Wiedervereinigung. Ein schönes Wort. Bei Vereinigung denkt man an zwei Liebende, die sich eng umschlingen, deren Köper, für Minuten oder Stunden - je nach Durchhaltevermögen -, eins werden. Eine Nation freilich, die braucht viel Stehvermögen.
Zusammengehörigkeit. Noch so ein schönes Wort. Am Morgen des 3. Oktobers, des Einheitstages also, habe ich auf Facebook bei mehreren Freunden eine Botschaft wie diese gelesen: Es ist den Deutschen vor 25 Jahren gelungen, 17 Millionen Ostdeutsche – Wirtschaftsflüchtlinge also! – aufzunehmen. Warum soll es jetzt nicht klappen, mit ein paar Hunderttausend Syrern und Afghanen? Das sollte eine Botschaft sein, die Mut macht. Mich machte sie ziemlich wütend.
Ich weiß natürlich, welche Aussage intendiert war: Dass man schon einmal eine große finanzielle Anstrengung auf sich nahm, um die Fremden zu integrieren. Dass die Nation die nötige Kraft aufbringen kann. Aber die Botschaft zwischen den Zeilen kann man auch nicht übersehen: Der Vergleich von Syrern und Ostdeutschen zeigt, wie fremd die Ostdeutschen so manchem Westdeutschen noch immer erscheinen. Und dass einige keinen Unterschied zwischen den Menschen aus dem nahen Osten der Republik und jenen aus dem Nahen und Mittleren Osten sehen.
Eigentlich überrascht es mich gar nicht. West-Berliner Freunde und Bekannte sagen mir immer wieder, dass sie noch nie in Dresden waren, "obwohl das bestimmt einmal interessant wäre". Und nicht einmal zwei Autostunden entfernt liegt.
Wenn man eine fremde Kultur kennenlernen will, dann reist man. Dann möchte man die Menschen mit ihren seltsamen fremden Bräuchen und Sprachen hautnah erleben. Den fremden Ossi möchte man wohl aber nicht in seinem Biotop erkunden. „Nach dem, was da gerade so mit Pegida los ist, möchte man ja ohnehin nicht nach Dresden.“ Gut, in den 24 Jahren vor Pegida gab es bestimmt wichtige andere Gründe, Dresden und andere Teile des Ostens nicht zu bereisen.
Entschuldigung, aber als Ostdeutscher hat man das Gefühl, dass man nicht unbedingt auf viel Gegenliebe oder Neugierde bei Westdeutschen stößt. Dass man ein lästiges Anhängsel ist, das man wohl oder übel irgendwie integrieren musste. Nicht viel Brüderlichkeit, wenig Herzenswärme. (Vielleicht sind wir Ossis aber auch nur "butthurt", wie der Amerikaner so schön sagt.)
Vielleicht ist ja diese Erwartung falsch. Vielleicht verhält es sich wie in mancher Vernunftehe: Lieber nicht zu viel Gefühl. So hält die Gemeinschaft auf Dauer länger.
Müssen sich Ostdeutsche integrieren?
So eine Vernunftehe bedarf dann aber einer Einigung. Einer Einigung auf Augenhöhe, wie sie sich damals im Wendejahr Günter Grass für die beiden noch geteilten deutschen Staaten wünschte. Genau diese Augenhöhe fehlt. Nicht nur damals, auch heute.
Das zeigt auch ein bemerkenswertes Interview mit Jakob Augstein im Deutschlandfunk, in dem er sagte:
„Die Akkulturation ist noch nicht abgeschlossen. Und deshalb noch mal: Die Integration des Ostens ist noch nicht abgeschlossen, […] auch diese Brüder und Schwestern müssen sich offensichtlich teilweise immer noch integrieren in unser größer gewordenes Deutschland, ganz genauso wie die Syrer."
Er haut also nicht nur in dieselbe Kerbe wie die Facebook-Kommentare am Einheitsmorgen mit dem Vergleich von Syrern und Ostdeutschen (worauf eine Leserin antwortet: "Die Flüchtlinge sind mir lieber"). Er spricht auch von der Integration des Ostens. Das verwundert nun sehr. Denn auch die Ostdeutschen sind ja Deutsche. Teilen Sprache und Kultur. Warum also "Integration"?
