Den eleganten schwarzen Mantel hatte sie da schon abgelegt: Sahra Wagenknecht in Erfurt
Foto: Imago/Funke Foto Services
Seit einigen Jahren besitzt das alte Steigerwaldstadion in Erfurt einen ziemlich großen Anbau, stolz „Arena“ genannt, obwohl der zugehörige Fußballklub Rot-Weiß nur in der 4. Liga spielt. Dafür gibt es ausreichend Freiraum, die Säle für Tagungen oder andere Veranstaltungen anzumieten. In einem Gang des Gebäudes steht am Freitag Ende Februar Roberto Kobelt, 47, Architekt und Ex-Politiker. Wie die örtlichen Journalisten, die Kamerateams der großen Sender und die Reporter der überregionalen Presse wartet er auf die Frau, die ihrer neuen Partei den eigenen Namen gegeben hat. Und er wartet auf eine neue Chance.
der Zug aus Berlin hat Verspätung. Also kann Kobelt erzählen, dass er bei den Grünen, für die er bis 2019 im Landtag saß, nicht mehr Mitglied ist – und dass er nun gerne im BSW, im Bündnis Sahra Wagenknecht, mitmachen will. Ob er schon aufgenommen wurde? Kobelt zögert nach dieser Frage mit der Antwort. Das mit der Unterschrift dauere offenbar etwas, sagt er dann.Mehr als 1.000 Unterstützer allein in ThüringenPlötzlich schwärmen die Fotografen und Kameraleute aus. Die Namensstifterin und Vorsitzende ist eingetroffen und schreitet im eleganten schwarzen Mantel zu dem Raum, in dem die erste Pressekonferenz ihrer Partei in Thüringen stattfindet. Nachdem viel Bekanntes wiederholt ist, etwa dass die Ukraine-Politik der „pure Wahnsinn“ sei, gelangt sie bald zu der Frage, warum sich Kobelt und Hunderte andere Eintrittswillige gedulden müssen. „Wir werden langsam wachsen“, sagt Wagenknecht. Auch wenn sich schon mehr als 1.000 Unterstützer allein in Thüringen gemeldet hätten, gebe es zahlreiche junge Parteien, „die sich zerlegt“ hätten, weil einfach jede und jeder aufgenommen worden sei. Ein warnendes Beispiel sei auch die AfD, die, wie Wagenknecht konzediert, mittlerweile von Rechtsradikalen dominiert werde. Deshalb habe das BSW in Thüringen bislang nur gut 40 Mitglieder aufgenommen.Die Vorsitzende lächelt ausdauernd, ihre Stimme, die sehr kühl klingen kann, hört sich warm an. Beinahe, aber nur beinahe wirkt sie demütig. „Wir wollen einfach den Menschen zuhören“, sagt sie mehrfach.Die neue Sahra Wagenknecht gibt es, weil die Situation neu ist. Sie, die immer intern opponierte, muss erstmals selbst für eine Partei werben. Als einstige Dauereinzelkämpferin hat sie jetzt auf andere Menschen zuzugehen, zu integrieren und, ja, Kompromisse zu suchen. Dies ist umso wichtiger, da die Zeit drängt. Mitte März will das BSW den Thüringer Landesverband gründen, Anfang Mai sollen das Wahlprogramm und die Liste für die Landtagswahl stehen. Denn schon im Frühjahr finden parallel zu den Europawahlen in neun Bundesländern Kommunalwahlen statt. Im September werden die Landtage in Sachsen, Thüringen und Brandenburg gewählt. Die drei Länder haben deshalb Priorität für Wagenknecht. Der als sicher geltende Einzug ins EU-Parlament wäre wenig wert, wenn es die Partei nicht in die Landesparlamente schaffte – das Momentum wäre ein Jahr vor der Bundestagswahl schon wieder weg.Umfragen versprechen ein enormes PotenzialZumindest aktuell wirkt das Potenzial der Partei enorm. Dies gilt vor allem für die ostdeutschen Länder: Hier können sich je nach Meinungsforschungsinstitut zwischen 27 und 40 Prozent der Menschen vorstellen, das BSW zu wählen.Wie so oft in der jüngeren Geschichte bietet sich insbesondere Thüringen als politisches Testfeld an. Erstens kann Wagenknecht, die 1969 in Jena geboren wurde und dort auch ihre Vorschulzeit verbrachte, hier von einer „zweiten Heimat“ reden. Dass sie nicht selbst antritt, kann sie auf das Wahlrecht schieben, das verlangt, dass Landtagskandidaten mindestens ein Jahr im Land leben müssen.Zweitens hat Wagenknecht mit Katja Wolf eine anerkannte Profipolitikerin als Landtagskandidatin gewonnen. Eisenachs Oberbürgermeisterin, zudem amtierende Vizepräsidentin des Deutschen Städtetages, saß zuvor ein Dutzend Jahre für PDS und Linke im Landesparlament. Inzwischen hat sie sich das Image einer unideologischen Praktikerin erarbeitet.Drittens geht es in Thüringen um besonders