Der schönste Witz, den das deutsche Kino in diesem Jahr bislang zu bieten hatte, war am 19. März im Mittagsmagazin der ARD zu hören. Dort verkündete die Filmakademie die Nominierungen zum Deutschen Filmpreis, den sogenannten Lolas. Wer bereits ahnte, dass es hier wenig zu lachen geben dürfte, sah sich nicht nur dadurch bestätigt, dass Matthias Glasners Sterben mit neun Nominierungen nun als Favorit für die Preisverleihung Anfang Mai gilt. Die einzige Nominierung in einem Feld von über 50 möglichen Preisen in 17 Kategorien, die einer Komödie zugedacht wurde, war die für den besten Hauptdarsteller Marc Hosemann und seine Rolle in Charly Hübners Sophia, der Tod und ich. Dort spielt Hosemann, natürlich, den Tod.
Wer einen Monat zu
ch, den Tod.Wer einen Monat zuvor auf der Berlinale nach einer deutschen Komödie suchte, wurde in der Retrospektive fündig, die sinnigerweise den Titel „Das andere Kino“ trug. Dafür hatte man einen Film aus dem Archiv gezogen, der einen unerhört leichten Ton anschlägt. Durchs schneevermatschte Hamburg fährt da eine junge Frau namens Martha im Auto und singt selbstvergessen den Swing-Klassiker Ain’t This a Wonderful Day. Auf dem Gehweg holt ein missgelaunter Aktentaschenträger gegen einen Radfahrer aus – und tritt ins Leere. Laut auf ein Rentnerpaar schimpfend, schiebt Martha später einen Kinderwagen durch einen unwegsamen Park und macht dann mit ihrem Freund Schluss – weil der als „Kind der 68er-Generation“ für sie als „Kind der Adenauer-Ära“ viel zu jung sei. Der Film heißt, nach einem Gedicht von Erich Fried, Nicht nichts ohne Dich.Seine Regisseurin und Hauptdarstellerin Pia Frankenberg sitzt, einen Monat vor der Retrospektive und der Berlinale, in einem Café in Berlin-Charlottenburg. Wie bestellt zum Interview hat der Podcast Lanz & Precht am selben Tag das Thema „Heiterkeit“ für sich entdeckt und tatsächlich gefragt, ob „tiefer Ernst die einzig mögliche Sichtweise“ auf das Leben sei. Darauf angesprochen schüttelt Frankenberg ungläubig den Kopf und zeigt auf ihrem Handy eine Zeichnung der SZ-Cartoonisten Hauck & Bauer anlässlich der ersten Folge der Serie Alf, die am 5. Januar 1988 ausgestrahlt worden war. Jemand geht an einem Plakat mit dem pelzigen TV-Star vom Planeten Melmac vorbei und denkt: „Die Vorstellung von lustigen Außerirdischen macht mir auch Angst. Wer weiß, ob wir den gleichen Humor haben?“ Frankenberg grinst: „Das ist doch eine extrem gute Beobachtung. Alf fand ich auch super, nicht zuletzt wegen seiner dreckigen Lache.“Mit Adenauer in der KircheAuch Frankenberg lacht gern und viel. Sie klingt dabei wie Martha aus ihrem Film: freundlich, zugewandt und ein wenig spöttisch, wobei der Spott eben nicht nur die anderen trifft. „Es gibt ja den schönen Ausdruck self-deprecation, für so etwas wie Selbstmissbilligung, was man mit Selbstironie übersetzen kann. Es ist ja in unserer Gesellschaft leider nicht sehr verbreitet, dass man sich erst mal mit einer gehörigen und auch notwendigen Distanz selbst anschaut, um sich dann auch über sich lustig zu machen. Das gibt einem aber viel mehr Spielraum, danach auch neuralgische Themen anzusprechen, als wenn man sich immer vergewissern muss, dass man auf der sicheren Seite steht.