Spaß, oder?

Tatort Nicht die Königsetappe, aber eine bemerkenswerte Ausfahrt: In "Angezählt" wird die Bibi (Adele Neuhauser) in einer Wiener Tragödie auf sympathische Weise privatisiert

Für Freunde der klassischen Spannungsdramaturgie, des Whodunit, das ja im Tatort häufig runtergerockt ist auf stumpfe Verdächtigenarithmetik, bildet Angezählt die zweite Enttäuschung in Folge. Wie in Berlin letzte Woche muss in Wien this time für den Zuschauer weniger um die Täterschaft als die Tatpsychologie ermittelt werden. Der handwerklich hervorragende Boulevardjournalist in uns könnte freilich fragen: "Ist das noch Krimi?" Im Falle des Tatort wäre die Antwort wohl: Ja, ist es. Denn der Tatort ist seit je weniger Krimi als Gemeinschaftskunde für alle am Sonntagabend.

Angezählt ist ein ganz gutes Beispiel, wie in einer Reihe varriert werden kann, deren serielles Erzählen sich eher in kurzen Sprints verausgabt, als mit langem Atem die Halbmarathons zu gewinnen. Die Privatisierung der herzallerliebsten Bibi-Figur (Adele Neuhauser) gelingt, weil sie überzeugend erzählt ist (Regie: Sabine Derflinger, Buch: Martin Ambrosch). Wobei Gelingen dann so was wie Bildausschnitt und Rhythm meint; dass das Gespräch der Bibi mit der Therapeutin Isabelle Huppert aka Dr. Schneider (Tatjana Alexander) etwa vor allem über Bibis Antlitz läuft und so eine eigene Ruhe reinbringt gegen den parallel geschnittenen Stress draußen auf dem Market oder auch im Bowlingcenter.

Spürfüchse des Unwahrscheinlichen werden sich natürlich wundern, dass die hardboiled Bibi, die so viel mit Leuten zu tun hat, deren Interesse im Bezug auf Öffentlichkeit durch die Handy-Anzeige "Anonym" recht gut beschrieben ist, dann nicht rangeht an solche Anrufe, als wäre sie die Direktorin einer Benimmschule, die im ausgehenden 19. Jahrhundert Bürgerbengels gesittetes Verhalten beibringen soll. Und natürlich ist der Raum schmal, in dem sich Bibi mit ihrer Ungeliebtes-Kind-Erinnerung auf die Verhältnisse um den von Liebe verwaisten Ivo Radneva (Müsste er nicht Radnev heißen: Abdul Kadir Tuncel) beziehen lässt.

Preisvorschläge

But it works, wie die Produktionsfirma von Annekathrin Hendel heißt (die nichts mit dem Tatort zu tun hat, sondern alles damit), und zwar weil die Geschichte Raum hat, Schlenker macht, Atmo aufreißt und Charakterisierung nicht als Buchhaltung versteht. Ein Beispiel ist, wenn Bibi den Ivo in dieses Drehscheiben-Heim bringt, und da dann nicht nur die Ab-/Übergabe vermerkt wird, sondern schon das Klackern des Ganges, von hinten jefilmt, etwas nebenher sagt über die Raum und auch über die Bibi. Oder wie die Subalternen von der Polizei in der Bowlingbahn den Eisner-Brummbär (Harald Krassnitzer) am Rande der Arbeit zum Kollegenbowling einladen.

Bibi also voll in Gelb, eine der herrlichsten Figuren, die das aktuelle Tatort-Tableau zu bieten hat. Ein wenig Entlastung verschafft dann auch diese Szene gegen Ende, wenn sie in der traurigen Anbahnungsbar zumindest für einen Moment Rambazamba macht und dem Freier die Preise diktiert. Sonst ist nämlich, und das ist dann auch ein Unterschied zum usual Tatort, nichts gut am Ende, man muss von einer Tragödie klassischen Zuschnitts sprechen: Der Ivo wird am Ende auch noch schuldig am Tod des eigenen, wenn auch furchtbaren Vaters (zuletzt schon im Meuffels-Transgenda-Polizeiruf eine Marke: Muruthan Muslu). Verheerung, wohin das Auge schaut. Immerhin kann das Drehbuch mit Eisner und Kollegen noch mal kurz bowlen gehen in diesem trüben Schluss.

Sonntagabendkrimi will wahlbedingt erst return in zwei Wochen – als Polizeiruf mit Meuffels aus Munich.

Ein Satz, der aus Kollegen Freunde macht: "Sind wir wieder beeindruckt, dem geistigen Vakuum zu begegnen"

Ein Hinweis, der zeigt, dass man sich auskennt: "Du kommst jetzt wieder runter auf eine professionelle Ebene, ist das klar?!"

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Geschrieben von

Matthias Dell

Filmverantwortlicher

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