Zwischen Pest und Cholera?

USA Vor vier Jahren galt Hillary Clinton vielen als schlechte Alternative zu Donald Trump. Bei Joe Biden wird dieses Maß nicht angelegt. Warum?
Eine hochintelligente Frau, die als Außenministerin umfangreiche Kontakte zu internationalen Politikern besaß – die sollte im Prinzip dasselbe Übel darstellen, wie ein narzisstischer Pseudomilliardär, der im TV-Duell wie ein besessener Stalker um Clinton herumschlich. Ernsthaft?
Eine hochintelligente Frau, die als Außenministerin umfangreiche Kontakte zu internationalen Politikern besaß – die sollte im Prinzip dasselbe Übel darstellen, wie ein narzisstischer Pseudomilliardär, der im TV-Duell wie ein besessener Stalker um Clinton herumschlich. Ernsthaft?

Foto: Robyn Beck/AFP/Getty Images

Haben Sie sie gehört, die Rufe, Joe Biden können einen dritten Weltkrieg auslösen, er stehe für all das, was in Amerika schlecht laufe, weil er seit Jahrzehnten dem politischen Establishment angehöre? Hören Sie die wütenden Stimmen der Feministinnen, weil „Sleepy Joe“ einst einen Verfassungszusatz unterstützte, der das Recht auf Abtreibung erheblich eingeschränkt hätte? Nicht? Ich nämlich auch nicht!

Ich warte nun schon seit einigen Monaten darauf, dass der linke Parteiflügel der Demokraten, die progressiven, die queerfeministisch-Bewegten, die Bernie Sanders-Fans gegen Biden ins Feld ziehen, wie sie es damals bei Hillary Clinton taten. Aber nichts passiert. Vordergründig scheint ja klar, weshalb das so ist: Jeder ist besser als Trump. Also jeder, bis auf Hillary Clinton. So lautet scheinbar die einhellige Meinung.

Damals, vor vier Jahren, redete ich mir vor Wut den Mund fusselig, wenn meine liberalen Freunde die Wahl zwischen Clinton und Trump als Wahl zwischen „Pest und Cholera“ einordneten. Eine hochintelligente Frau, die einen Abschluss an einer Spitzenuniversität machte, dem amerikanischen Politsystem seit Jahrzehnten angehörte, die noch dazu als Außenministerin umfangreiche Kontakte zu internationalen Politikern besaß – die sollte im Prinzip dasselbe Übel darstellen, wie ein narzisstischer, jedenfalls dem Verdacht nach seniler Pseudomilliardär, der offen eine Mauer zu Mexiko forderte und im TV-Duell wie ein besessener Stalker um Clinton herumschlich. Ernsthaft? Damals wie heute gilt: Die Behauptung, dass Clinton für die amerikanische Gesellschaft und die internationalen Beziehungen auch nur annähernd so desaströs sein würde wie Trump, konnte man getrost ins Reich der Fantasien abschieben.

Der Hass der Frauen

Nicht, dass man Hillary Clinton nicht kritisieren dürfte für die Entscheidungen, die sie mittrug, für ihr neoliberales Politikverständnis, für ihre Äußerungen im Falle Julian Assanges oder für die blödsinnige E-Mail-Geschichte. Nur: Bei aller Kritik an Barack Obamas Drohnenkrieg hörte man nie einen einzigen Demokraten schwadronieren, er sei am Ende so schlimm wie Trump.

Kritik an Clinton lässt sich rational formulieren, aber die Abneigung, die weite Teile der Demokraten beziehungsweise der potenziellen demokratischen Wähler (von den Republikanern ganz zu schweigen) für Clinton empfanden, lässt sich nur mit tiefsitzender, unbewusster Misogynie erklären. „Crooked Hillary“, Hillary, die böse Hexe, Clinton ist eine Figur wie aus dem Märchen, freilich keine positive. Aber was ist mit der Abneigung, ja, dem Hass der Frauen? Es ist ein Irrglaube, dass Frauen immun gegen misogyne oder sexistische Vorurteile seien. Wer in einer sexistischen Kultur aufwächst, wird die sexistischen Denkformen unbewusst übernehmen.

Clinton, die in vielerlei Hinsicht eine Überfliegerin ist, die Art fleißiges Strebermädchen, das in der Schule zum Piesacken auserkoren wurde, polarisiert wie keine zweite. Und das ganz ohne impertinente Attacken auf politische Gegner, oder das Einsperren von Kindern in Käfigen. (Ist es nicht faszinierend, dass sich Trump-Wähler an der Käfighaltung von Einwandererkindern nicht stören, aber in Teilen überzeugt sind, Clinton leite einen internationalen Pädophilenring? Und das, obwohl sie sich bereits in ihrer Studienzeit für missbrauchte Kinder einsetzte.)

Alles, was man heute Biden als Kompetenz zuschreibt – dass er seit Jahrzehnten in der Politik ist, dass er ein festes Wertesystem hat, dass er ein Familienmensch ist, und zu guter Letzt: dass er nicht Trump ist, all das traf trifft auch auf Clinton zu. Aber was Clinton auch tut, ob sie gewinnt, oder verliert – der Hass eines erheblichen Teils der Bevölkerung ist ihr sicher. Mag ihr Verhalten im Einzelnen auch noch so kritikwürdig sein, für den Hass auf Clinton als Figur (nicht als Person) ist es nicht ursächlich. Das Motiv ist ein anderes. Man nennt es Misogynie.

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Geschrieben von

Marlen Hobrack

Was ich werden will, wenn ich groß bin: Hunter S. Thompson

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