahlen sind gestern von der EU-Kommission offiziell bestätigt worden. In dem online veröffentlichten Factsheet spricht Brüssel anstatt von Foltercamps und Sklavenmärkten freilich lieber von „expanding protection space and supporting local socio-economic development“ – von der Ausweitung von Schutzzonen und der Unterstützung der lokalen sozio-ökonomischen Entwicklung.

In seiner Entschließung vom 13. September 2016 hatte das Europäische Parlament scharf kritisiert, wie und mit welchen Zielsetzungen der EU-Treuhandfonds für Afrika zustande gekommen ist.

Nicht nur die Haushaltsprärogativen des Parlaments seien missachtet worden, sondern auch Mittel umdirigiert worden, die ausdrücklich der Entwicklung dienen sollten: „[Z]um Beispiel 125 Mio. EUR aus dem Finanzierungsinstrument für die Entwicklungszusammenarbeit (DCI), 50 Mio. EUR aus dem Instrument für humanitäre Hilfe und 200 Mio. EUR aus dem Europäischen Nachbarschaftsinstrument (ENI)“.

Demgegenüber stünden Intransparenz, Kompetenzgerangel und fehlende Kohärenz in den Zielsetzungen des Fonds. Die Ermahnung der Abgeordneten,

"dass die Regeln und Kriterien, die für die Entwicklungshilfe im Rahmen der aus dem EU‑Treuhandfonds finanzierten Projekte angewandt werden, im Einklang mit den gemeinsamen Werten und Interessen, insbesondere mit der Achtung und der Förderung der Menschenrechte, festgelegt werden müssen",

wird immer deutlicher unterlaufen.

Die Klage von ASGI geht einen Schritt weiter und verlangt die Überprüfung, ob die nationale Zweckentfremdung gegen internationales Recht verstößt.

Dass sich die EU-Mitgliedstaaten der Hilfe libyschen Militärs bei Umgehung zwingender Normen des Völkerrechts bedient, ist juristisch belegt. Die Europarechtler Constantin Hruschka und Nula Frei in ihrem ausführlichen Kommentar bei verfassungsblog.de:

"Die aktuelle Zusammenarbeit mit Drittstaaten zur Verhinderung ‚illegaler’ Migration umgeht das Refoulement-Verbot und zahlreiche weitere menschenrechtliche Verpflichtungen. Die EU-Staaten finanzieren Maßnahmen, die sie selbst so nach europäischem Recht niemals treffen dürften."

Im Fall der Zweckentfremdung der Gelder im Haushalt exerziert ASGI die Probe aufs Exempel: Für Italien und damit in einem Land, das mit Griechenland, Malta oder Spanien aus südlicher Sicht die Schwelle zu Europa ist. Auch wenn die dortige Justiz ausgesprochen langsam arbeitet und eine rechtskräftige Entscheidung frühestens in ein paar Jahren erwartet werden kann: Das starke Signal der Zivilgesellschaft, das an Rechtsstaatlichkeit genauso wie an den Rahmen des Humanitären Völkerrechts erinnert, kann nicht ignoriert werden.

Die häufig anzutreffenden deutsche Haltung, dass „über juristischen Aspekten eine ganz andere, größere Frage: die nach der Moral“ schwebe, so noch SPON in einem Artikel vom August, ist damit obsolet. Unzählige Verbrechen sind dokumentiert, die Suche nach den auch mittelbaren Tätern hat begonnen.

crossposting zu die Ausrufer

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Geschrieben von

Marian Schraube

"Dem Hass begegnen lässt sich nur, indem man seiner Einladung, sich ihm anzuverwandeln, widersteht." (C. Emcke)

Marian Schraube

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