Mick Jagger von A bis Z: Rebellion, Affären und obszöne Gesten
Lexikon Am 26. Juli wird Mick Jagger 80 Jahre alt – und singt, tanzt, hüpft noch immer. „Freitag“-Redakteur Robert John gratuliert und erzählt alles, was Sie über den begnadeten Frontmann einer bekannten britischen Rockband wissen sollten
Lang ist's her: Die Rock-Legende Mick Jagger wird am 26. Juli 80 Jahre alt
Foto: Andrew MacLear/Getty Images
A wie Achtzig: Das eigene Erbe
Den Rolling Stones wird schon seit Jahren nachgesagt, sie seien eigentlich zu alt für den Job. Mick Jagger ist mit seinen 80 Jahren nun Altersgenosse von Frédéric von Anhalt und Alice Schwarzer, denen man eine zweieinhalbstündige Stadionshow mit Unterhaltungswert viel weniger zutrauen würde. Jagger gerät zwar inzwischen auf der Bühne manchmal ein wenig außer Atem, aber insgesamt trägt er sein eigenes Musikerbe mit viel Eifer und einer überraschend wenig gealterten Stimme (→ Gesang).
Um Geld kann es ihm nicht gehen. Er ist zwar kein Milliardär, aber Sorgen muss er sich als viertreichster britischer Musiker keine machen. (Sein Bandkollege Keith Richards steht übrigens an fünfter Stelle.) Es mu
igens an fünfter Stelle.) Es muss also Leidenschaft sein, die Jagger von Show zu Show treibt – oder Gewohnheit? Schließlich kennt er kaum etwas anderes: Die Stones spielten bisher über 3.500 Konzerte. Ihren allerersten Gig hatten sie am 12. Juli 1962 im Londoner Marquee Club. Jagger war damals 18. Die Stones gibt es jetzt also seit 61 Jahren.B wie Blues: Wie mit Mick Jagger und Keith Richards alles begannEs ist dem Blues zu verdanken, dass es die Stones überhaupt gibt. 1962 trafen sich die Grundschulkameraden Jagger und Richards an einer Bushaltestelle in London wieder. Sie kamen ins Gespräch, weil Jagger Platten von Muddy Waters und Chuck Berry unter dem Arm trug. Der ähnliche Musikgeschmack besiegelte ihre Freundschaft. Als weiße Band mit Blues-Sound hatten die Stones es vergleichsweise leicht im Musikbusiness. Für ihre Schwarzen Musikidole blieb der ganz große weltweite Erfolg ein Traum, den andere umsetzen durften.2016 veröffentlichten die Stones Blue and Lonesome, auf dem sie zwölf Blues-Songs coverten. Es ist ihr bis dato letztes Studioalbum. Es wird spekuliert, dass es nach dem Tod von Drummer Charlie Watts auch das letzte bleiben könnte. Ein Full-Circle-Moment wäre das ohne Zweifel: Alles beginnt und endet mit dem Blues.E wie Erratischer Tanz: Obszöne Gesten von Mick JaggerDie Musik stammt aus der Feder Jagger /Richards. Doch auf der Bühne haben die Stones nur einen Frontmann: Er rennt, er gestikuliert, er schwingt die Hüften. In den 60ern führte dies beim weiblichen Publikum zu Hysterie (→ Ladies‘ Man), beim männlichen zu Randale. Eine Stones-Show auszurichten, war damals für Konzertveranstalter eine Garantie für zertrümmerte Sitze und hyperventilierende Frauen. Schuld daran, so munkelt man, sollen Jaggers obszöne Gesten und sein berüchtigtes Zappeln gewesen sein. Zugegeben, der Schock ist langsam abgeklungen. Trotzdem hat Jaggers Tanz etwas Hypnotisches. Der erratische Beinkrampf aus dem Video zu Sympathy for the Devil bleibt der beste Beweis.Eingebetteter MedieninhaltÜber die Jahre äußerte Jagger immer mal wieder, er habe sich in seinen Bewegungen von James Brown inspirieren lassen. Dessen Performances transportierten eine Sinnlichkeit, die Jagger nicht ganz einzufangen vermag. Dafür legt Jagger all seine Energie in seine Shows, er arbeitet. Und das ist immer noch schön zu sehen.F