“Helge Schneiders Definition von Humor als „einer Grundfarbe“ stimmt Frankenberg sofort zu. „Allerdings muss sich das auch erst entwickeln. Ich glaube nicht, dass ein Mensch auf die Welt kommt und gleich ganz besonders lustig ist. Abgesehen von gewissen Veranlagungen hängt das ja auch ganz stark davon ab, womit du konfrontierst wirst, in deiner Kindheit, in deiner Familie, in deiner Gesellschaft. Humor ist ja nichts anderes als eine Waffe zur Selbstverteidigung.“ Frankenberg hält kurz inne, sagt: „Das sind jetzt natürlich Binsenweisheiten“, und lacht einmal mehr über sich selbst.1957 als Tochter einer Journalistin und eines Kosmetikunternehmers in Köln geboren, empfand Frankenberg ihre Schule als „immer noch irgendwie angstbesetzt und autoritär. Und es war natürlich alles noch sehr religiös, das hat mich ein bisschen genervt.“Sie erinnert sich: „Ich musste immer sonntags ins Hochamt. In meinem Ort hat Adenauer gelebt, der ist auch in diese Kirche gegangen und hatte da seinen eigenen Platz. Vorne in den Kinderbänken habe ich mich mit meiner besten Freundin amüsiert. Wir haben dann Heiligenbildchen ausgetauscht und haben uns manchmal gestritten: Wer kriegt die Madonna mit dem Glitzer, und wer kriegt die mit dem Heiligenschein? Wir sind ein paarmal aus der Kirche geflogen, weil wir zu laut wurden und einfach vergessen hatten, dass wir in der Kirche waren.“Die Szene erinnert an Edward Nortons Komödie Keeping the Faith (Glauben ist alles!), in der ein jüdischer Junge Sammelbildchen berühmter Rabbiner hortet, um dann als Erwachsener im New York der 1990er selbst ein Rabbiner zu werden. Gespielt von Ben Stiller, buhlt er mit seinem besten Freund, einem katholischen Priester, um dieselbe Frau. Frankenberg kennt den Film nicht, möchte ihn aber unbedingt sehen und erklärt: „Ich komme ja aus einer Familie, die zur Hälfte jüdisch war. Wir waren in keiner Richtung religiös, aber weil ich in einem katholischen Kontext lebte, musste man eben das machen, was alle machen. Ich würde nicht sagen, dass die Kirche eine fürchterlich überflüssige Institution ist. Aber als Kind habe ich das anders wahrgenommen. Ich fand es auch wahnsinnig kalt sonntagmorgens in der Kirche und habe nur gefroren.“Auch an den Tag, als Altkanzler Konrad Adenauer starb, kann sich Frankenberg noch gut erinnern. „Wir hatten mittwochnachmittags Handarbeitsunterricht, mein absolutes Hassfach. Da traf ich auf dem leeren Schulhof einen Mitschüler, der mit so einem ollen Fußball immer gegen die Wand donnerte. Der sagte: ‚Was machst du denn hier, hast du nicht gehört? Der Alte ist tot.‘ Dann bin ich nach Hause, habe mein Handarbeitskörbchen geschwungen und fand es total toll, dass der Unterricht ausfiel.“ Diese Szene hat es, als eine aus Marthas Erinnerung, auch in Nicht nichts ohne Dich geschafft. „Das moderne Autofiktionale“, sagt Frankenberg schmunzelnd, „das haben wir damals schon gemacht.“Die Hamburger ZeitDieses „wir“ ist nicht diffus nostalgisch, sondern wird konkret in jenen Zusammenhängen, die Pia Frankenberg Anfang der 1980er Jahre im Hamburger Filmbüro vorfand. Nach dem frühen Tod ihres Vaters 1974 war sie nach Hamburg gezogen, studierte Schauspiel, gründete eine Produktionsfirma und arbeitete mit so eigenwilligen Persönlichkeiten wie Ulrike Ottinger und Hans Neuenfels. In der selbstverwalteten Filmförderung der Hansestadt fand Frankenberg schließlich eine künstlerische Heimat voller Synergieeffekte („Je unterschiedlicher die Leute sind, mit denen man zusammenarbeitet, desto besser“). Hier konnte sie ihren Kurzfilm Der Anschlag realisieren, einen großen Spaß, in dem Frankenberg eine Anmache in einer Kneipe mit einer Ohrfeige quittiert, die eine sich in der ganzen Stadt ausbreitende Ohrfeigen-Epidemie auslöst. Es folgten ihr Langfilmdebüt Nicht nichts ohne Dich und die Beziehungskomödie Brennende Betten mit der britischen Rock-Ikone Ian Dury.Placeholder image-11992 gelang Frankenberg ein außergewöhnlicher Kommentar zur Zeit. In Nie wieder schlafen schickte sie drei Freundinnen aus der BRD auf einen Roadtrip ins wiedervereinte Berlin. Auf dem ehemaligen Todesstreifen trinkend und tanzend wird dort bereits das zukünftige, von Freiheit bestimmte Lebensgefühl der neuen, alten Hauptstadt auf den Punkt gebracht. „Man muss sich nicht immer zu allem verhalten“, sagt eine der Frauen, was sie nicht davon abhält, gleich darauf die Umbettung von Friedrich II. nach Potsdam dokumentarisch festzuhalten und als hohlen Popanz zu entlarven. „Das war vielen Kritikern nicht glatt genug erzählt“, fasst Frankenberg die Resonanz zusammen. „Man konnte nicht folgen und wusste nicht: Was wollen diese Frauen eigentlich überhaupt?“Ernüchtert wandte sich Frankenberg daraufhin der Schriftstellerei zu, sie ging nach New York und heiratete den fast 30 Jahre älteren, legendären Fotografen Elliott Erwitt. Die Wiederentdeckung ihrer eigenen Filme begann 2019, als Nie wieder schlafen in der Berlinale-Retrospektive „Selbstbestimmt. Perspektiven von Filmemacherinnen“ gezeigt wurde. „Das war eine sehr gute Erfahrung“, sagt Frankenberg, und für einen Moment weicht jede Ironie aus ihrem Lächeln. „Bei der Retrospektive saß eine ganz andere, völlig offene Generation im Kino. Die fanden den Film super, auch lustig, aber eben nicht nur. Er bietet ja die Möglichkeit, sehr unterschiedliche emotionale Ebenen zu erleben. Ich habe gemerkt, dass die Filme gut oder teilweise sogar gar nicht gealtert sind.“Pia Frankenberg lebt längst wieder in Berlin. Sie hat eine Kolumne bei der taz, ihre Filme wurden gerade digital und auf DVD wiederveröffentlicht, der fünfte Roman ist so gut wie fertig. Verwandte Geister findet sie derzeit weniger im deutschen Kino als, durchaus überraschend, bei Joko & Klaas. „Die haben einen Ton gefunden, da merkst du, dass über einen Medienkanal eine Haltung nach außen getragen wird, und die Zuschauer können sich mit denen verbinden oder sie lassen es. Diese Art Shows gab es vor dem Privatfernsehen so nicht, das haben damals aber andere Abteilungen übernommen. Wenn man zum Beispiel Das kleine Fernsehspiel oder eine Produktion von Radio Bremen einschaltete, dann wusste man, dass das natürlich ‚linksliberal versifft‘ war.“ Sie lacht verschmitzt. „Aber das wollte man ja sehen.“Beim Abschied vor dem Charlottenburger Café kommen ein paar sehnsüchtige Erinnerungen an ihr Leben in New York durch. „Mir entsprach diese Stadt, in ihrer Diversität und auch in der Offenheit, wie die Leute miteinander umgehen. Bei allen Unterschieden kommen die Leute dort irgendwie miteinander klar.“ Frankenberg geht davon, im langen Mantel. Es sollte einen nicht wundern, wenn sie dabei Ain’t This a Wonderful Day vor sich hin singt.Placeholder infobox-1
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