Ich frage bei Jakob Augstein nach: Müssen sich Ostdeutsche tatsächlich integrieren?
Er antwortet mit einer Gegenfrage: Müssen sich die Pegida-Leute etwa nicht integrieren?
Ich werde jetzt noch grimmiger. Pegida repräsentiert – zum Glück – nicht all Ostdeutschen, auch nicht die Dresdner, obwohl es Gründe gibt, warum Pegida ausgerechnet in Dresden Fuß gefasst hat. Ich will nicht relativieren, aber ich muss es doch tun. Ich bin ja auch eine Ostdeutsche, und den Pegida-Stiefel ziehe ich mir nicht an.
Zumal der Begriff der Integration oder eben Nicht-Integration auch für die Menschen, die unter dem Pegida-Banner auf die Straße treten, fehlgeht. Inwiefern sind sie nicht integriert? Weil sie sich nicht an einer linken Leitkultur, wie sie Augstein in demselben Interview fordert, orientieren? Aber ein Mensch bewegt sich auch nicht automatisch außerhalb der demokratischen Normen, wenn er dieser linken Leitkultur nicht folgen mag (viele der Pegida-Aussagen könnten auch von Konservativen aus dem Westen stammen).
Wie ich bereits in meinem Text über Pegida geschrieben habe: Demokraten müssen Pegida aushalten. Auch wenn's wehtut (und den Schmerz kann ich nachvollziehen). Ich teile nicht die Meinung derer, die behaupten, Pegida habe einen Dammbruch bewirkt und Gewalt eskalieren lassen. Die Gewalt gab es lange vorher. Sie erhält nun mehr mediale Aufmerksamkeit. Pegida hat eine lange und breite Debatte ausgelöst, der sich dieses Land stellen muss: Über das Verhältnis unserer Kultur zur Kultur der „Fremden“, von deutscher Mehrheitsgesellschaft zu Muslimen. Leider wird diese Debatte vor allem negativ geführt. Nun, im Rahmen der Einheitsfeierlichkeiten, wäre es doch an der Zeit, die deutsche Kultur positiv zu diskutieren. Dazu gehört auch die positive Wendung des Begriffes „Leitkultur“, wie sie Augstein vornimmt. Was durchaus lobenswert ist.
Sind die Menschen im Osten und jene unverbesserlichen Pegida-Anhänger Hindernisse auf dem Weg zu einer links geprägten Leitkultur? Seltsame Vorstellung.
Zwischen Leitkultur und Akkulturation
Jakob Augstein nennt in dem Zitatkontext zudem den Begriff „Akkulturation“. Auch dieser Begriff stößt mir unangenehm auf, denn er bedeutet ja die Übernahme der Elemente einer fremden Kultur. Egal, wie man nun den Begriff der Kultur definiert - ob im weitesten Sinne oder im engeren Sinne der politischen Kultur: Inwiefern müssen denn Ostdeutsche hier etwas annehmen? Warum müssen sich einseitig Ostdeutsche in die "westliche" Kultur einfügen und integrieren? Warum bilden Ost- und Westkultur keine Einheit?
Es lohnt sich in diesem Zusammenhang das Streitgespräch zur Frage der Wiedervereinigung zwischen Rudolf Augstein und Günter Grass aus dem Jahre 1990 noch einmal durchzulesen. Grass forderte, eine Zwei-Staaten-Lösung in Form einer engen Konföderation immerhin als Möglichkeit in Betracht zu ziehen. Augstein sagte damals etwas, das man als Grundproblem, nicht nur in der Debatte über die ehemalige DDR, sondern auch in Diskussionen um die „Integration“ der Ostdeutschen, begreifen kann:
„Wir könnten sie in Frieden lassen, wenn sie sich selbst regieren könnten – das können sie ersichtlich nicht. Also, glaube ich, es führt überhaupt kein Weg um eine Vereinigung herum. […] Was haben sie denn Positives? Kindergärten…“
Diese Aussage ist paternalistisch, und ja, auch herablassend. Weil sie nicht trennt zwischen dem Staatsversagen und dem Vermögen der Bevölkerung, ein funktionierendes Staatswesen aufbauen zu können.
