Brennendes Versagen

Justiz Ohne politischen Druck wäre der Tod Oury Jallohs längst ungeklärt zu den Akten gelegt worden
Ausgabe 50/2017
Deutsche Rechtsstaatlichkeit: Ohne Druck von außen passiert nichts
Deutsche Rechtsstaatlichkeit: Ohne Druck von außen passiert nichts

Foto: Christian Ditsch/Imago

Es ist ein Satz, der für jeden, der sich mit dem Tod von Oury Jalloh beschäftigt hat, allgegenwärtig war. „Oury Jalloh, das war Mord!“ Er wurde auf Demonstrationen und Gedenkfeiern gerufen und war auf Transparenten zu lesen. Am 7. Januar 2005 verbrannte der Asylsuchende Oury Jalloh in einer Polizeizelle in Dessau. Er war an Händen und Füßen gefesselt. Jahrelang vertraten Polizei und Staatsanwaltschaft die These, er habe sich mit einem Feuerzeug, das bei der Leibesvisitation übersehen worden sei, selbst angezündet. Videoaufnahmen aus der Zelle verschwanden, eine der Fesseln hat der Hausmeister im Müll entsorgt.

Der erste Prozess vor dem Landgericht Dessau-Roßlau endete 2008 mit einem Freispruch für die beiden angeklagten Polizisten. Der Richter sagte bei der Urteilsverkündung, das Gericht habe „nicht die Chance gehabt, das, was man ein rechtsstaatliches Verfahren nennt, durchzuführen“. Polizeibeamte hätten im Zeugenstand „bedenkenlos und grottendämlich“ falsch und unvollständig ausgesagt. Dass etwas vertuscht wurde, dürfte Politik und Öffentlichkeit spätestens nach dieser richterlichen Äußerung klar gewesen sein.

In diesem November, mehr als zwölf Jahre nach Jallohs Tod, berichteten Medien von einer spektakulären Wende: Die Dessauer Staatsanwaltschaft gehe nun von einem Mordverdacht aus. Dass sich Ermittlungsbehörden und Gerichte immer wieder mit dem Fall beschäftigten, ist den Angehörigen und Freunden Jallohs und ihren Unterstützern und Anwälten zu verdanken. Gegen jedes Urteil legten sie Revision ein, beauftragten privat eine Obduktion, bei der ein Nasenbeinbruch festgestellt wurde, finanzierten aus Spenden ein Brandgutachten.

Vorige Woche überwies Sachsen-Anhalts Justizministerin Anne-Marie Keding (CDU) den Fall an die Generalstaatsanwaltschaft Naumburg. Ohne Druck wäre das wohl nicht passiert. Die Linken-Fraktion forderte einen Untersuchungsausschuss sowie den Rücktritt Kedings, weil sie das Parlament falsch informiert habe. Konkret geht es um einen Vermerk des Leitenden Oberstaatsanwalts von Dessau-Roßlau, Folker Bittmann, der im April darin ein Verbrechen als wahrscheinlichste Ursache für den Tod Jallohs bezeichnet hatte – inklusive Verweis auf mögliche Zusammenhänge mit weiteren Todesfällen. 1997 erlag ein Mann direkt nach einem Gewahrsam im Dessauer Revier inneren Verletzungen, und 2002 kam in der Zelle, in der Oury Jalloh verbrannt ist, ein Obdachloser ums Leben.

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