Der eigentliche Fehler

Griechenland Angela Merkel glaubte, dass die Krise zuallererst ein ökonomisches Problem ist. Es ist aber ein politisches. Das verkannt zu haben, könnte sich bitter rächen
Was nun, Angela Merkel?
Was nun, Angela Merkel?

Bild: Odd Andersen/AFP/Getty

Das wird ein schwerer Gang für Angela Merkel. Wenn sich heute die Regierungschefs der EU in Brüssel treffen, dann ist das kein „Beratungsgipfel“, wie es offiziell heißt. Es geht um eine Entscheidung. Vieles ist unklar, aber eines ist sicher: Die Zeit läuft. Die Banken können höchstens noch bis Donnerstag geschlossen bleiben, langsam werden die Lebensmittel knapp, ebenso die Medikamente.

Die EU hat versucht, die Regierung von Alexis Tsipras in eine Ecke zu drängen und ihm die Unterschrift unter dem nächsten drakonischen Sparpaket abzunötigen. Das ist nicht gelungen. Wie ein Ringer hat sich Tsipras immer wieder befreit. In dieser griechisch-römischen Disziplin gibt es unerwartete Wendungen. Plötzlich liegt der andere auf der Matte.

Dass Tsipras das Referendum gewinnen würde, war zwar nicht unwahrscheinlich, aber sicher war es nicht. Dass sich die Opposition nun hinter ihn gestellt hat, konnte man erst recht nicht erwarten. Bisher war es eine Regierung, die sich gegen die europäische Austeritätspolitik gestellt hat. Nun ist es ein ganzes Land. So stark hat Tsipras noch nie seinen Verhandlungsgegnern gegenüber gesessen. Sogar so stark, dass er mit dem Rückzug von Finanzminister Yanis Varoufakis den Europäern ein Narrativ für einen Kompromiss anbietet. Der vermeintliche Blockierer ist weg, nun kann man sich einigen.

Die Bundesregierung hat das bisher nicht sonderlich gekratzt. Auch heute hat Finanzminister Wolfgang Schäuble seine bisherige Position wiederholt: Die Griechen seien am Zug, man warte auf Angebote. Und der Vizekanzler Sigmar Gabriel kommentierte das Referendum gar mit folgenden Worten: Die Regierung Tsipras habe „die letzten Brücken“ eingerissen, Verhandlungen über neue Hilfsprogramme seien nun kaum noch vorstellbar. Eine Bemerkung, die es in sich hat. Nicht weil sie die Lage treffend beschreiben würde, sondern weil die breitbeinige Haltung des SPD-Chefs ihm noch viel Ärger bereiten wird. Nicht nur in der eigenen Partei, in der es deshalb bereits hörbar grummelt. Auch weil der SPD-Chef erneut unter Beweis gestellt hat, dass er zwar vieles ist, eines aber ganz sicher nicht: ein Staatsmann, der weiß, wie man sich in einer Krise verhält.

Angela Merkel hat die Krise bisher aus der Distanz beobachtet, hat allenfalls hinter den Kulissen eingegriffen, ja und sogar auch das ein oder andere Gespräch geführt. Das ist der bekannte Politikstil der Kanzlerin. Doch dieser Stil gerät nun an seine Grenzen, denn Merkel hat die Dinge viel zu lange treiben lassen. Nun steht sie vor der Alternative: Entweder es gibt eine Einigung mit den Griechen, die ein neues milliardenschweres Hilfspaket und mindestens ein Schuldenmoratorium (vulg0: ein softer Schuldenschnitt) umfassen wird; das wäre angesichts der aufgeheizten Stimmung in ihrer Partei und in der deutschen Bevölkerung nur unter hohen politischen Kosten durchsetzbar.

Oder es gibt keine Einigung, dann wäre Griechenland kaum noch im Euro zu halten. Und die Kanzlerin wäre die Politikerin, die das europapolitische Erbe ihrer Vorgänger verspielt und eine der zentralen Pfeiler der deutschen Außenpolitik zum Einsturz gebracht hätte. Man muss kein Hellseher sein, um sich die Krise vorzustellen, in die die EU dann schlidderte, und da ist das britische Referendum 2017 noch nicht eimal die größte Bedrohung.

Merkel hat die Krise so lange treiben lassen, bis sogar die Obama-Regierung sich genötigt fühlte, die Europäer wachzurütteln. Der Verbleib Griechenlands im Euro sei eine Frage der nationalen Sicherheit der USA. Die Kanzlerin glaubte, dass die Griechenland-Krise zuallererst ein ökonomisches Problem ist. Es ist aber ein politisches. Das verkannt zu haben, ist der eigentliche Fehler. Er könnte sich bitter rächen.

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Geschrieben von

Philip Grassmann

Chefredakteur

Philip Grassmann ist seit 2008 Chefredakteur des Freitag. Zuvor arbeitete er neun Jahre als Korrespondent der Süddeutschen Zeitung in Berlin. Von 1994 bis 1998 war Grassmann Redakteur und später Korrespondent der Welt. Er studierte Politische Wissenschaften an der Freien Universität Berlin sowie der London School of Economics und ist Absolvent der Axel-Springer Journalistenschule.

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