Die ehemalige DDR wird dabei als Chiffre für das Defizitäre par excellence betrachtet. Die haben ja nichts – die können das ja nicht alleine (Selbst den Menschen in Kabul hat man nach der US-Intervention eine Zeit lang zugetraut, ein Staatswesen zu organisieren).
Der wirtschaftliche Untergang der DDR war Folge einer katastrophalen Planwirtschaft; der Prozess des Mauerfalls aber resultierte aus einer politischen Selbstermächtigung der Bürger, die damit immerhin ein bürgerliches Selbstverständnis offenbarten. Und sich als mündige Bürger behaupteten. Damit ließe sich schon ein Staat machen. Auch eine Bundesrepublik unter gemeinsamen Vorzeichen.
Freiheit Gleichheit Brüderlichkeit
Wenn man jedoch nur das Scheitern sieht - und das mag den Blick auf Ostdeutsche bis heute prägen - ist es ganz selbstverständlich, dass man von den Verlierern der Geschichte die Integration in das Siegersystem abverlangt. Es will nur nicht recht zu einer linken Geisteshaltung passen.
Ach was. Vielleicht spricht aus mir - stellvertretend für all die anderen Ostdeutschen - auch nur eine enttäuschte Liebe. Dann eben nichts mit Freiheit Gleichheit Brüderlichkeit.
„Es ist ja alles nicht böse gemeint“, sagt ein Facebook-Freund. „Ich mag Ostdeutsche. Ich habe viele ostdeutsche Freunde. Die finde ich wirklich nett.“ Man hört solche Sätze auch manchmal von Pegida-Anhängern: "Ich habe ja nichts gegen Ausländer. Mit meinem türkischen Nachbarn verstehe ich mich wirklich gut."
Dann steht der Integration ja nichts mehr im Wege.
Kommentare 19
Ostdeutsche vs. Westdeutsche? Das ist mir zu groß gedacht. Ich kann allerdings feststellen, dass Leute aus Dresden-Neustadt total arrogant sind und Leute aus Dresden-Gorbitz voll die Dorfmentalität haben. Die sollen sich alle endlich mal integrieren.
Mit anderen Orten: Pieschen den Pieschenern, Micktener raus!
Am Abend gibt Günter Jauch am seiner Sendung das neuste Ergebnis einer Infratest dimap Umfrage bekannt. Gefragt wurde, was die größere Herausforderung für die BRD sei, die “Wiedervereinigung” oder die “Aufnahme von Flüchtlingen”. Das Ergebnis:
Wiedervereinigung:40%
Aufnahme von Flüchtlingen:52%
ARD/Bericht aus Berlin-Entgleisung: Fotomontage zeigt Merkel mit Tschador
Na, das ist noch einmal weiter ausgeholt als ich mit meinem Einschub.
https://www.freitag.de/autoren/magda/stiftung-ossitest
Ich muss - nach wie vor - sagen, dass ich das wie wwalkie
schwer daneben finde. Zu bedenken ist auch noch, dass sich derFreitag ja auch als "Ost-West-Projekt" verstehen wollte. Ich kann das in dem Maße nicht mehr erkennen.
Aber, nachdem ich Augstein in der BamS gelesen habe. Mit einer merkwürdigen Überschrift Vaterland statt Multikulti - frage ich mich, was da noch für merkwürdige Übersprungsideen kommen.
Und - ich fragte mich auch noch, ob er sich am Ende medial aufstellen will wie Gerhard Schröder: Der wollte "Mit BILD, BamS und Glotze" regieren. Regieren will er wohl nicht, der Jakob Augstein, aber was er will, weiß ich trotzdem nicht so recht.
Ich verstehe Ihren Aerger, Frau Hobrack.
Vor allem heute, 25 Jahre nach der Uebernahme der DDR.
