An Weihnachten überraschte Sascha Lobo seine Follower mit der Nachricht, er habe seinem achtzehn Monate alten Söhnchen Rio ein Smartphone geschenkt. Gewissermaßen zum Beweis sah man kindliche Speckhändchen, die aufgeregt auf dem Gerät swipten. Das Kind, ein digitales Naturtalent! Einige Follower reagierten irritiert. Andere versuchten, ihre Irritation hinter Interesse zu verbergen: Man überlege ebenfalls, wie man die Kinder an die Welt des Digitalen heranführen könne. Andere zeigten sich entsetzt. Ist das nicht schädlich für die Hirnentwicklung? dAs SagEn DoCh aLLe pÄdAgOgeN!
Natürlich konnte man den Post als Provokation lesen. Kontroverse macht Klicks, das weiß jedes Kind. Lobos Post offenbarte jedoch eine Schizophrenie im Umgang mit „den neuen Medien“, die so neu gar nicht mehr sind. Soll man die Welt des Digitalen vom Kind fernhalten, jedenfalls so lange wie möglich? Negiert man also die Existenz dieser Welt – obgleich die Eltern selbst permanent auf dem herrlich glatten Wunderding Smartphone herumwischen und Alexa um praktische Lebenshilfe anrufen?
Alle Eltern wissen, wie wichtig spielerische Nachahmung für Kinder ist. Deswegen gibt es Kinderherde, Kinderstaubsauger, Kinderkaffeekannen – und neuerdings in der Zara-Home-Kollektion Schminkspiegel und Lippenstiftimitate. Als ich klein war, waren diese Dinge aus Plastik gefertigt. Der Kindereinkaufsladen wurde mit Tonnen von Weichmacher-belasteten Spielwaren vollgestopft. Mit meinem besten Freund wusch ich Wäsche in seiner erstklassigen Kinderküche aus grauem Hartplastik.
So ein Plastikumfeld geht gar nicht mehr. Heute bildet zertifiziertes Holzkinderspielzeug, das in blassen Naturtönen bemalt wurde, das kindliche Gegending zur Manufactum-Espressomaschine: alles herrlich echt und wertig. Selbst hölzerne Baby-Smartphones gibt es. Wer sein Kind liebt, der kauft ihm Holzspielzeug und streicht obendrein Distinktionsgewinne gegenüber jeder dahergelaufenen Unterschichten-Mutti ein. Die Lust am Naturbelassenen, die kindliche Spielwelten durchdringt, wird gerade auf Instagram sichtbar. Es gibt einen regelrechten Boom um Montessori-Pädagogik, die von sehr schönen Stay-at-Home-Moms und ihren sehr telegenen, in Leinen, Strick und Bio-Baumwolle gekleideten Kindern vorgeführt wird.
Maria Montessori steht für eine Pädagogik, die Eltern wie Erzieher darauf verpflichtet, ein Umfeld zu kreieren, in dem sich kindliche Bedürfnisse und Fähigkeiten ungehindert entwickeln können. In den kuratierten Instagram-Montessori-Welten wird ihre Pädagogik, die letztlich eine Philosophie vom Menschen ist, mit bergeweise Holzspielmaterial in Regenbogenfarben zugeschüttet. Holztiere und -bausteine stehen in ihrer archaischen Anmutung für die Kraft der kindlichen Fantasie, den Klumpen, von dem sich nicht sagen lässt, ob er Pferd oder Bär sein soll, zu einem belebten Ding zu machen. Nicht mal Playmobil und Lego dürfen in diese Kinderzimmer einziehen.
Die Ironie dieses naturbelassenen Holzuniversums besteht darin, dass es vor Millionen im Netz inszeniert wird. Dass die Fünf- oder Achtjährigen an einer verlorenen, ursprünglich (nie existenten) vormodernen Spielwelt teilhaben, die Mütter wie ich konsumieren können, wenn sie am Smartphone swipen. So wie das, was wir landläufig unter „Kindheit“ verstehen, eine Erfindung der Moderne ist, hat die Postmoderne eine ganz eigene Vision von Kindheit entwickelt: Sie ist Rückzug aus der Welt des Wirklichen, die vom Digitalen durchdrungen ist, in eine reine Fantasiewelt. Doch immerhin wird diese Fantasie durch Klicks und Likes beglaubigt. Dann doch lieber zurück in die Realität swipen!
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