wie Fossil: Schöne LippenEine Gruppe von Wissenschaftler*innen der US-amerikanischen Duke University hat 2014 den Urahnen eines Flusspferds nach Jagger benannt. „Jaggermeryx naida“, zu Deutsch etwa „Jaggers Wassernymphe“ heißt das 19 Millionen Jahre alte Tier, das von den Forschenden als eine Mischung aus schlankem Flusspferd und langbeinigem Schwein beschrieben wird.Grund dafür, dass die Wahl auf Jagger als Namenspaten fiel, waren nicht etwa die Jahre auf dem Buckel des Rockstars (→ Achtzig), sondern seine Lippen: Das längst ausgestorbene Wesen hätte „Lips like Jagger“, also einen dicken Kussmund. Als Trittbrettfahrer von Jaggers Ruhm sind die Forschenden nicht allein. Man denke nur an den unsäglichen Sommerhit von 2011, in dem Maroon 5 feat. Christina Aguilera anpriesen, sie hätten die „Moves like Jagger“ – dann lieber das Ur-Flusspferd zum Knutschen.Eingebetteter MedieninhaltG wie Gesang: Einzigartige StimmeNeben all den Schlagzeilen über sein wildes Leben könnte man fast vergessen, dass Jagger eigentlich von Beruf Sänger ist. Seine Stimme hat nicht die allergrößte Bandbreite, aber fürs gelegentliche Falsett (Worried about you, Emotional Rescue, Fool to cry) reicht es. Auch der für den Erfolg entscheidende hohe Wiedererkennungswert ist gegeben. Zudem ist es bemerkenswert, dass Jaggers Stimme mit 80 noch sehr klar klingt und bei höheren Tönen kaum bricht. Besonders gut zu erkennen ist das beim „Ooohooohooohooohooo“ von Miss you, das die Stones bis heute gern live spielen.Eingebetteter MedieninhaltUnd falls nach 61 Jahren auf der Bühne noch jemand auf der Suche nach Hinweisen dafür ist, dass Jagger sehr diszipliniert arbeitet, findet er sie in einem Artikel von Lenny Kravitz im Magazin Rolling Stone. Kravitz schreibt, er habe einmal in einer Tourpause der Stones auf den Bahamas Urlaub mit Jagger gemacht. Jagger sei jeden Abend in den Keller gegangen, um seinen Gesang zu trainieren. Das verlangt nach einem Titel (→ Sir)!H wie Hells Angels: Meredith Hunter vor der Bühne erstochenGemeinsam mit Grateful Dead organisierten die Stones 1969 das Altamont-Festival, bei dem auch Santana und Jefferson Airplane spielten. Was als unbeschwertes Festival geplant war, gilt als das traurige Ende der Hippie-Ära. Die Stimmung auf dem Gelände war von Beginn an aufgeladen. Aus Angst vor Ausschreitungen sagten Grateful Dead ihren Auftritt ab. Die Stones waren der letzte Act des Abends.Während der Show wurde der 18-jährige Meredith Hunter direkt vor der Bühne von einem Mitglied der Hells Angels erstochen. Hunter hatte zuvor unter Drogeneinfluss eine Schusswaffe gezogen. Die Hells Angels waren von den Stones als Sicherheitskräfte engagiert worden. Als Bezahlung hatten sie Bier im Wert von 500 Dollar erhalten. Im Verlauf des Festivals kamen drei weitere Menschen durch Unfälle zu Tode. „Es war die Hölle auf Erden“, sagte Santana.K wie Keef: Geniales Gitarrenspiel von Keith RichardsKeith Richards, der sich selbst in Anspielung auf seinen englischen Arbeiter-Slang gern Keef nennt, ist ein knappes halbes Jahr jünger als sein Bandkollege. Es ist ein großes Glück, dass selbst Heroin ihn nicht umbringen konnte, das er in den 70ern jahrelang konsumierte. Sein Verhältnis zu Jagger war immer mal wieder angespannt. In den 80ern hätten sich die Stones fast getrennt, weil Jagger noch mehr Ruhm wollte und das Augenmerk auf seine Solokarriere legte. Am Ende siegte die Vernunft. Zusammen schrieb das Songwriter-Duo zahllose Hits, darunter You can’t