Heute wird aber leicht vergessen, dass in den 70er und 80er Jahren die grosse Mehrheit der BRD-Deutschen mit den DDR-Deutschen nichts zu tun haben wollte. Der Besuchsintensitaet von West nach Ost wurde immer duenner, entsprach am Ende der 80er Jahre etwa der Besuchshaeufigkeit bei armen Verwandten. (Ich habe damals in diesem Bereich geforscht und die Daten, die zu den Besuchen gesammelt wurden, waren oeffentlich nicht zugaenglich. Das Bild von den unterdrueckten Bruedern und Schwestern musste politisch bleiben.)
In der DDR war das natuerlich anders. Aber das wissen sie selber.
Eine Ueberzeugung wurde aber auf beiden Seiten geteilt: "im Westen ist's am besten".
Die westdeutschen Politiker kannten natuerlich die Abwehr der BRDler gegen die DDRler und haetten darum auch liebend gern eine Konfoederation gemacht. Die USA wollten die DDR aber de-industrialisieren (zerstoeren), darum die schnelle Waehrungsunion, die notwendigerweise zum Zusammenbruch der DDR-Wirtschaft fuehrte. Das "bestaetigte" natuerlich das BRDler Stereoptyp von der Unfaehigkeit, ja Dummheit der DDRler. "Natuerlich waren auch die Kommunisten schuld, aber die Leute drueben haetten sich ja auch mal ein bisschen anstrengen koennen".
(Ein Gruppe westdeutscher DDRologen hat damals uebrigens eingeschaetzt, dass durch die Desindustrialisierung der DDR eine Angleichung der Lebensverhaeltnise ca. 25 Jahre dauern wuerde und ca. 1 Milliarde DM kosten wuerde. Das wollte damals niemand wisssen. "Keine Analysebedarf mehr", meinten die Bonner und die DDR-Forschung wurde durch Stalinismusforschung ersetzt. Soviel zu meiner Frustration.Ich mochte die Leute in der DDR.)
Die meisten ehemaligen DDR-Buerger sind aus ihrem Wiedervereinigungs-Freuden-Taumel erst aufgewacht, als sie arbeitslos wurden.
Von da an ging's bergab. Die ex-DDR-Deutschen waren wie vorher zweitklassig, hinterwaeldlerisch, eben DDRler, Ossis. Das hatte in der DDR kaum jemand erwartet.
Von wenigen Ausnahmen abgesehen mussten sich die Ex-DDRler irgendeinen Platz in den westlichen Strukturen suchen, die der ex-DDR aufgepraegt wurden.
Ich habe den Eindruck, die "Wiedervereinigungs-Generation" hat die erzwungene "Integration", die Anpassung an die BRD-Strukturen nur rudimentaer geschafft. Erst die "Nachgeborenen", wie Sie Frau Hobrack, haben eine bessere Chance gegen die westdeutschen DDR-Stereotype anzustinken.
Pegida etc. passen natuerlich auch prima in westdeutsche Stereotyp. "Wahrscheinlich ist die autoritaere Anpassung in der FDJ an allem Schuld."
Ich verstehe Ihren Frust. Wie's weitergeht, weiss ich auch nicht.
In den 90 Jahren war ich einer der westdeutschen "Entwicklungshelfer" in der DDR und habe dabei gemerkt, dass die Leute in DDR ihren eigenen Staat kaum kannten. "Privat" war wichtiger.
Dennoch habe ich damals gehofft, es koennte noch eine "Rolle rueckwaerts" geben, weil die Vereinigung viel zu teuer wurde. Die Ereignisse in der SU haben das verhindert.
Ein anderer Ansatzpunkt haette sein koennen, dass der im Grundgesetz der BRD bis ins Einzelne vorgeschrieben politische Prozess der Wiedervereinigung, doch noch in Gang kaeme. Schroeder, der Mann von VW, hat sich das aber nicht "getraut".
Ersatzweise wurde dann ne Ostdeutsche BK. Auch schoen.
Schimpfen Sie nur weiter, Frau Hobrack. Sie haben ja Recht. Stereotype sind eben nur schwer auszurotten.
Ich als Westdeutscher habe unendlich viel vom Osten gelernt. Hauptsächlich zwar von Russland, doch habe ich den Teil des Westens, der nicht nach Osten (ehemalige DDR, Ostblock und SU) blickte, stets als defizitär und rückständig wahrgenommen. Sie haben in ihrem Amalgan aus Wohlstand und Angst nicht bemerkt, dass die kreativen Impulse (des Weltgeistes) seit dem Ende der neunziger Jahre aus Osteuropa kamen.
