Gestern war ein mieser Tag. Erst gab es Stress mit einem Kollegen und dann lief im Deutschlandfunk eine negative Besprechung meines Buches. Ich atmete tief durch, spulte im Inneren die illusionären Weisheiten angeknackster Autorenegos ab („Wer kann, der macht, wer nicht kann, kritisiert!“) und wartete auf den Feierabend. Zufällig hatte ich ohnehin vor, für den Urlaub nach neuen Schuhen zu schauen. An einem guten Tag wäre ich dafür ins Schuhgeschäft gegangen. Gestern ging ich ins Einkaufszentrum.
Der folgende Halbsatz gehört wohl zu den kontroversesten meiner Laufbahn, aber ich mag das Einkaufszentrum. Kontrovers ist das deshalb, weil Shopping als oberflächlich gilt, als Zeitvertreib der schlichteren Geister – und, das sagt man aber n
man aber nicht so laut, als Weiberkram. Hier geht es schließlich nicht ums Einkaufen als widerwillige Teilnahme an der Zwangsveranstaltung namens Kapitalismus. Im Kaufhaus wird entspannt. Und das Klischee stimmt: Frauen tun das Studien zufolge häufiger und ausgiebiger als Männer.Shopping, Liebesromane und Taylor SwiftWie bei allem, was überwiegend von Frauen getan wird, ist es für ein respektables Auftreten äußerst wichtig, sich davon zu distanzieren. Es gibt viele schwer nachvollziehbare Hobbys, etwa Extremsport oder kuriose Sammelleidenschaften. Aber bei weiblich konnotierten Interessen ist die Ablehnung merkwürdig aggressiv, wird oft ungefragt vorgetragen und mit Kraftausdrücken garniert. Übrigens von Frauen wie von Männern, geradezu als Teil der Identität. Guten Tag, mein Name ist Müller, ich verabscheue Shopping und Liebesromane und Taylor Swift. Hat aber alles nichts mit Geschlechterrollen zu tun, versprochen.Dabei ist der positive Effekt eines Einkaufsbummels längst wissenschaftlich belegt. „Retail Therapy“, also Kauftherapie, ist ein halbironischer Begriff für ein sehr reales Phänomen. Ein Experiment der US-amerikanischen Universität Michigan ergab, dass selbst das hypothetische Vergleichen und Aussuchen von Produkten die Stimmung erheblich anhebt. Kein Wunder: Sobald man die wohlparfümierten Kaufhaushallen betritt und das Stimmengewirr mit Kopfhörern verstummen lässt, geht es nur noch darum, was einem gefällt. Was könnte gut an mir aussehen? Was möchte ich lesen? Habe ich Lust auf einen Donut? Oder auf ein Notizheft, ein Parfum, Kissenbezüge, Zimmerpflanzen, Nagellack?Wie die meisten anderen Bewältigungsstrategien muss man sich auch diese leisten können. Reiner Schaufensterbummel, bei dem nichts gekauft wird, hilft nach den Forschungsergebnissen aus Michigan zwar auch. Das ist aber wiederum eine Frage der verfügbaren Freizeit. Wer jeden Cent umdrehen und dabei nicht nur an sich, sondern auch an seine Kinder denken muss, für den wird das Einkaufen lästige Notwendigkeit bleiben.Der konsumförmige Schlendrian darf Spaß machenDas Kaufhaus ist nicht dazu da, physische Bedürfnisse zu erfüllen – etwa die Schuhe, die ich für meinen Urlaub tatsächlich gebraucht hätte. Hier geht es um den konsumförmigen Schlendrian.Der darf auch dann Freude bereiten, wenn man sonst klug, gebildet und mit kritischem Urteilsvermögen ausgestattet durch das Leben geht. Meinem ökonomischen Basiswissen habe ich schließlich die Erkenntnis zu verdanken, dass wir den Kapitalismus auch nicht schneller loswerden, wenn ich im Schuhgeschäft mies gelaunt auf das erstbeste Paar in Größe 37 zusteuere und ebenso mies gelaunt wieder nach Hause fahre. Mit dem Kollegen habe ich mich übrigens wieder vertragen, auch dem Deutschlandfunk bin ich wieder wohlgesonnen. Und sechzig Euro ärmer.