viel. Durch die parallele Stärke von Linker und AfD sowie die unterschiedlichen Unvereinbarkeitsbeschlüsse konnte sich seit 2019 keine verlässliche parlamentarische Mehrheit mehr bilden. Dies führte erst zur Wahl des FDP-Ministerpräsidenten Thomas Kemmerich mithilfe der AfD und dann zur Wiederwahl des Linke-Regierungschefs Bodo Ramelow. Er verwaltet seit März 2020 das Land mit einer rot-rot-grünen Minderheitsregierung, weil auch die fest versprochenen Neuwahlen an der notwendigen Mehrheit scheiterten.Die AfD profitierte von dieser institutionellen Krise. Die vom Rechtsextremisten Björn Höcke geführte Landespartei steht in den Umfragen mit bis zu 36 Prozent klar an der Spitze. Damit dürfte sie im Herbst den nächsten Landtagspräsidenten vorschlagen und eine Sperrminorität von einem Drittel der Sitze erlangen. Falls sie noch etwas drauflegte und mehrere kleine Parteien wie Grüne oder FDP an der Fünf-Prozent-Hürde scheiterten, wäre selbst eine absolute Sitzmehrheit nicht ausgeschlossen.Warum Katja Wolf von der Linken zum BSW gingIn dieser prekären Gemengelage könnte das BSW zum Joker werden. Umfragen legen nahe, dass die Partei vor allem AfD sowie Linke schwächen und somit die parlamentarische Blockade aufbrechen würde. Katja Wolf bezeichnet dieses Szenario als Hauptmotiv ihres Wechsels. Sie wolle, sagt sie, das Land vor der AfD bewahren.Etwas anders, aber gleichwohl ähnlich ist die Konstellation im benachbarten Sachsen, wo die Partei ihren Landesverband gerade schon gegründet hat. Falls dort Linke, SPD und Grüne aus dem Landtag flögen, könnten der AfD gut 40 Prozent der Stimmen für die Sitzmehrheit reichen. Diesen Ausgang könnte das BSW verhindern, wenn es, wie die sächsische Landesvorsitzende Sabine Zimmermann sagt, tatsächlich ein „zweistelliges Ergebnis“ erreicht.Davor steht aber viel Arbeit. Kandidaten müssen gewählt, Unterschriften gesammelt und Spenden eingetrieben werden. Zudem sind Programme zu schreiben.Bisher lässt sich die BSW-Agenda in etwa so zusammenfassen: Die Regierungen haben in allen Bereichen versagt, in der Wirtschaft, in der Bildungspolitik, im Sozialbereich und bei der Migration – und natürlich, siehe Ukraine-Krieg, in der Außen- und Sicherheitspolitik. Dies alles will das BSW anders und besser machen, mit „Vernunft und Gerechtigkeit“, wie es im Parteinamen noch heißt.Bodo Ramelow ist nicht der GegnerWie genau das allerdings funktionieren soll, bleibt offen. „Wir können nicht alle Fragen beantworten, so weit sind wir noch nicht“, sagt Katja Wolf, die bei der Pressekonferenz in Erfurt neben Wagenknecht sitzt. Auch die Bundesvorsitzende zeigt wieder Demut vor. „Natürlich versprechen wir nicht, dass wir alle Probleme lösen, das wäre unseriös. Aber es muss ein spürbar neuer Wind wehen.“ Um das zu erreichen, will das BSW mitregieren, in Sachsen, aber eben auch in Thüringen – wo ausgerechnet der einzige Linke-Ministerpräsident amtiert. Größere Schmerzen scheint diese Konstellation den beiden Ex-Linken Wolf und Wagenknecht nicht zu bereiten. Beide versichern, ihr Antritt richte sich gar nicht gegen Bodo Ramelow. Es gehe, was sonst, um eine neue Politik – und gegen die AfD.Die Frage eines Journalisten, was eigentlich sie, die in der Migrations- und Ukraine-Politik ähnlich wie Höcke argumentiere, nun genau von der AfD unterscheide, weist Wagenknecht brüsk zurück. Wer die Unterschiede nicht wahrnehme, sagt sie, den könnte sie „nur bemitleiden“.Was aber stimme: Die AfD habe Probleme angesprochen, die andere Parteien lange geleugnet hätten. Da mache sie nicht mit. „Wenn die AfD sagt, dass der Himmel blau ist, werden wir nicht aus Prinzip sagen, der Himmel ist grün.“ Ihr Zwei-Jahres-Plan ist damit ausformuliert: Sie, Sahra Wagenknecht, ist die Alternative zur Alternative für Deutschland. Erst in Thüringen und in Ostdeutschland – und ab 2025 im Bundestag.
×
Artikel verschenken
Mit einem Digital-Abo des Freitag können Sie pro Monat fünf Artikel verschenken.
Die Texte sind für die Beschenkten kostenlos.
Mehr Infos erhalten Sie
hier.
Aktuell sind Sie nicht eingeloggt.
Wenn Sie diesen Artikel verschenken wollen, müssen Sie sich entweder einloggen oder ein Digital-Abo abschließen.