Show im Twitterformat

Frankreich Das erste TV-Duell der Bewerber um die Präsidentschaft war keine Sternstunde der politischen Diskurskultur, half aber, die Fronten zu klären
Ausgabe 12/2017
Nicht nur das Studio erinnerte an einen Boxring
Nicht nur das Studio erinnerte an einen Boxring

Foto: Eliot Blondet/AFP/Getty Images

Bislang ist vieles so gelaufen, wie es niemand vorausgesehen hat. Die Zeitung Le Monde spricht von einer „verrückten Kampagne“. Immerhin gewannen die Vorwahlen bei den Konservativen wie den Sozialisten nicht die von Demoskopen und Medien erwarteten Favoriten – der Liberalkonservative Juppé und der Regierungslinke Valls –, sondern der konservative Gaullist Fillon und der Linkssozialist Hamon. Marine Le Pen, die Kandidatin des Front National (FN), hatte keinen Gegenkandidaten, genau wie Emmanuel Macron, der selbsternannte Reformer und Liebling der Medien, oder Jean-Luc Mélenchon von der Linkspartei.

Kaum waren diese Voten gelaufen, verstrickte sich Fillon in einen Skandal wegen Begünstigung seiner Familie. In jeder Demokratie – außer in der französischen – hätte er seine Kandidatur wohl abschreiben müssen. Inzwischen untersucht die Justiz, ob die Eheleute Fillon möglicherweise falsche Dokumente ausstellten, um die Gehälter für Frau Penelope zu rechtfertigen. Madame hatte als parlamentarische Mitarbeiterin jahrelang gut verdient, insgesamt rund 680.000 Euro.

Auch gegen Marine Le Pen läuft ein Verfahren wegen der Zweckentfremdung von Fraktionszuschüssen im Europaparlament. Doch bezeugt es die Zustände in einem Frankreich des Ausnahmezustands, dass die Selbstbedienungsmentalität der politischen Elite in der Debatte der fünf aussichtsreichsten Präsidentschaftskandidaten beim Privatsender TF1 nicht weiter diskutiert, sondern unter dem Euphemismus „Moralisierung der Politik“ begraben wurde. Neben Marine Le Pen, Benoît Hamon, François Fillon, Emmanuel Macron und dem weniger bekannten Bewerber Jean-Luc Mélenchon gibt es sechs weitere Aspiranten kleinerer linker und rechter Gruppierungen, die zu diesem Fernsehauftritt jedoch gar nicht erst geladen waren.

Drei Frageblöcke

Das Studio von TF1 erinnerte an einen Boxring, was mit einem vehementen Schlagabtausch rechnen ließ. Aber die Senderegie sorgte dafür, dass eine argumentativ unterlegte Debatte gar nicht erst aufkommen konnte. Die Regie gab 15 (!) Themen vor, eingebunden in drei Frageblöcke: „Welches Gesellschaftsmodell braucht Frankreich? Welches Wirtschaftsmodell braucht Frankreich? Welchen Platz soll Frankreich in der Welt einnehmen?“ Neben einem Eingangs- und Schlussstatement von je eineinhalb Minuten standen jedem Redner für jedes der 15 Themen zwei Minuten zur Verfügung. Zwischenrufe nach anderthalb Minuten waren erlaubt, aber für die eine oder andere Replik blieb keine Zeit. So glich die Sendung mehr einem vielstimmig ruppigen Parolengeschrei im Twitterformat als einer seriösen Debatte.

Für die Facebook-Nutzer stand schon nach der Hälfte einer drei Stunden dauernden Show der nach den Umfragen ganz hinten platzierte Jean-Luc Mélenchon von der Linkspartei mit 62 Prozent der „likes“ als „überzeugendster Anwärter“ fest. Am Schluss verbuchte er 56 Prozent der Stimmen für sich, was vor allem daran lag, dass er der mit Abstand beste Rhetoriker und geschickteste Polemiker war. François Fillon und Emmanuel Macron gaben sich die größte Mühe, die in der Sache nicht vorhandenen Differenzen zwischen einem konservativen und einen neoliberalen Programm zu betonen, was voll daneben ging. Der Sozialist Benoît Hamon profilierte sich als „Kandidat der Arbeit“ und präsentierte als einziger die Umrisse eines Konzepts, wie die geschwächte französische Ökonomie der Globalisierung und Digitalisierung in der Arbeitswelt gewachsen sein könnte. Marine Le Pen war die Lauteste in der Runde und trompetete ihren alten Refrain: Nation, Souveränität, Unabhängigkeit – ein Referendum über die Präsenz in der EU sei unerlässlich.

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