Stattdessen hängen sie der großen Erzählung von Deutschlands "langem Weg nach Westen" an und leiden unter einer kognitiven Dissonanz, da sie sehr wohl wissen (und verdrängen), dass ihr Bild vom Westen (und den USA) nicht mit der Realität übereinstimmt. Sie müssen sich erst noch auf dem Weg nach Osten machen, zumindest so weit, dass sie begreifen, dass Deutschland kein rein westliches Land ist, sondern eins der Mitte, das Einflüsse aus West und Ost auf dem Boden von etwas Eigenem aufnimmt. Dieses Eigene, dieses igitt-Deutsche, ruft gegenwärtig eher hysterische Nazi-Schreie hervor (siehe Pegida), als dass man seine Normalität akzeptiert. Aber na ja, diese Gedankengänge auszuformulieren, wäre ein Beitrag für sich.
Ich wünsche einen schönen Tag.
Auf Deinen ersten Absatz bezogen:
Das trifft auch bei einer Vergewaltigung zu, aus Sicht des Vergewaltigers.
Ich könnte es auch etwas eleganter formulieren:
Die "Einheit" fand unter der Regie von Konservativen statt, deren Werte damals auch noch das straffreie, robuste Eintreiben der ehelichen Pflichten (Pflichten?) umfasste.
Und so kommt man sich hin und wieder vor. Vor allem, wenn die Vergewaltigung des Ostens, von wirtschaftskriminellen Energien angetrieben, durch und über die Treuhand und abgehalfterten Beamten, die alles besser zu wissen meinten, mit "selber schuld" abgetan wird.
Die Hybris eines vermeintlichen Siegers.Es spricht ja nichts gegen eine liebevolle Rangelei, wenn es darum geht, wer mal unten oder oben liegt, solange beide es als Gewinn betrachten ;)
Du hättest Herrn Augstein mal fragen können, was er unter Integration versteht. Die meisten meinen heute mit Integration entweder Inklusion oder Assimilation (im Sinne des Aufzwingens einer dominanten Kultur), denn integriert sind die Pegidisten schon lange, durch die deutsche Staatsbürgerschaft.
Überall unter den Wossis gibt es selbstgerechte After, aber auch gute Menschen. Wichtig ist nur, was diejenigen denken, die Dir Nahe stehen. Und bei dem Dummfug, der bei Fatzebuck täglich gepostet wird reicht ein *facepalm. Kein Grund für Sodbrennen ;)
"Wunderbarer Artikel, der gut die ostdeutsche Sicht wiedergibt."
Der jammernde Tonfall stimmt jedenfalls.
Ansonsten: welche eine Ostdeutsche Sicht meinen Sie denn genau? Ihre?
Selektive Wahrnehmung. Meine Meinung.
Hier jedenfalls mal eine Hitliste der deutschen Oberliga-Künstler im Jahr 2015. (Nur Bildende Kunst, mehr schaffe ich gerade nicht aus dem Gedächtnis)
Die fetten Brands:
1. Gerhard Richter, Dresden (der teuerste noch lebende Künstler weltweit)
2. Neo Rauch, Leipzig (der teuerste deutsche Gegenwartskünstler, nach Gerhard Richter)
3. Andreas Gursky, Düsseldorf
4. Thomas Ruff, Düsseldorf
5. Candida Höfer, Köln
6. Carsten Nicolai, Karl-Marx-Stadt/Dresden/Berlin
7. Olaf Nicolai, Halle/Berlin (Venedig Bienale 2015; neue Bauten der Meisterhäuser Gropius und Moholy-Nagy, Bauhaus Dessau)
8. Tobias Rehberger, Frankfurt
9. Daniel Richter, Hamburg/Berlin
10. Jörg Herold, Leipzig/Berlin
Fehlen noch Anselm Reyle, Norbert Bisky ... alle »Ostler«; alles die Crème de la Crème des internationalen Bunstbetriebs.
