Aus sicherer Entfernung betrachtet sind es bizarre Szenen, die sich gestern und heute im Bundestag abspielten: Es ist Haushaltsdebatte. Auftritt Finanzminister, der seinen Haushaltsentwurf vorstellt. Es ist der größte Haushalt aller Zeiten! Rechnet man allerdings die Inflationsrate mit ein, stellt sich heraus: Real sinken die Ausgaben. Und das in Zeiten drohender Rezession, wo Gegensteuern des Staates geboten wäre. Trotzdem verkündet Olaf Scholz gleich im zweiten Satz voller Stolz: „Ohne neue Schulden!“
Die schwarze Null, so die Botschaft von der Regierungsbank, ist sicher! Wir halten an ihr fest, mag der globale konjunkturelle Seegang auch rauher geworden sein, mag eine Rezession vor der Tür stehen, das ficht uns nicht an! Wir könnten übersetzen: Mag es auch aus ökonomischer Sicht sinnlos, nein widersinnig sein, die heilige Kuh der schwarzen Null vor sich herzutragen, wir machen es trotzdem! Und das, obwohl nicht nur international die Nachfrage nach deutschen Exporten wegbricht, sondern auch die Binnenkonjunktur bald davon betroffen sein wird, die Kurzarbeit sich schon breitmacht. Nicht, weil wir es nicht besser wissen. Sondern, obwohl wir es besser wüssten – aber nicht glauben, dass wir es den Wählerinnen und Wählern erklären könnten.
Der ehemalige Wirtschaftsweise Peter Bofinger hat die Beschränktheit des „Schulden immer schlecht“-Mantras aufgezeigt, indem er daran erinnerte, dass auch jeder Privathaushalt, der eine Wohnung oder ein Auto auf Kredit kauft, Schulden macht. Sinnvolle Schulden nämlich, weil es eben – dem Finanzsektor sei Dank – keine Notwendigkeit mehr dafür gibt, Jahrzehnte lang im Zelt zu schlafen, bis man die Kosten für das Haus zusammengespart hat.
Genauso verhält es sich mit den Dächern der Schulen, in die es hineinregnet, mit den Löchern im Funknetz, mit den Brücken und Bahnhöfen: Wer sich, wie Deutschland derzeit, zu negativen Zinsen verschulden könnte, wer das Geld investieren und dadurch positive Renditen erwirtschaften könnte, der wäre schön doof, wenn er es nicht täte. Macht die Bundesregierung aber nicht. Beziehungsweise doch, aber eben nur unter Hand. Dazu gleich mehr.
Lindner in Sachen ökonomischer Einfalt ganz vorn
Zuerst aber noch eine Haltungsnote: Das gelbe Trikot in der Disziplin Ökonomische Einfalt stülpte sich in der Haushalsdebatte FDP-Chef Christian Lindner über. Der forderte allen Ernstes eine Verschärfung der Schuldenbremse, denn, O-Ton Lindner: „Wir haben nicht nur eine ökologische, sondern auch eine ökonomische Verantwortung“ gegenüber den kommenden Generationen. Gewiss: Die kommenden Generationen werden sich freuen, wenn sie im Zelt Schulunterricht haben, und im Feldlazarett ihre Kinder zur Welt bringen, während sich ringsherum der Klimawandel Bahn bricht. Aber Deutschland wird raus aus dem Dispo sein! Was für eine Null.
Tatsächlich haben selbst Olaf Scholz und die CDU mittlerweile erkannt, dass die Bundesregierung jetzt handeln muss. Dass es verantwortungslos wäre, jetzt nichts zu tun – angesichts drohender Erderwärmung, angesichts demonstrierender Teenager und angesichts grüner Höhenflüge in den Umfragen. Weshalb in Scholz' Haushalt eine Lücke klafft, eine Klimalücke. Scholz erklärt das damit, dass er den Ergebnissen des Klimakabinetts am 20. September nicht vorgreifen wolle.
In Wahrheit aber geht es darum, dass der Großteil dessen, was die Bundesregierung zur Bekämpfung des Klimawandels unternehmen will, aus dem Haushalt ausgelagert werden soll, in eine Klimastiftung. Die soll der Staat mit Grundkapital ausstatten, und dann private Geldgeber mit garantierten Zinsen anlocken, damit sie ihr Geld investieren.
Ein kompliziertes Vehikel, sagen Sie? In der Tat. Es ist eine Art schwarze Kasse, die allein deshalb erforderlich ist, weil sonst ein Haushalt wie der derzeitige nicht möglich wäre. Weil man sonst die heilige Kuh Schwarze Null schlachten müsste. Dafür aber wäre es höchste Zeit.
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