Nachdem vor der Sommerpause alle entsprechenden Gesetzesvorschläge im Bundestag gescheitert sind, loten Abgeordnete aktuell die Möglichkeiten aus, Suizidbeihilfe doch noch gesetzlich zu regeln. Bei der Aufarbeitung des bisherigen Vorgehens würde ein Blick nach Frankreich lohnen. Auch dort wird Sterbehilfe neu geregelt. Die Initiative geht hier aber nicht von der Judikative aus wie in Deutschland. Das klingt erst einmal undramatisch, ist aber folgenschwer.
Zur Erinnerung: In einem Grundsatzurteil hat das Bundesverfassungsgericht 2020 die gesetzliche Neuregelung der Suizidbeihilfe verlangt. Dabei sei zu beachten, dass die Entscheidung, wie aus dem Leben geschieden wird, unter die persönlichen Freiheitsrechte falle und dass das Persönlichkeitsrecht auf selbstbestimmtes
bestimmtes Sterben auch das Recht auf Selbsttötung und Hilfe beim Suizid umfasse.Eine erste Konsequenz dieser juristischen Rahmung war, dass Suizidbeihilfe in Deutschland von Situationen schwerer Erkrankung am Lebensende entkoppelt wurde. Von den persönlichen Freiheitsrechten her gedacht ist dies konsequent. Wenn die Art des Sterbens unter die persönliche Selbstbestimmung fällt, kann es keine Einschränkung auf bestimmte Lebenssituationen geben. Jung und alt, gesund und krank: Suizidbeihilfe muss seither in Deutschland allen gewährt werden, deren Sterbenswunsch dauerhaft und – in juristischem Verständnis – selbstbestimmt ist.Eine zweite Konsequenz war die Konzentration der politischen Debatte auf juristische Detailfragen: wie sich trennscharf zwischen der (erlaubten) Suizidbeihilfe und der (verbotenen) Tötung auf Verlangen unterscheiden lasse; ob Suizidbeihilfe im Strafrecht zu regeln sei; mit welchen Verfahren professionelle Sterbehelfer:innen überprüfen müssen, ob der Entschluss zur Selbsttötung dauerhaft und selbstbestimmt sei.Es sind eben diese technischen Fragen des Rechts, über die der Bundestag im Sommer keine Einigung erzielen konnte. Das deutsche Procedere ist in sich schlüssig. Aber hat das Verfassungsgericht gutes, humanes Sterben in Deutschland befördert, indem es Suizid und Suizidbeihilfe in seinem Grundsatzurteil unter die verfassungsmäßig verbürgten Persönlichkeitsrechte subsumiert?Die Dominanz von rechtlichen Spezialfragen hat zum Ausschluss breiter Teile der Bevölkerung geführt, der Debatte war das nicht zuträglich. Zugleich wurden religiöse Widerstände gegen Suizid und Suizidbeihilfe durch die hochrichterliche Anordnung, diese unter die persönlichen Freiheitsrechte zu fassen, von vornherein marginalisiert: dass Suizid individuelle Selbstbestimmung ad absurdum führte, indem er deren Voraussetzungen unwiederbringlich zerstörte. Dieser Entdemokratisierung der öffentlichen Debatte ist die französische Regierung bewusst entgegengetreten: sie hat einen Bürgerrat zur Sterbehilfe einberufen.Das deutsche Verfassungsgericht hat mit seinem Grundsatzurteil nicht nur in demokratischer, sondern auch in sozialer Hinsicht problematisch gewirkt. Indem es die Beihilfe zum Suizid vom Lebensende entkoppelt, dunkelt es auch die Bezüge zur Unterstützung im Sterben bei weit fortgeschrittener Krankheit ab. Zugleich hat es die Suizidassistenz zu einem Zeitpunkt legalisiert, zu dem flächendeckend noch keine solche palliative Hilfe beim Sterben angeboten wurde.Eine aktuelle Studie zeigt, dass ein sehr großer Teil der Menschen, die sich gegenwärtig für Suizidbeihilfe interessieren, über die Möglichkeiten der Palliativmedizin nicht adäquat informiert sind und durch Selbsttötung Schmerzen im Sterben entkommen wollen – die auch palliativ gelindert werden können. Ihr Suizidwunsch mag dauerhaft sein und in einem juristischen Verständnis als selbstbestimmt gelten, aber ist er auch sozial und existenziell frei?In Frankreich wird dieses Auseinanderdriften der unterschiedlichen Formen von Sterbehilfe vermieden. Dies hat damit zu tun, dass das stärker politisch und weniger juristisch orientierte Vorgehen nicht primär auf die Wahrung der Persönlichkeitsrechte, sondern auf die Bekämpfung von Schmerzen im Sterben fokussiert. Dafür verbindet der Gesetzesentwurf der französischen Regierung die Legalisierung von Suizidbeihilfe mit Verbesserungen der Palliativversorgung.In Deutschland sollten wir Sorge tragen, dass sich die verfassungsrechtlich verbürgte Suizidbeihilfe nicht in eine Praxis der Menschenverachtung verkehrt. Aktuell ist eine gute, für jedermann greifbare Palliativversorgung noch dringlicher als ein gesetzlicher Leitfaden für Suizidhelfer:innen. Nur so kann dem Anliegen des Verfassungsgerichts in den gesellschaftlichen Realitäten Genüge getan werden: allen Menschen ihr persönliches selbstbestimmtes Sterben zu ermöglichen. Bleibt der Ausbau des Palliativnetzes aus, muss sich dagegen der ungute Eindruck aufdrängen, dass Suizidassistenz unkompliziert und billig ist.