always get what you want, Gimme Shelter und Start me up.Unbestritten ist, dass Richards’ Gitarrenspiel den Stones das musikalische Genie einhaucht. Die größten Alben der Stones, Let It Bleed, Sticky Fingers und Exile on Main St. (1969 bis 1972), leben von seinem Sound, der vor allem von afroamerikanischem → Blues und Country geprägt ist – rau, rhythmisch und live fast ein bisschen nachlässig. Statt langatmigem Solo-Gedudel braucht Keef nur ein paar Tonfolgen, und schon entsteht ein Brett wie Satisfaction.Eingebetteter MedieninhaltL wie Ladies‘ Man: Mick Jaggers Affären mit Männern und FrauenEs wurde allseits ausgeschlachtet, dass Jagger mit vielen Frauen Sex hatte. Auch seine Affäre mit David Bowie in den 70ern ist weithin bekannt. Jagger hat sich nie konkret zu seiner Bisexualität geäußert. Andere Personen hingegen reden ständig darüber. Zuletzt behauptete Marianne Faithfull, die ebenfalls in den 70ern mit Jagger eine Affäre hatte, dass Mick in Keith (→ Keef) verliebt gewesen wäre. Die beiden hätten auch Sex gehabt. Ebenso soll Mick mit dem Ex-Stones-Gitarristen Mick Taylor geschlafen haben.Derlei Storys sind hilfreich für den Erhalt des Rockstar-Mythos. Trotzdem kann man sich gut in Jagger hineinversetzen, der seine Anfang der 80er geschriebenen Memoiren niemals veröffentlichen möchte. Der Verlag hatte sie damals abgelehnt, weil Jagger zu wenig über Sex und Drogen schrieb. Wer würde auch dem Mann abseits des Mythos zuhören.S wie Sir: Ritterschlag für den RebellenQueen Elizabeth II. muss lange gegen den Ritterschlag für Jagger gewesen sein, sonst hätte es bis zu dessen Aufnahme in den erlesenen Kreis der Sirs wohl kaum so lange gedauert. Dass Paul McCartney und Ringo Starr vor ihm geadelt wurden, ist verständlich. Aber Bob Geldof und Bono? Sie steckten noch in den Kinderschuhen (14 und 5 Jahre alt), als Mick Jagger bereits weltweiten Ruhm einfuhr (1965 mit Satisfaction). Dabei reicht das Bündnis zwischen Jagger und dem britischen Königshaus weit zurück: Schon in den 60ern soll Jagger gemeinsam mit Prinzessin Margaret, der jüngeren Schwester von Queen Elizabeth, wilde Partys (→ Erratischer Tanz) am Karibikstrand von Mustique gefeiert haben.Trotzdem wurde lange diskutiert, dass Jagger als Ritter gänzlich ungeeignet sei, schließlich hätte er keine stabile feste Beziehung (die Ehe mit Jerry Hall wurde 1999 geschieden, obwohl sie jahrzehntelang zusammen waren) und auch kein würdiges soziales Engagement vorzuweisen. Am Ende knickte die Monarchie ein, und so kann man den Rebellen seit 2002 „Sir Michael Philip Jagger“ rufen.Z wie Zunge: Symbol des Anti-EstablishmentsNach acht Studioalben bei Decca Records gründeten die Stones Anfang der 70er ihr eigenes Label. Sie feierten zwar musikalische Erfolge, doch finanziell sah es für sie trist aus, weil Decca die Rechte an all ihren Songs besaß. Nun wollten die Stones ihre eigenen Taschen füllen. Und dafür sollte ein neues Logo her. Jagger lud den Designer John Pasche, der schon ein Tourplakat für die Band entworfen hatte, in sein Haus in London ein. Dort hing ein Bild der hinduistischen Göttin Kali an der Wand.Wie die Stones steht Kali für Zerstörung, und so war Kalis weit herausgestreckte Zunge die entscheidende Inspiration für Pasche – ein neues Symbol der Rebellion und des Anti-Establishments war geboren. Pasche bekam damals 250 Pfund. 1984 verkaufte er das Copyright für 26.000 Pfund an die Stones. Ein Schnäppchen für die Band, die von der Zunge weitaus mehr profitierte.