Hoffnung für Ungläubige

Parabeln Wer ein wenig Licht in diesen Tagen will, muss zu denen gehen, die viel Schatten um sich haben
Ausgabe 13/2024
Hoffnung für Ungläubige

Illustration: der Freitag

Theo Sommer schrieb einmal, dass die Schriftsteller die Hefe im System seien. Ich hoffe, dass wir das noch sind, zusätzlich wäre ich aber gerne die, die erhellende Worte in diese dunklen Tage bringt. Die Zeiten sind ja wahrlich furchteinflößend, bei all den Hiobsbotschaften kann einem angst und bange werden. Wir Christen wissen ja, Gott sei Dank, wie die Geschichte mit Hiob endet, und außerdem verkündet uns die Osterbotschaft Hoffnung und Licht. Aber was ist mit denen, die daran nicht glauben? (Vielleicht erlaubt der Staat deshalb das Kiffen: damit man die ganzen negativen Nachrichten aushält?) Hier sieben kurze Geschichten, möge der geneigte Leser sie mit eignen Gedanken ergänzen, vielleicht sogar weiterschreiben.

Zum Abschluss einer Literaturwerkstatt schenkt mir ein Elfjähriger ein Foto. „Als Erinnerung, damit du mich nicht vergisst.“ „Aber das bist ja gar nicht du auf dem Foto?!“ „Von mir habe ich ja auch gar keines, nur von meinem besten Freund, es ist das einzige Bild, was ich habe. Ich schenke es dir, damit du immer an mich denken kannst.“

Wie selbstlos von ihm.

In einer Jugendarrestanstalt, da, wo angeblich die ganz harten und abgebrühten Jugendlichen sitzen, erinnern sich die Jungen an schöne und schlimme Erlebnisse in ihrem Leben. Ein Jugendlicher erzählt von einem besonders traumatischen Ereignis, das er erleben musste. Stille in der Gruppe der knallharten Jungen. „Aber das ist ja total furchtbar“, sagt ein Jugendlicher leise, und die anderen nicken.

Wer hätte Mitleid an einem solchen Ort erwartet?

Wie so manch einem Jugendlichen in meinen Literaturwerkstätten wurde mir früher auch von pädagogisch voll versierten Erwachsenen bescheinigt, dass aus mir eh nichts werden würde. Tatsächlich scheiterten mehrere Versuche, mit einer handwerklichen Ausbildung Fuß in der bürgerlichen Welt zu fassen. Direkt zu Beginn klappte es schon nicht mit meiner Karriere zur Millionärin. Tellerwäscher wurden keine gesucht, wohl aber Spülmaschineneinräumer. Vorne sollte ich dreckige Becher einräumen und hinten am Ende die sauberen herausholen. Sosehr ich mich beeilte und rannte, die Becher fielen alle zu Boden. Nach drei Tagen gab ich auf.

Hätten mich mehr Geduld und Ausgeglichenheit zum Erfolg geführt?

So manch einem Vertreter aus dem Bildungsbürgertum ist es sehr wichtig, anderen Menschen zu erklären, dass sie doch lieber dort bleiben sollen, wo sie sind, statt für eine bessere Zukunft zu kämpfen. Im Bordbistro in einem Zug lerne ich einen jungen Mann kennen. Er kommt aus prekären Verhältnissen, hat eine Familie gegründet und möchte sein Abitur nachholen, um danach Soziale Arbeit zu studieren. „Es ist doch gut, wenn jemand wie ich, der aus armen Verhältnissen kommt, versucht, den Leuten zu helfen, oder?“ Ich bestärke ihn in seinem Vorhaben. Ungefragt mischt sich ein Anzugträger ein. „Jetzt setzen Sie dem jungen Mann doch keine Flausen ins Ohr. Der wird doch komplett scheitern, in der ihm fremden Welt. Er wird überfordert sein. Er soll da bleiben, wo er ist. Er hat einen Job und eine Familie. Schuster, bleib bei deinen Leisten, sage ich nur.“

Woher weiß der Anzugträger, was für den jungen Mann Erfüllung bedeutet?

„Heute gehen wir mal ein Eis zusammen essen! Ich gebe einen aus“, verkünde ich nach einer Literaturwerkstatt. „Ich kann in den Laden gehen und eine Packung Eis kaufen“, bietet sich ein Mädchen an. „Nein, wir gehen heute zum Italiener und holen uns jeder ein Eis, jeder drei Kugeln.“ „Aber das ist doch viel zu teuer“, wirft ein Junge ein. „Macht euch darüber keine Sorgen. Ich habe Engel in meinem Leben, die geben mir, wenn ich etwas brauche!“ Wenige Zeit später sitzen wir im Park und essen unser Eis. Drei Kugeln, mit Sahne, Schokoladenüberzug und so Streuseln obendrauf. „Das ist voll schön, nicht so übertrieben, nur schön“, ruft ein Mädchen.

„Was für ein Genuss, sagt man das so, Mirijam?!“

Mit Förderschülern bin ich im Landtag eingeladen. Ich hatte darum gebeten, sich verständlich auszudrücken, und darauf hingewiesen, mit wem ich da komme. Das wäre eine Selbstverständlichkeit, bekomme ich zur Antwort. Weder die Dame, die uns den Landtag zeigt, noch der Abgeordnete sind in der Lage, so zu sprechen, dass die Schüler etwas verstehen. Auch als ich eingreife und mehrfach Fremdwörter des Abgeordneten übersetze, schafft er es nicht, seine Sprache verständlicher zu machen. Er ist so in seiner Welt gefangen, dass es ihm noch nicht mal auffällt, dass ich übersetzen muss. Wir packen die Süßigkeiten, die uns geschenkt wurden, ein und verlassen das Gebäude. Vor dem Gebäude steht ein Mann von einer Sicherheitsfirma. Die Jungen sind fasziniert und beobachten ihn. Je mehr die Schüler ihn anschauen, umso grimmiger wird das Gesicht des Mannes. Stocksteif steht er da. Irgendwann fragt ein Junge in die Stille: „Was macht der Mann da?“ „Er bewacht das Gebäude. Das ist sein Job“, erkläre ich. „Aber das sieht voll langweilig aus.“ Der Mann steht immer noch mit grimmiger Miene und stocksteif da. „Also, so einen Job möchte ich niemals in meinem Leben machen! Ich glaube, ich strenge mich in der Schule lieber mal mehr an!“, stellt einer der Jungen fest. Soll mal einer sagen, ein Besuch im Landtag lohne sich nicht.

Aber ob ihn sein Wille zum Fleiß zum Erfolg führen wird?

In einer Literaturwerkstatt verteile ich Tagebücher. Engel hatten gespendet, sodass ich neue Tagebücher kaufen konnte. Ehrfürchtig streichen die Kinder über die neuen Bücher. „Hast du die geklaut, Mirijam?“, möchte ein Mädchen wissen. Auch am dritten Tag bekomme ich einige nicht dazu, in das Buch zu schreiben, zu kostbar ist es ihnen. An diesem Ort wird mir wieder klar, wie viel Geld ich für Unsinn ausgebe, wie viel Geld Kinder aus privilegierten Verhältnissen doch zur Verfügung haben.

Auf einmal überkommt mich ein Gefühl der tiefen Demut.

Mirijam Günter war ein Findelkind und lebte insgesamt 16 Jahre lang in Kinder- und Jugendheimen. Heute bietet sie im deutschsprachigen Raum Literaturwerkstätten für benachteiligte junge Menschen an. Bei dtv erschien 2004 ihr Roman Heim

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