Das Schicksal der Flüchtlinge wühlt uns auf. Viele wollen etwas tun, helfen, vielleicht auch erst einmal nur lesen, denn lesen nimmt manchmal etwas die eigene Ohnmacht: In den Buchhandlungen liegt ein Pamphlet für eine menschlichere Flüchtlingspolitik von Heribert Prantl. Zum Schluss schlägt er vor, Flüchtlinge in weitgehend entvölkerten Gegenden wie Mecklenburg-Vorpommern anzusiedeln. Sogleich ergoss sich in den sozialen Netzwerken Häme über diesen Vorschlag, der allerdings nicht mehr ganz so weltfremd wirkt, wenn man weiß, dass Mecklenburg-Vorpommern nach der Bodenreform 1945/46 von Flüchtlingen aus den Ostgebieten neu besiedelt wurde. Kühn bleibt Prantls Vorschlag natürlich trotzdem und auch etwas zwiespältig, da viele Flüchtlinge bestimmt anderes im Sinn haben als den Aufbau einer Subsistenzwirtschaft, zum Beispiel eine akademische Karriere oder einen Job als Ärztin.
Noch eine Spur kühner und zwiespältiger scheint eine Idee, die Niklas Maak in der FAS vortrug. Wieso, fragte der Architekturkritiker, kann man dem dubiosen Berliner Stadtschloss samt „Humboldt-Forum“ nicht eine zeitgemäße, die koloniale Erblast ernst nehmende Bedeutung geben: Das Schlossimitat soll zum Zufluchtsort für Flüchtlinge werden, die, Raum ist ja da, auch gleich mal die Altstadt von Aleppo nachbilden könnten. Ein natürlich nicht ganz ernst gemeinter Vorschlag, von dem man allerdings nicht ganz sicher weiß, ob man ihn nur für gewitzt oder nicht auch für etwas zynisch halten soll, denn er zielt ja primär auf das Ärgernis des Schlossbaus und nicht auf die Not der Flüchtlinge.
Aber solche Ambivalenzen sind charakteristisch für die Lage. Dass sich die Fantasie so entzündet, heißt erst einmal einfach, dass Politik und Gesellschaft noch keine guten Antworten auf etwas gefunden haben, was man nicht das „Flüchtlingsproblem“ nennen möchte.
In diesen offenen Raum hinein operiert schließlich ganz bewusst das Zentrum für politische Schönheit (ZPS). Auch in ihrer jüngsten Aktion „Die Toten kommen“ agiert diese Künsteraktivistengruppe um Philipp Ruch hart an der Grenze von Fantasie und Tat, Schein und Wahrheit, Pietät und Pietätslosigkeit. Am Dienstag wurden, angeblich, die Leiche einer 34-jährigen Syrerin, die bei ihrem Fluchtversuch im Mittelmeer ums Leben gekommen war, auf einem Friedhof in Berlin-Gatow bestattet. Sie soll eine von zehn Leichen sein, die in Griechenland und Sizilien in anonymen Gräbern gefunden und exhumiert wurden, weitere Aktionen sollen folgen. Meine Kollegin Juliane Löffler war vor Ort und schrieb in ihrem Bericht auf Freitag.de von einer durchaus würdigen Zeremonie. „Und trotzdem schwebt eine entscheidende Frage unausgesprochen über der Beerdigung: Handelt es sich hier nur um eine Inszenierung oder ist in dem Sarg tatsächlich eine Leiche?“
Diese Frage stellt sich umso mehr, als die Allermeisten diese Aktionen ja nur als Medienkonsumenten rezipieren. Statt ergriffen zu sein, denkt man über die Form nach. Ein Unbehagen stellt sich ein: Statt die Beobachter in die Tragödie zu reißen und die Politik zu beschämen, steht die Legitimität einer aktionistischen Kunst zur Debatte. Man muss nur Zeitungen lesen: „Übergriffig“ nannte etwa ZeitOnline diese Kampagne des ZPS, die ihre Aktionen freilich wiederum durch unsere Abstumpfung rechtfertigt. Undsoweiterundsofort. Einen „Teufelskreis“ sollte man das angesichts des Schicksals der Flüchlinge, und nicht nur der Toten vom Mittelmeer, aber nicht nennen.
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