Was im Nebel von Le Locle geschah

Schmuggel Der schweizer Krimiautor Arnaud Schauwecker wurde zu Unrecht vergessen
Was im Nebel von Le Locle geschah

Foto: Justin Tallis/AFP/Getty Images

Bekanntlich ist die Zahl der vergessenen Krimiautoren Legion, und bei den meisten ist es gut, dass sich keiner an sie erinnert. Aber da sind auch jene, die es lohnt, wieder zu lesen. Einer von ihnen ist der 1905 geborene und 1986 gestorbene Arnaud Schauwecker, der im deutschen Sprachraum kaum noch bekannt ist. Anders sieht es in Frankreich und in der französischen Schweiz aus. Schauwecker, der aus Neuchâtel stammt, hat dort eine treue Anhängerschaft, eben ist sein erfolgreichster Roman von einem Pariser Verlag neu aufgelegt worden (editons denoël, 2012).

Es war das große Problem von Arnaud Schauwecker – sein Fluch, sagen andere – dass er im Schatten von Friedrich Dürrenmatt stand. Das kann man fast wörtlich nehmen. 1952 zog Dürrenmatt in ein Haus über der Stadt Neuchâtel, die zwischen See und Juragebirge liegt und rund 200 Jahre preußisch regiert war (daher der Name Schauwecker). Während aber Dürrenmatt mit seinem Teleskop in die Sterne schaut und Dramen von antiker Wucht schreibt, die sofort Schullektüre werden, sehen wir tief unten einen Mann mit weißem Haar und schwerem Blick im Schein der Schreibtischlampe; er ist gerade als Lehrer in den Ruhestand getreten und schreibt an einem neuen Kriminalroman, seinem siebten.

Er ahnt wohl schon, dass er seinen Erfolg nicht wiederholen kann: Dans le Brouillard du Locle, deutsch Im Nebel von Le Locle, sein vierter Roman, 1948 erschienen. Der Plot dürfte manchem bekannt vorkommen. Emil Justi, ein in der Provinz- und Grenzstadt Le Locle geachteter Uhrenfabrikant, steht im Verdacht, den Schmuggel an der Juragrenze zu organisieren. Es kann ihm aber nichts nachgewiesen werden. Ein verdeckter Fahnder, der auf ihn angesetzt wurde, wird umgebracht. Wieder ist Justi der Verdächtige, es stellt sich aber heraus, dass er an diesem Mord nicht schuld ist, der Täter vielmehr in den Reihen der Polizei, die tief in den Schmuggel, aber auch in Liebeshändel verstrickt ist, gesucht werden muss.

Georg Simenons Schüler

Man sieht: Im Nebel von Le Locle hat Ähnlichkeiten mit Dürrenmatts Welterfolg Der Richter und sein Henker. Der hat auch nicht bestritten, dass er sich von Schauwecker inspirieren lies, und zweifellos hat er seinem Roman eine existenzialistische Tiefe gegeben, die dem Nebel von Le Locle fehlt. Dafür ist dieser wirklich spannend, was man nicht von jedem Krimi aus jener Zeit sagen kann. Spannend und sozialkritisch, denn wie viele seiner Kollegen war Schauwecker beeindruckt von Georg Simenon.

Die Bewunderung galt nicht zuletzt dem Talent des Belgiers, den Leser in wenigen Sätzen in die Atmosphäre einer Provinzstadt oder eines Hafenviertels hineinzuziehen. Schauwecker war ein guter Schüler: Man ist sofort gefesselt, wenn Justi anfangs um sein Fabrikgebäude (den Tissot-Werken nachempfunden) geht, um spät noch „nach dem Rechten zu sehen“, aber der Novembernebel ist dicht, und Justi hat im De La Gare einen Roten getrunken, denn sogar einen wie ihn macht der Nebel zu einem Mann mit Sehnsüchten und Ängsten.

Schauwecker war noch in einem weiteren Punkt von Simenon geprägt: Wie Friedrich Glausers Wachtmeister Studer ist auch Schauweckers Kommissar Clemont ein bis zur Wortkargheit ruhiger Artverwandter Maigrets; einer mit viel Intuition, der mit der eigenen Zunft hadert und mit den Tätern, wenn sie aus einfachen Verhältnissen stammen, sympathisiert (vor allem im Roman Später Besuch bei Madame Lacluse). Die anti-bourgeoise Züge treten bei Clemont jedoch markanter hervor als bei Studer und Maigret; während die in kaum der Rede werten Ehen leben (kennt man den Namen ihrer Frauen?), hat Clemont eine Dauergeliebte, die Journalistin Andine. Sie ist es auch, die im Nebel von Le Locle die Spur auf die Polizei selbst lenkt und die Ermittlungen gegen Justi vorantreibt. Eine starke Figur, die nicht vom Himmel gefallen ist: Im Vorwort der französischen Neuausgabe liest man, Schauwecker sei mit der Journalistin Annemarie Schwarzenbach befreundet gewesen. Es wäre zu wünschen, dass auch ein deutscher Verlag sich an eine Neuausgabe wagt.

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Geschrieben von

Michael Angele

Ressortleiter „Debatte“

Michael Angele, geb. 1964 in der Schweiz, ist promovierter Literaturwissenschaftler. Via FAZ stolperte er mit einem Bein in den Journalismus, mit dem anderen hing er lange noch als akademischer Mitarbeiter in der Uni. Angele war unter anderem Chefredakteur der netzeitung.de und beim Freitag, für den er seit 2010 arbeitet, auch schon vieles: Kulturchef, stellvertretender Chefredakteur, Chefredakteur. Seit Anfang 2020 verantwortet er das neue Debattenressort. Seine Leidenschaft gilt dem Streit, dem Fußball und der Natur, sowohl der menschlichen als auch der natürlichen.

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