Fazit: mindestens 5 von 10 kommen aus dem Osten; Dresdner besetzen alle Topplätze was die Preise anbelangt … Schwer vorstellbar für einige sicherlich. Ist aber so.
Man könnte jetz natürlich noch die Galeristen alle aufzählen; die Kuratoren und Museumsdirektoren aus Dresden die beispielsweise in Frankfurt und Berlin arbeiten ... oder die Verleger und Grafikdesigner? Phuh, das schaffe ich jetzt gar nicht alles ...
Um das alles genauer zu diskutieren, muessten wir sehr ins Einzelne gehen. Quellen habe ich nicht mehr. Die Historiker werden das im Bundesarchiv in 50 jahren ausgraben.
Die Zerstoerung DDR war beabsichtigt, weil die DDR das zivile Technologie-Zentrum des RGW war.
Graf Lambsdorffwar der "Mann der USA" im damaligen Kabinett. Der hat dann auch gegen den Widerstand fast aller westdeutscher Experten (u.a. Bundesbankpraesident, Roland Berger, ehem. Bundesverfassungsrichter) die schnelle Waehrungsumstellung und damit den Zusamenbruch der DDR durchgesetzt.
Die DDR Buerger konnten nur einmal waehlen und haben statt der betagten Herrscher sich die Metzger gewaehlt. Naja, wie das so ist. Auch eine Folge der apolitischen Haltung und der Orientierung an "Privat". Hinterher ist man klueger.
Ich, für meinen Teil, weigere mich vorsätzlich, solche Diskussionen zu führen. Denn es ist richtig: Wir sind ein Volk. Und wenn wir ein Volk sind, dann ist es hirnrissig, zu denken und zu fühlen, als wären wir zwei Völker, nämlich da die Wessis und dort die Ossis.
Und btw: Ich habe in meinem langen Leben als Wessi keineswegs alle westdeutschen Städte bereist. Und mich hier in F lässt es auch ziemlich kalt, was meine "Brüder und Schwestern" in, sagen wir, Buxtehude so treiben, wo ich übrigens auch noch nie war. Nicht, weil es mich nicht interessierte, sondern einfach, weil es sich nicht ergab. Aber ich war schon in Magedburg, Halle, Leipzig und auch in Dresden, freilich nur, weil ich dort beruflich zu tun hatte, ebenso wie ich z.B. in HH, M, D, K oder H aus beruflichen Gründen unterwegs war. In meiner geringen Freizeit bleibe ich hier in F oder im Odenwald. Und im Urlaub war ich sehr gerne in Wismar oder in Boltenhagen aber - ich bekenne es - am liebsten mit meiner verstorbenen Frau auf Sylt.
Ich denke nicht so. Auch nicht so ähnlich.
Ich weigere mich ab jetzt, weiter über so eine schwachbrüstige Dichotomie nachzdenken.
Ich hatte das Glück, die Wende von Mai 89 bis Oktober in Ungarn zu erleben. Dabei hatte ich öfters Gelegenheit, den Unterschied zwischen den DDR-Menschen und anderen Ostlern zu spüren. Überheblichkeit, Gier und Agressivität. Ich war mit einem befreundeten Schauspieler in Ungarn, der selbst aus Erfurt stammt und in den 70ger Jahren in den Westen flüchtete. Wir hatten viele Gespräche, da ich das Verhalten seiner Landsleute nicht verstand. Er schämte sich für sie und musste mir recht geben. Resumee, es liegt an der Mentalität, an unserer unsäglichen Geschichte, und es würde sehr lange dauern, bis das behoben sei. Darüber waren wir uns damals einig.
Nicht nur zum 7. Oktober 1949 // 1989/90 -- 2015
"Kommt die DM nicht zu uns, dann kommen wir zur DM" oder 'Kommt der westliche Konsum nicht zu uns, dann kommen wir zum westlichen Konsum'! -- So die auch weiterhin offiziell geleugnete Bewusstseinslage in der Wendezeit 1989/90, der ostdeutschen Erwachsenen-Bevölkerungsmehrheit.
