Darf ich vorstellen. Ich bin der deutsche Michel. Es gibt mich schon sehr lange. Aber ich habe mich verändert. Früher hat man mich in der Öffentlichkeit nur mit Schlafmütze gesehen und ich hatte arg schlaffe Gesichtszüge. Aber das ist lange her. Heute zeige ich meinen Schädel und bin stolz, dass die Haare weniger werden, denn das kommt daher, dass ich mir Gedanken über mein Land mache. Allein wenn ich an die Vier-Tage-Woche bei vollem Gehalt denke, fallen mir ein Dutzend Haare aus. Früher habe ich Kartoffeln gegessen und öfter ein Bier zu viel getrunken, davon wurde ich dick und sentimental. Heute ist mein Lieblingsessen Spaghetti Frutti di Mare und einen Bierdeckel nehme ich nur noch in die Hand, um darauf ein effizientes Steuermodell zu zeichn
chnen. Mein Blick ist scharf, ich habe jetzt straffe Gesichtszüge.Ich sehe nicht nur aus wie Friedrich Merz, ich spreche auch wie Friedrich Merz. „Wir müssen zu Leistung ermutigen und befähigen.“ Das ist meine tiefe Überzeugung. Endlich werde ich gehört. Endlich erkennen meine Landsleute, dass wir mit der alten Michelhaftigkeit untergehen. Sport sei Dank. Wie ich im Bundestag gesagt habe: „Die Männer scheitern bei der Fußball-WM, die DFB-Frauen scheiden auch früh aus, und von der Leichtathletik-Weltmeisterschaft bringt Deutschland zum ersten Mal keine Medaille nach Hause. Für mich ist das symptomatisch.“ Ich habe eine Debatte gefordert und ich habe sie bekommen. „Welchen Stellenwert hat Leistung in Deutschland noch?“, fragt der Deutschlandfunk ganz in meinem Sinn, mit Blick über den Sport hinaus.Früher war „Leistungsverweigerer“ ein AdelsprädikatIch bin zuversichtlich. Die rot-grüne Regierung muss weg, dann wird es gut. Der Leistungsgedanke steckt tief in der Gesellschaft drin. Auch bei Leuten, von denen man es nicht vermuten würde. Wie gezeigt, bei Journalisten, nicht nur im DLF, sondern sogar, wenn sie bei einer linken Wochenzeitung arbeiten (Belege bitte vertraulich anfordern). Oder, um auf den Sport zurückzukommen: Union Berlin, der angeblich so alternative Bundesligaverein. Wenn es um Leistung geht, verstehen die keinen Spaß. Haben ja auch ein Leistungsnachwuchszentrum. Der Nachwuchs dort geht auf die Flatow-Schule. „Als Eliteschule des Sports und Eliteschule des Fußballs ist die Flatow-Oberschule bestens auf die Anforderungen einer leistungssportlichen Ausbildung eingestellt und ermöglicht neben der fußballerischen Ausbildung eine optimale schulische Förderung unserer Spieler.“ Noch Fragen?Okay. Ich habe bekanntlich eine gewisse Fixierung auf Berlin-Kreuzberg. „Deutschland ist nicht Kreuzberg und so.“ Ich muss aber gestehen: Ich bin gar nicht wegen der Türken dort fixiert, die sind leistungsbereiter als die Kartoffeln. Nee. Kreuzberg erinnert mich an meinen Heimatort, wo ich in meiner Jugend mit dem frisierten Weltkriegsmotorrad zur Frittenbude gedüst bin. Immer im Wettlauf mit den Bullen, äh, der Polizei, da ohne Nummernschild unterwegs. Und die langen Haare wehten wild im Wind.In Kreuzberg sitzen noch so ein paar mit langen, jetzt weißen Haaren. Da zieht es mich hin. Da spüre ich echte Heimat. Die schwelgen dann, wie es war, als Null-Bock noch zählte und „Leistungsverweigerer“ ein Adelsprädikat war. Oder als die echten Alternativen 1978 den „Tunix“-Kongress organisiert haben: Nichts tun, das bringt’s. Neulich war einer dabei, nicht ganz so alt, nicht ganz so lange Haare. Der hat sich lustig gemacht über die aktuelle Leitungsdebatte. Hat die NZZ gezückt, „ist ja dein Blatt“. Ein Bericht über die letzte Fußball-WM. Knallharter Datenjournalismus. „Also eigentlich gar nichts für den deutschen Michel.“ Und da stand es nun schwarz auf weiß: „Die wertvollsten (sprich: teuersten) Spieler des vergangenen Turniers zeichneten sich vereinfacht gesagt vor allem durch drei Dinge aus: ein Auge für Mitspieler, Leidensfähigkeit und Faulheit.“ Bitte nicht weitersagen.