Manchmal fragt man sich dann doch, ob der Kanzler ehrlich agiert. Wie kann es sein, dass Olaf Scholz mehrfach erklärt, von einer Wiedereinführung der Wehrpflicht halte er gar nichts, und sein Verteidigungsminister sie in aller Öffentlichkeit vorbereitet und auch ständig für sie wirbt? Sorry, da wird getrickst. Man hat den Eindruck, dass die deutsche Bevölkerung mit derselben Taktik bearbeitet wird, die die NATO Russland gegenüber anwendet: Das Wasser, in dem der Frosch schwimmt, ganz langsam erhitzen, damit er es erst merkt, wenn es zu spät ist.
Was Russland angeht, sind wir nun schon so weit, dass offen über einen Einsatz von NATO-Truppen in der Ukraine gesprochen wird. Und was die Wehrpflicht angeht, sind wir so weit, dass Boris Pistorius (SPD)
rius (SPD) in seinem Ministerium „Optionen für ein deutsches Wehrdienstmodell“ vorbereiten lässt und dabei ankündigt, er beabsichtige „eine Richtungsentscheidung zur Wehrpflicht noch in dieser Legislaturperiode“. Da die Richtlinienkompetenz bekanntlich beim Kanzler liegt, wird man annehmen müssen, dass Scholz selber den Auftrag erteilt hat. Pistorius reist derweil in Skandinavien herum und gibt den Zeitungen Stoff, über verschiedene Wehrpflichtmodelle nachzudenken. Das schwedische? Das finnische? Übrigens eine bewährte Methode hegemonialer Herrschaft: Man diskutiert verschiedene Möglichkeiten, sodass die Leute denken, es sind ja nur Gedankenspiele, aber die Frage hinter den möglichen Antworten, die Frage der Wehrpflicht, wird in den Köpfen festgeklopft und erscheint zunehmend als selbstverständlich.Eigentlich sind ja auch alle dafür, außer der FDP, und die wird sich dann auch nicht sträuben können. Die FDP sagt bisher noch, Wehrpflicht sei anachronistisch, weil der moderne Krieg mit technischem Gerät geführt werde, das nur Spezialisten bedienen könnten. Diese Argumentation tut so, als ob es nur darum ginge, der Berufsarmee, die wir zurzeit haben, genügend Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen zuzuführen. Daran hat es gemangelt, aber das ist nicht der jüngste Diskussionsstand.Jetzt haben wir den Ukraine-Krieg. Werden in ihm etwa, neben Spezialisten, nicht auch gewöhnliche Soldaten gebraucht? Und haben wir nicht von dem Szenario gelesen, dass wenn die USA mit China zu kämpfen haben, Europa mit Russland allein fertig werden müsse?Wenn man einen Krieg in Betracht zieht, muss man einige Vorbereitungen treffen, auch im Zivilen. Man muss zum Beispiel das Gesundheitswesen entsprechend umrüsten, wie der zuständige Minister Karl Lauterbach (SPD) ja bereits ausposaunt. Aber das hätte ja keinen Sinn, wenn nicht auch mit verwundeten Soldaten zu rechnen wäre.Alle Schulabgänger musternDie Grünen sagen zwar, sie lehnten die Wehrpflicht weiterhin ab, zugleich sagen sie aber auch, sie setzen auf Freiwilligkeit, um die Mannstärke der Truppe zu vermehren. Doch von Freiwilligkeit reden ja alle, und am lautesten gerade Pistorius, und gerade das schwedischen Modell, an dem nicht nur er, sondern auch die CDU sich interessiert zeigt, scheint es zu bestätigen: Alle Schulabgänger werden dort gemustert und dann „spricht die Armee“, lesen wir in unseren Zeitungen, „gezielt junge Männer und Frauen“ an, die „geeignet“ erscheinen. Ob die dann Lust auf die Armee haben? Ganz freiwillig.Nur, warum läuft das unter dem Namen „Wehrpflicht“? Warum wird in Deutschland diskutiert, wie bei einer Übernahme des Modells für „Wehrgerechtigkeit“ gesorgt werden könne? „Wehrgerechtigkeit“ bedeutet, dass man nicht einige verpflichten kann und andere verschont bleiben. Wenn es um Wehrgerechtigkeit geht, dann kann es nicht um Freiwilligkeit gehen.Die Wehrpflicht wurde in Deutschland 2011 „ausgesetzt“. Zur Begründung erklärte die Bundesregierung, die „sicherheits- und verteidigungspolitische Lage“ sei „dauerhaft verändert“, gemeint war offenbar: zum Frieden hin. Damals wurde Russland seit elf Jahren von Wladimir Putin regiert, von dem man heute behauptet, er habe sich immer schon auf den Krieg vorbereitet.Aber im „Wehrrechtsänderungsgesetz“ steht auch, die Wehrpflicht würde „im Spannungs- oder Verteidigungsfall“ wieder eingeführt. Das ist es wohl, worum es heute geht: Wenn es so weit ist, muss der „Spannungsfall“ vom Bundestag beschlossen werden, und dann spätestens muss auch die Bevölkerung eingestimmt sein. Hochgeköchelt, wie der Frosch.