Sie wollten keine Wandlung der (westdeutschen) Bundesrepublik, sondern ihre ökonomische und angepasste politische Integration [siehe nur die Ergebnisse der Märzwahlen 1990]. Wäre es nicht so, dann wäre die Bundesrepublik in den zurückliegenden 25 Jahren gefallen. Es wäre das Ende der spätkapitalistischen Konsumgesellschaft. Auch das Ende auf Kosten der sozialen, ökonomischen und ökologischen Entwicklung anderer Völker gewesen.
Sie, die Ostdeutschen, wollten die Teilhabe an den imperialistischen Früchten der (westdeutschen) BRD. Nicht nur an den Früchten der eigenen Arbeit. Sie waren dafür auch dazu bereit, sich der Kapitalherrschaft der westdeutschen Bourgeoisie und Aktionäre, der (realen) Finanz- und Monopolbourgeoisie, der Kapital- und Erbschaftsmillionäre, Mohnschen und Springerschen Multimillionäre und Siemensschen und Quandtschen (persönlich leistungslosen) Erbschafts-Milliardäre freiwillig zu unterwerfen!
Für (westdeutschen) Konsum und bescheidenen Wohlstand waren sie in ihrer Mehrheit, die Ostdeutschen, auch dazu bereit, die internationale Solidarität über Bord zu werfen! Gewiss, auch diese (einfache) Wahrheit werden sie, insbesondere die (heutigen) ökonomischen ostdeutschen Beamten, Administrationen und Profiteure, weiterhin leugnen.
Da die Autorin des Beitrags sich nicht an der Diskussion beteiligt, steige ich jetzt aus. "EinkipperInnen" boykottiere ich. Das ist so ne Marotte von mir.
Und eine 200ste Debatte ueber die "Wende" wird auch keine neuen Erkenntnisse zu Tage foerdern.
Nichts fuer ungut.
"Der Fuchs ist schlau und stellt sich dumm,
beim Wessi ist es andersrum."
Noch so ein Spruch aus der Nachwendezeit.
Tatsächlich müssen viele Wessis besserwisserisch aufgetreten sein. Andererseits: was ist der Unterschied zwischen "Ratschläge geben" und "besser wissen" bei Übergang in ein anderes System.
Beispiel: Im U-Bahnhof Alexanderplatz hatte die "Stuttgarter Versicherung" einen Pavillon. Da die Versicherungsfritzen geschult sind in Suggestivfragen, hatte ich hin und wieder Ostberliner Gesprächspartner gewarnt, sich ja nichts aufschwatzen zu lassen.
Bin ich jetzt ein Besserwessi?
Wenn beruflicherseits Kollegen, die vor Ort in Zwickau gewesen sind, sagten, "bei denen, weiß man nicht, was sie denken" oder "die schwänzeln immer nur bei den Chefs rum" und auch später in den 90er Jahren kein Auftauen am Arbeitsplatz spürbar war, entsteht aus Sicht westlich Sozialisierter Mißtrauen. Ich deutete dies als Einschüchterung aus der Zeit der DDR. Irgendwoher muß dies ja kommen.
Vielleicht können sich noch manche an die Bewerbung einer Ostdeutschen in einem Stuttgarter Buchführungsbüro erinnern, wo dann der Vermerk "Ossi" angegeben war. Nun fragte ich mich: Ist es aus Erfahrung oder reine Diskriminierung?
Zumindest in der 90er Jahren war die unterschiedliche Sozialisation deutlich spürbar.
Ich sehe in diesen Wertungen ein Gemisch aus verschiedenen Bequemlichkeiten und Ressentiments am Werk. Mir fällt es auch schwer zu verstehen, dass die Lust vieler Menschen auf die diversen biographischen Hintergründe so gering ausfällt. Vielleicht sollten wir uns auch Begriffe wie "Ossi" endlich abgewöhnen, genauer hinschauen und hinhören, im Falle von Pegida offensiv in den Streit geraten, anstatt das alles nur medial/politisch so diskursiv zu verschubladen, dass man sich nicht mehr auseinanderzusetzen braucht. Mit magischem Denken kann sich zumindest die Linke jedenfalls nicht bescheiden, ist mein Standpunkt.
