Wir haben einen Plattenvertrag! Seit Erfindung der Musikkonserve als Massenware waren diese Worte das „Sesam, öffne dich“ für alle Bands und solo Aufspielenden, die ihr Hobby zum Beruf machen wollten. Nun erscheinen täglich etwa 100.000 neue Titel auf Spotify & Co, was, je nach Plattform, kaum mehr kosten muss als ein Häkchen bei den AGBs. Die Frage nach Sinn und Unsinn einer Plattenfirma wird daher immer wieder gestellt, so auch gerade erst auf der Pop-Kultur in Berlin.
Dieses von der Stadt finanzierte Festival definiert Pop als Mischung aus regionaler Subkultur und Mainstream-affinen Acts eher nicht-westlicher Provenienz. Entsprechend saß in der Talkrunde zum Thema A Record Label (What is it good for?) auch niemand von einem Major-Label. Zwangsl
r-Label. Zwangsläufig ideologisch ist diese Abgrenzung nicht.So erzählte Marc Hollander, dass sein Indie-Label Crammed Discs einige Male vor der Pleite stand und er dann auch mit Majors verhandelt habe. Denen sei aber sein Programm mit Musik aus aller Welt immer „zu eklektisch“ gewesen. Hollander blieb kompromisslos. Ein starker Eigensinn brachte auch die Musikerin Olga Karatzioti-B. dazu, Anomic Records zu gründen. Es sei, sagte sie, eben zu „schwer, jemanden zu finden, der so an dich glaubt, wie du selbst“. Fast provokativ optimistisch fragte Anton Teichmann von Mansion and Millions: „Ist jetzt nicht die beste Zeit, um ein Label zu gründen?“ Schließlich käme nun, dank Spotify, immerhin ein kleines bisschen in die Kasse – und durch Vinyl-Releases auch etwas mehr. Auf diesem Podium wurde die Frage nach dem Sinn einer Plattenfirma eben nicht kulturtheoretisch beantwortet, sondern mit Berichten aus der Praxis.Wofür ein Plattenlabel? Für den Papierkram etc.Nicht in der Talkrunde, aber mit einigen Acts war auch das Label Staatsakt auf der Pop-Kultur vertreten. So hatte Nichtseattle (ein Alias der Musikerin Katharina Kollmann) mit ihrem Nachbarschaftschor aus Berlin-Karlshorst exklusiv für das Festival ein Programm zusammengestellt. Dabei geriet selbst der Hippie-Heuler Our House zu einer kraftvollen, kollektiven Gospel-Nummer. Die hatte nur noch wenig mit der Idylle einer Zweierbeziehung zu tun, aber viel mit dem Rauch-Haus-Song von Ton Steine Scherben – und auch mit einem Buch, das jetzt, zum 20-jährigen Jubiläum von Staatsakt herauskommt. Es heißt Was erscheint, ist gut, was gut ist, erscheint und präsentiert das Konzept Plattenfirma als offenes Haus eines losen Kollektivs sehr unterschiedlicher KünstlerInnen.Dafür haben knapp 40 von ihnen allerhand Fragen beantwortet, was zu einer vielstimmigen Oral History kompiliert wurde. Das Spektrum reicht von Urgesteinen wie Christiane Rösinger (Jahrgang 1961) bis zum 1991 geborenen Felix Keiler (von Die Kerzen). Bei dessen Mutter wurde Label-Boss Maurice Summen übrigens so lange mit Senf-Eiern bewirtet, bis der Plattenvertrag auf dem Tisch lag. Bevor The Chap ihr neues Album bei Staatsakt unterbrachten, hat Sänger Johannes von Weizsäcker mit Summen ein Heino-Konzert besucht. Von solchen hübschen Anekdoten wimmelt es hier – aber auch von vielen, immer wieder aufs Neue anrührenden Geschichten, vom Aufwachsen und wie die Musik da durchhelfen kann, sei es in Lüdenscheid, Husum, Ludwigslust oder Berlin.Eingebetteter MedieninhaltOder auch im Münsterland, aus dem Maurice Summen stammt. 2003 gründete er in Berlin das Label Staatsakt, für seine Krautrock-Band Die Türen. Deren Mix aus ironischem Witz, politischem Bewusstsein und Spielfreude prägt seither auch das Firmen-Image, vom Newsletter bis zum eigenen Podcast Disposition. Dem eigenen Buch gelingt es nun nicht immer, den schmeichelnden Ton einer Firmen-Festschrift zu umgehen. Es erweist sich im Ganzen aber als sehr lesenswerter, immer wieder auch selbstironischer Streifzug durch 20 Jahre (deutschsprachiger) Pop-Geschichte – und als Fundgrube von Erkenntnissen. Da fällt zum Beispiel auf, dass die meisten Label-Acts linke Positionen vertreten, sich aber nicht so verorten.Wer hier dezidiert von „Links“ spricht, meint eine Internetadresse, keine politische Tendenz – obwohl auf Staatsakt auch einige der besten (und) systemkritischsten Alben der letzten 20 Jahre erschienen sind, darunter: DMD KIU LIDT von Ja, Panik und Kommunistenlibido der bereits erwähnten Nichtseattle. Die im Laufe des Buches anfallenden Antworten auf die Frage: Wozu eine Plattenfirma? (für den Papierkram etc.), leiten hier wohl zum Kern: Ein Label wie Staatsakt bietet eine künstlerische Heimat, kann aber auch durch eine ähnliche Sicht auf Staat und Gesellschaft eine Gemeinschaft jener stiften, die sich als eigensinnige Kunstausübende von so etwas wie Parteien eher fernhalten würden.Auf der Pop-Kultur wurde man indes auch mit anderen Realitäten konfrontiert. Eine junge Zuschauerin stellte am Ende des Label-Talks die schlichte Frage: Wie kann ich, eine Musikerin, euch, als Label, erreichen? Es folgten ein paar Tipps zum Formulieren von E-Mails. Weil aber die persönlichen Kontakte letztlich doch entscheidend sind, sei es immer noch am besten, nach Berlin zu ziehen, nach London oder New York. Dass das für die junge Musikerin, sie kam wohl vom Balkan, eine eher ernüchternde Antwort sein musste, war auch auf dem Podium allen bewusst. Man schwieg dann, beklommen.