Lebensmittel: Russland bleibt importabhängig

Sanktionskrieg Spätestens seit dem Ukrainekonflikt 2014 wollte Moskau sich von der Abhängigkeit von Lebensmittelimporten lösen – doch selbst dem Riesenland Russland gelingt das nicht

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Längst nicht alle Lebensmittel in Russland kommen auch aus Russland
Längst nicht alle Lebensmittel in Russland kommen auch aus Russland

Foto: Oleg Nikishin/Getty Images

Auf dem Höhepunkt des Ukrainekonflikts 2014 trübten sich die Wirtschaftsbeziehungen zwischen Russland und dem Westen erheblich ein. Als Reaktion auf umfassende westliche Sanktionen verhängte Russland als Gegenmaßnahme einen Importstop auf die meisten Lebensmittel. Als gewollter Nebeneffekt sollte so ein Zwang für die russische Wirtschaft entstehen, bisher einfach importierte Lebensmittel durch heimische Produkte zu ersetzen und so von ausländischen Lieferanten in einer Zeit anspannter politischer Beziehungen unabhängiger zu werden. Ein solches Programm zur Importsubstition war bereits 2012 entstanden – als größter Flächenstaat der Welt bietet Russland gerade bei Landwirtschaftserzeugnissen scheinbar ideale Rahmenbedingungen dafür.

Erfolgreiche Beispiele sind oft punktuell

Erfolgreiche Beispiele aus dem Ersatz westlicher Produkte avancierten in den folgenden Jahren immer wieder zu Vorzeigeprojekten patriotisch gesinnter Russen. Tatsächlich gelang ein Ersatz punktuell – bekam man in Russland vor dem Ukrainekonflikt qualitativ hochwertigen Käse fast nur durch Import etwa aus Italien und Frankreich, entwickelten sich einige Landwirtschaftliche Zentren in Russland zu neuen Käse-Mekkas, die ihren eigenen Edel-Mozarella und anderes herstellten. Auch nach Russland zugewanderte Schweizer und deutsche Milchbauern wie Stefan Dürr avancierten zu symbolischen Medienstars, die demonstrieren sollten, wir bekommen auch alles aus dem russischen Mutterboden. Tatsächlich wurden auf dem Massenmarkt für Endverbraucher zahlreiche Lebensmittel, auf denen bis heute ein westlichen Markenlogo prangt, schon seit den 00er Jahren in russischen Werken ausländischer Lebensmittelgiganten hergestellt, wodurch sie von Sanktionen nicht betroffen waren.

Doch die Import-Substitution gelang nicht in allen Bereichen wirklich zufriedenstellend. Selbst Putin musste in einer Rede im Juli zugeben, dass es unmöglich ist, Waren aus dem Ausland vollständig zu ersetzen. Noch deutlicher fiel dann jetzt Anfang Dezember eine Recherche der Zeitung Kommersant über die Agentur NRA aus. Nur bei den Fleischimporten konnte die EU-Ware zu 65 % durch einheimische ersetzt werden. Bei Milchprodukten ersetzte man statt wie geplant ein Drittel nur 20 % durch heimische Erzeugnisse, bei Gemüse sogar statt geplant knapp drei Viertel nur 27 %. Auch beim Fleisch klappte der Ersatz nicht in jedem Bereich. So wird Rindfleisch laut dem Medienportal RBK bis 2022 wegen des schwachen Rubelkurses und Zollproblemen um ein Drittel teurer – die einheimische Produktion wächst zu langsam.

Drittstaaten als Nachfolger des EU-Geschäfts

Um die Abhängigkeit vom Westen – die politische Situation bleibt ja bis heute angespannt – dennoch zu drosseln, lässt man sich mehr aus Drittstaaten liefern. So kommt Fisch laut Kommersant heute häufig aus Chile statt wie früher aus Norwegen, Früchte aus Ecuador statt der EU. Dabei kann es zu versteckten Importen von Sanktionswaren kommen – Weißrussland etwa machte sich zeitweise einen Namen als Umverpacker von Westware für den russischen Markt. China importiert aus der EU immer mehr Gemüse und exportiert es in steigendem Umfang nach Russland.

Der Kommersant-Bericht wirbelte in Russland einigen Staub auf – immerhin ist die Importsubstitution Teil der Kreml-Strategie, mit der die Regierenden nachweisen möchten, dass der Kampf mit dem Westen dem eigenen Wohlbefinden der Russen kaum schade. Ziel des Substitutionsprogramms sei es nie gewesen, diktierte Kremlsprecher Peskow der Nachrichtenagentur TASS ins Mikrofon, Lebensmittelimporte komplett zu stoppen. Kein Land könne einen solchen Importstopp leisten. Allgemein sei der Importstopp gegenüber der EU Russland aufgezwungen worden.

So ist in der global vernetzten Wirtschaft nicht einmal Russland autark und der Ersatz von Produkten jetzt quasi „verfeindeter“ Staaten ist nur unter großen Anstrengungen und nicht immer wie geplant möglich. Die einzigen, die beim Thema Importsubstitution ganz sicher das Nachsehen haben, sind die Produzenten in den Staaten, die vorher den russischen Markt belieferten. Denn ob die Milch des deutschen Bauern nun von solcher aus Russland oder Chile abgelöst wurde – oder findige Weißrussen sie durch das Erzeugnis finnischer Tiere mit Minsker Verpackung ersetzen – der deutsche Milchbauer verkauft sie nicht mehr.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Roland Bathon

Journalist und Politblogger über Russland und Osteuropa /// www.journalismus.ru

Roland Bathon

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