@reinhild schramm: Meine Erfahrungen als Aussenstehender, aber die DDR gut Kennender sagen mir: der DDR-Bürger wollte den bunten bundesdeutschen Bananenwohlstand inklusive "Westwagen" bekommen, aber auf die Vorzüge des Sozialismus-Versuchen (garantierte Arbeit, kostenlose Medikamente, gute Allgemeinbildung, billiges Wohnen) nicht verzichten...Was natürlich NICHT klappte. Und dann begann das Jammern - "so haben wir das nicht gewollt". Identisch ist jetzt die Situation in dem Land, in dem ich geboren wurde (meine Heimat ist das seit der "Unabhängigkeit" nicht mehr!)- in der Ukraine...
"Liegt vielleicht an deinem Alter?"
Wahrscheinlich. Oder an der Haarfarbe, möglicherweise auch an der Körpergröße.
Othering at it's best.
Es hat keinen Sinn eine solche Debatte abstrakt und apodiktisch zu führen. Was nicht auf Anhieb passte, wissen diejenigen am besten, die 1990 von der einen Seite auf die andere gewechselt sind. Deren Berichte könnten konkreten Aufschluss bieten der Fragen, die die Autorin stellt. Was sie selbst schreibt oder was in den Kommentaren kommt, bewegt sich eher auf der Ebene der Spekulation. Die Welt entsteht nicht in unseren Köpfen, ist nicht wie wir sie uns denken, folgt manchmal ihrer eigenen Logik, die nicht unsere sein muss.
Ich gestehe, ein solcher Grenzgänger gewesen zu sein, 1990 in die Noch-DDR zur Arbeit gewechselt zu und die Familie um einiges später nach Pendel-Jahren nachgeholt zu haben.
Dass das Grass vorschwebende Modell (Referenz des Beitrages) des Zusammenwachsens gegenüber dem von Kohl durchgesetzten Einheitsmodell Vorteile gehabt hätte, bestreitet niemand. Ob und welche Nachteile es gehabt hätte, seine Risiken und Nebenwirkungen, sind - im Unterschied zu dem dann tatsächlich praktizierten Modell - unbekannt.
Nachdem aber als Modell der Beitritt feststand, weil vom Wähler der DDR in dem Wahlen vom 18. März 1990 erkennbar bestätigt wurde (ein deutlich anderes Ergebnis hätte ein entschleunigtes Modell zur Folge gehabt), ist die alleinige Schuldzuweisung an den "Westen", er hätte dieses als "Sieger" den das nicht wollenden Ossis aufgezwungen, von deren demokratischer Mehrheit falsifiziert worden (auch wenn eine Minderheit gute Gründe sah, es sich anders zu wünschen, s.o.). Und mit dieser demokratisch getroffenen Entscheidung stand auch fest, dass das Beitrittsgebiet sich in das FDGO-System integrieren musste und nicht umgekehrt oder auf Augenhöhe ein neues Rad gesucht und erfunden werden müsste.
Das ging zum Teil erstaunlich schnell, was ich dann selbst als Journalist von Anfang 1991 bis Ende 1998 in den Berichten meiner Redaktion wiedergeben konnte, als ob es nie eine DDR oder die Diktatur davor gegeben hätte. Aber es gab auch immer wieder mal Schwachstellen, wo man doch sehr deutlich merkte, dass es ein "Früher" gab und dass das scheinbar so leichte und selbstverständliche "Ankommen" in der neuen Zeit seine Fallstricke und Tücken hatte. Darüber haben wir und andere lokal im Leipziger Raum berichtet, ungefährt acht Jahre lang, bevor ich wieder in den kirchkichen Dienst zurück wechselte. Wie man abseits solcher Berichte von damals die hier diskutierten Fragen entscheiden will, kann ich mir schlecht vorstellen - abgesehen von Geschmacks-Fragen wie der aus dem Titel. Die war damals übrigens auch schon Thema, ich erinnere mich gut an eine Titanic Karikatur, wo ein Neffe aus Schkopau gegen eine asylsuchende Vietnamesin in Konkurrenz zueinander ins Rennen um die Gunst eines Westdeutschen als dessen potenzielle Mitbewohner geschickt wurden. Alles Schnee von gestern oder von vorgestern.