Am Samstagabend drang ein Mann mit seinem Auto auf das Rollfeld des Hamburger Flughafens vor. Im Auto befand sich dessen vierjährige Tochter, die er als Geisel genommen hatte. Es folgte ein zwanzig-stündiges Bangen um das Kind. Zum Glück wurde die Geiselnahme beendet und der Täter verhaftet, ohne dass das Kind körperlich zu Schaden kam. Die seelischen Folgen für Kind und Mutter mag man sich kaum ausmalen.
Es ist wieder einer dieser Fälle. Ein Vater benutzt sein Kind als Faustpfand, als Mittel zum Zweck, um sich an dessen Mutter zu rächen, sie zu treffen, wo es wirklich schmerzt. Wir erfahren wiederholt von solchen „Familientragödien“, hinter denen sich Entführungen oder gar Morde verbergen. Woher kommt die zynische Scheu, die Taten als das zu benennen, was sie sind?
Täglich versucht hierzulande ein (Ex-)Mann, seine (Ex-)Frau umzubringen; alle drei Tage „gelingt“ es. Die ungeheuerliche Statistik lässt erahnen, wie viel Gewalt in Form von psychischer Erniedrigung, tätlichen Angriffen und sexuellen Übergriffen hinter verschlossenen Türen stattfindet. Hat man(n) keinen direkten Zugriff auf die Frau mehr, werden nicht selten die Kinder zum Opfer psychischer und physischer Gewalt: manipuliert, den Müttern entfremdet, gar ins Ausland verschleppt.
Die Anwältin Asha Hedayati zeigt in ihrem Buch Die stille Gewalt. Wie der Staat Frauen alleinlässt, dass diese Taten nicht im luftleeren Raum stattfinden. Diese psychische und physische Gewalt steht vor dem Hintergrund eines Rechtssystems, das in Teilen sexistisch ist. Wenn es etwa fragt, in welcher Form eine Frau die Gewalt, die sie erfahren hat, provoziert oder produziert haben könnte. Oder indem die Annahme vorherrscht, selbst ein Mann, der seine Frau geschlagen habe, sei prinzipiell fähig, Kinder allein zu betreuen und zu erziehen.
Hedayati erzählt in ihrem Buch von haarsträubenden Sorgerechtsverfahren. Dass etwa die Weigerung einer Frau, das Sorgerecht mit ihrem gewalttätigen Ex zu teilen, zu ihrem Nachteil ausgelegt werden kann, was im schlimmsten Falle zum Entzug ihres Sorgerechts führen kann. Wie Familiengerichte soeben aus einer Gewaltbeziehung entkommenen Frauen Mediationsgespräche mit dem Expartner aufdrängen – als gäbe es zwischen Opfer und Gewalttäter ein Gespräch auf Augenhöhe. Man verlangt diesen Frauen ab, die Gewalt und Erniedrigung aus Jahren oder Jahrzehnten zu vergessen. „Zum Wohle der Kinder“ – als hätten diese die Gewalt nicht miterlebt. Offenbar mangelt es in Jugendämtern und Familiengerichten an psychologischer Expertise und Wissen über die Dynamik von Gewaltbeziehungen.
Es war ein zäher Kampf, Vergewaltigung in der Ehe als solche anzuerkennen. Jetzt muss es gelingen, die Gewalt eines Mannes gegen seine Frau nicht mehr als isoliertes Problem zweier Menschen zu betrachten. Wir müssen aufhören, so zu tun, als betreffe die Gewalt der Väter die Kinder, wenn überhaupt, nur peripher. Wir müssen aufhören, so zu tun, als seien Versuche von Kindesentziehungen oder gar Ermordungen ein überraschender letzter Akt in einer jahrelangen Geschichte von Gewalt.
Letztlich spiegeln Gesetze die unbewussten sexistischen Vorurteile derjenigen, die sie geschrieben haben. Es geht hier nicht um „gefühlte“ Benachteiligung, sondern in vielen Fällen um Leben und Tod.
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